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»O ja, danke.« Langdon hielt ihr den leeren Kaffeebecher hin.

Sie blickte ihn seltsam an. »Ich habe Ihre andere Hand gemeint, Mr Langdon.«

Als Langdon an sich hinunterschaute, merkte er, dass er in der Linken den Papyrus hielt. »Oh, entschuldigen Sie, natürlich.«

Erheitert nahm Marie den Papyrus an sich. »Ich kenne in Paris einen Mann, der bestimmt sehnsüchtig auf die Rückkehr des Rosenholzkästchens wartet – André Vernet. Er ist ein guter Freund von Jacques. Jacques hat ihm rückhaltlos vertraut. André würde alles tun, um Jacques' Bitte gerecht zu werden, diesen Kasten zu hüten.«

Und sei es, dir eine Kugel in den Leib zu jagen, dachte Langdon. Er behielt für sich, dass er dem armen Kerl vermutlich die Nase gebrochen hatte. Bei der Erwähnung von Paris fielen ihm die drei Seneschalle ein, die am gleichen Abend wie Saunière ermordet worden waren. »Was geschieht jetzt mit der Prieuré? Wie geht es mit der Bruderschaft weiter?«

»Das Räderwerk hat sich bereits in Bewegung gesetzt, Mr Langdon. Die Bruderschaft hat Jahrhunderte überdauert, sie wird auch diesen Schlag überstehen. Man findet, immer Leute, die für die obersten Ränge geeignet sind und die einen Neuaufbau zustande bringen.«

Langdon hatte schon den ganzen Abend vermutet, dass Sophies Großmutter in engster Beziehung zur Prieuré stand. Schließlich hatte die Bruderschaft von jeher auch Frauen aufgenommen und sogar vier Großmeisterinnen gehabt. Die Seneschalle waren traditionsgemäß Männer – die Wächter –, doch die Frauen wurden in der Prieuré hoch geachtet und konnten von jedem Rang in die führenden Ämter aufsteigen.

Langdon dachte an Teabing und Westminster Abbey. Es schien eine Ewigkeit her zu sein. »Hat die Kirche auf Ihren Mann Druck ausgeübt, damit er am Ende der Zeit die Dokumente nicht veröffentlicht?«

»Um Himmels willen, nein! Das Ende der Zeit ist eine Phantasterei verrückter Fanatiker. In der Doktrin der Prieuré ist mit keinem Wort ein Zeitpunkt für die Enthüllung des Grals festgelegt. Ganz im Gegenteil war die Prieuré stets der Meinung, dass er gar nicht enthüllt werden soll.«

»Niemals?« Langdon war sprachlos.

»Das Geheimnis des Grals, sein Rätsel und die Mythen, die sich um ihn ranken, dienen unseren Zielen besser, als seine Enthüllung es je könnte. Der Reiz des Grals liegt in seiner Unfassbarkeit.« Marie Chauvel schaute zur Kapelle hinauf. »Für manche ist der Gral ein Kelch, der ewiges Leben verspricht. Für andere bedeutet er die Suche nach verlorenen Dokumenten und nach einem Geheimnis der Geschichte. Und für die meisten ist der Gral lediglich eine faszinierende Idee, wie ich vermute … ein wundervoller, phantastischer, aber unerreichbarer Schatz, der uns sogar in der heutigen modernen, chaotischen Welt noch zu inspirieren vermag.«

»Aber wenn die Sangreal-Dokumente im Verborgenen bleiben, wird die Geschichte von Maria Magdalena niemals ans Tageslicht kommen«, wandte Langdon ein.

»Tatsächlich? Schauen Sie sich um! In der bildenden Kunst, in der Musik und der Literatur wird ihre Geschichte erzählt – heute mehr denn je! Das Pendel schlägt wieder zur anderen Seite aus. Wir merken allmählich, wie bedenklich die Gegenwart ist … und wie zerstörerisch der Weg, den wir eingeschlagen haben. Wir spüren immer deutlicher, dass es notwendig ist, das göttlich Weibliche wieder in sein Recht einzusetzen.« Sie hielt kurz inne. »Sie sagten, dass Sie ein Buch über die Symbole des göttlich Weiblichen schreiben, nicht wahr?«

»Das stimmt.«

Marie lächelte. »Schreiben Sie es fertig, Mr Langdon. Singen Sie das Lied der Göttin. Die Welt verlangt nach modernen Minnesängern.«

Langdon spürte sehr wohl das Verpflichtende von Maries Worten. Er schwieg. Die Mondsichel stieg aus der Weite des bewaldeten Horizonts.

Ein schülerhaftes Verlangen überkam ihn, Rosslyn Chapel das Geheimnis zu entreißen. Du kannst doch Marie jetzt nicht ausfragen. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt. Sein Blick streifte den Papyrus in Maries Hand und richtete sich dann wieder auf die Kapelle.

»Nur zu, fragen Sie schon, Mr Langdon«, sagte Marie belustigt. »Das Recht haben Sie sich redlich verdient.«

Langdon spürte, dass er rot wurde.

»Sie wollen sicher wissen, ob der Gral hier in Rosslyn liegt.«

»Können Sie es mir verraten?«

Marie seufzte in gespielter Verzweiflung. »Wie kommt es nur, dass Männer den Gral einfach nicht in Ruhe lassen können?« Sie lachte. Die Unterhaltung machte ihr offensichtlich Spaß. »Sie scheinen zu glauben, dass er hier ist. Warum?«

Langdon deutete auf den Papyrus in Maries Hand. »In diesem Vers Ihres Mannes ist ausdrücklich von Rosslyn die Rede. Er erwähnt allerdings auch ›Winkel‹ und ›Kelch‹, die über den Gral wachen. Aber ich habe diese Symbole dort oben nicht entdecken können.«

»Der Winkel und der Kelch?«, sagte Marie. »Aber wie sehen die denn aus?«

Langdon hatte das Gefühl, dass sie sich über ihn lustig machte, doch er beschrieb die Symbole.

Sie schaute ihn an, als könne sie sich nur mit Mühe daran erinnern. »Ach ja, richtig. Der Winkel steht für alles Männliche. Malt man ihn nicht so?« Sie zeichnete mit dem Zeigefinger eine Figur in ihren Handteller:

»Ja«, sagte Langdon. Marie hatte die weniger gebräuchliche Form des »geschlossenen« Winkels gezeichnet.

»Und das Weibliche wird durch die umgekehrte Form symbolisiert, den Kelch.« Wieder zeichnete sie.

»Richtig«, sagte Langdon.

»Und Sie sagen, dass unter den Hunderten von Symbolen, die wir hier oben haben, diese beiden Zeichen fehlen?«

»Ich habe sie jedenfalls nirgendwo gesehen.«

»Und wenn ich sie Ihnen nun zeige, können Sie dann wieder ruhig schlafen?«

Bevor Langdon antworten konnte, war Marie Chauvel schon von der Veranda heruntergestiegen und ging den Weg hinauf zur Kapelle. Langdon folgte ihr. In der Kapelle angekommen, schaltete Marie das Licht ein und deutete in der Mitte des Sakralraums auf den Boden. »Bitte sehr, Mr Langdon. Der Winkel und der Kelch.«

Langdon starrte auf den abgetretenen Steinfußboden. »Aber da ist doch gar nicht … «

Marie seufzte und ging über den Pfad zwischen den Sehenswürdigkeiten, den Langdon zuvor die Touristen hatte abschreiten sehen. Jetzt nahm er zwar das riesige Symbol wahr, konnte aber immer noch nichts damit anfangen.

»Das ist der David … « Er verstummte und schlug sich vor die Stirn.

Winkel und Kelch.

Einfach übereinander gelegt.

Der Davidsstern … das Symbol der vollkommenen Einheit des Männlichen und Weiblichen … das Siegel Salomons … die Kennzeichnung des Allerheiligsten, in dem man die männliche und die weibliche Gottheit wähnte, Jahwe und Schekinah.

Langdon brauchte eine ganze Weile, bis er seine Sprachlosigkeit überwunden hatte. »Dann weist der Vers also doch nach Rosslyn.«

Marie lächelte ihn an. »Offensichtlich.«

Langdon lief es eiskalt über den Rücken. »Also liegt der Gral in dem Gewölbe unter unseren Füßen?«

»Nur im Geiste.« Marie lachte. »Eine der ältesten Bestimmungen der Prieuré bestand darin, den Gral eines Tages in sein Heimatland Frankreich zurückzubringen, wo er für immer ruhen soll. Jahrhundertelang war der Gral aus Sicherheitsgründen kreuz und quer durch aller Herren Länder transportiert worden – ein höchst unwürdiger Zustand. Als Jacques Großmeister der Prieuré wurde, stand er insbesondere vor der Aufgabe, die Würde des Grals wiederherzustellen – was konkret bedeutete, den Gral nach Frankreich zu holen und ihm eine königliche Ruhestatt zu bereiten.«

»Und das ist ihm gelungen?«

Marie wurde sehr ernst. »Mr Langdon, in Anbetracht dessen, was Sie heute Abend für mich getan haben, möchte ich Ihnen als Kuratorin des Rosslyn Trust versichern, dass der Gral sich nicht mehr hier befindet.«