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Die scheinbare Lebendigkeit, die ständige Bewegung, stammte von dem tanzenden, zuckenden Flammenschein, der auf ihre gefrorenen Züge fiel und sie doch nicht auftauen konnte.

Fei-yen war eine Gefangene der Hölle, durch die sie in der letzten Stunde gegangen war.

Sie stand am Rand von Sun Chengs Anwesen und sah mit gläsernem Blick zu, wie dieses von den hoch auflodernden.

Flammen verzehrt wurde.

Alle Löschbemühungen der herbeigeeilten Nachbarn waren vergebens gewesen.

Wassereimer um Wassereimer wanderte von Hand zu Hand und ergoß sich in das Feuer.

Aber nur für Sekunden riß das Naß kleine Lücken in das brennende Wüten.

Schnell schlug das Flammenmeer wieder über die schmalen Rinnsale zusammen und verdammte sie zur Wirkungslosigkeit.

Jetzt hatten die Bewohner Chinatowns alle Bemühungen aufgegeben, Sun Chengs Haus zu retten.

Etwas anderes war weitaus wichtiger: zu verhindern, daß das Feuer auf die Nachbarhäuser übergriff.

Aber auch hier sah es so aus, als fochten die Menschen einen hoffnungslosen Kampf aus.

Hier rächte sich die überbordende Bauweise der Chinesen, die in ihrer überfüllten Stadt jeden noch so kleinen Winkel für neuen Wohnraum auszunutzen versuchten.

In so gut wie jedem Haus gab es zahlreiche Zwischenböden und Verschlage, an fast jeder Fassade klebten kleine Balkons und Anbauten.

Viel trockenes Holz.

Ein leichtes Opfer für die sich rasch ausbreitende Feuersbrunst.

Niemand schien sich um die halbwüchsige Chinesin zu kümmern, die starr wie eine Statue stand und sich trotz der unerträglichen Hitze, die das Atmen zur Qual werden ließ, nicht vom Fleck rührte.

Ihre Nacktheit war durch ein Seidentuch verhüllt. Ganz vorsichtig hatte eine mitleidige Frau das leichte Tuch um Feiyens Schultern gelegt, damit es nicht zu sehr auf den Rücken drückte, der eine einzige Brandwunde war.

Aber Fei-yen spürte dort keinen Schmerz, jedenfalls nicht im Augenblick.

Der Schmerz in ihrer Seele war viel schlimmer. So stark, daß er alles andere verdrängte.

Er war in dem Augenblick entstanden, als der weiße Mann mit dem Rattengesicht Sun Cheng erstach.

Aus purer Lust am Töten!

Sun Cheng hatte Wang Shu-hsien verraten, um seine Enkelin zu schützen.

Und doch hatten die Weißen ihn nicht geschont!

Wahrscheinlich hätten auch Fei-yen und die anderen Gefangenen sterben müssen, wären nicht die Nachbarn aufgetaucht.

Fei-yen hatte alles nur wie durch einen dichten Schleier erlebt, der sich über ihre Sinne legte.

Das einzige, was sie deutlich vor sich sah - selbst jetzt noch, als sie vor dem niederbrennenden Haus stand -, war die Gestalt ihres Großvaters.

Wie er, den langen grauen Zopf in der Wäschemangel eingeklemmt, am Boden kniete, als wolle er die weißen Gangster um Schonung anflehen.

Die Antwort war das Krummesser gewesen.

Fei-yen wäre vielleicht im Haus geblieben und mit allem anderen verbrannt, hätten die Nachbarn sie nicht mit sanfter Gewalt nach draußen geführt.

Dabei hatte sich Fei-yen für kurze Zeit von der Erstarrung gelöst.

Sie hatte laut geschrien und die Nachbarn angefleht, auch ihren Großvater aus der Flammenhölle zu holen.

Vergebens.

Die Rettung der Lebenden war wichtiger.

Sun Chengs Körper blieb in der Waschküche. Niederstürzende Balken, von der heißen Glut in riesige Fackeln verwandelt, versperrten den Zugang.

Die Starre überfiel die junge Chinesin erneut. Sie stand da und starrte auf die Flammen.

Doch nicht die sah sie vor sich, sondern Sun Chengs faltiges, gütiges Gesicht.

So sehr sie sich auch anstrengte, sich den Großvater lebendig vorzustellen, immer wieder drängte sich das andere Bild in den Vordergrund: Sun Cheng hockte vor der Wäschemangel, tot und doch in halb aufrechter Haltung. Der eingeklemmte Zopf zog den Kopf nach oben, als klammere der alte Mann sich gewaltsam an das Leben.

Plötzlich griffen Hände nach Fei-yen und wollten sie wegzerren von dem Haus und ihrem Großvater.

Sie stemmte sich dagegen, wollte die Hände abstreifen.

Sie sah ein Gesicht vor sich, das sie nur unterschwellig als das einer Nachbarin erkannte.

Eine Frau fortgeschrittenen Alters, leicht aufgedunsen, das einst dunkle Haar von einem starken Grauschimmer durchsetzt.

»Wir müssen hier weg!« schrie die Frau laut, um das heftige Prasseln des Feuers zu übertönen und um die unsichtbare Mauer zu durchdringen, die Fei-yen um sich aufgebaut hatte. »Der ganze Straßenzug steht gleich in Flammen. Es ist nichts mehr zu retten. Wenn wir nicht fliehen, verbrennen wir!«

Die Frau faßte Fei-yen an den Schultern und schüttelte die Halbwüchsige kräftig durch.

Vergebens bemühte sich die ältere Chinesin, im Gesicht der jüngeren den Schimmer des Verstehens zu entdecken.

Fei-yen schien es gleichgültig zu sein, ob die Flammen sie verschluckten.

Nein, schlimmer noch, sie wollte gar nicht weg. Sie wollte bei ihrem Großvater bleiben.

Bei Sun Cheng, der sich immer für andere eingesetzt hatte.

Der für Fei-yen Vater und Mutter zugleich gewesen war.

Der Wang Shu-hsien geholfen und sie trotz schwerer Folter so lange geschützt hatte, bis sich die Gangster an seiner Enkelin vergriffen.

Dessen Lohn ein sinnloser Tod gewesen war!

Als die ältere Frau erkannte, was mit dem Mädchen los war, rief sie um Hilfe. Allein würde sie Fei-yen nicht retten können.

Aber niemand blieb stehen und kümmerte sich um die beiden Chinesinnen. Alle waren zu sehr damit beschäftigt, ihre Angehörigen und ihre Habseligkeiten vor der sich unablässig ausbreitenden Waberlohe in Sicherheit zu bringen.

Die Frau mußte lange rufen, bis endlich zwei Männer sie erhörten. Ein älterer und ein jüngerer Mann eilten herbei.

Die Frau kannte sie: Shi Tai-Po und Shi Yang. Vater und Sohn, deren Schusterwerkstatt ganz in der Nähe lag.

Gelegen hatte! Jetzt waren dort nur noch rotzüngelnde Flammen und dicker schwarzer Rauch zu sehen, der so finster war, daß er gegen den Nachthimmel abstach.

»Helft mir, Fei-yen wegzubringen!« bat die Nachbarin. »Ich allein schaffe es nicht. Sie bleibt sonst hier und.«

Sie brauchte es nicht auszusprechen. Was sie meinte, war klar.

Während die brennenden Überreste von Sun Chengs Haus in sich zusammenstürzten und ein riesiger Funkenregen die Nacht erhellte wie der Tanz Tausender und Abertausender Glühwürmchen, breitete sich das Feuer über den Hof aus.

Es griff auf Ställe und Verschlage über, auf kleine Sträucher und große Büsche.

Den vier Chinesen drohte, in wenigen Minuten von den züngelnden Flammen eingeschlossen zu werden.

Shi Tai-Po nickte seinem kräftigen Sohn zu.

Dieser packte Fei-yen und hob sie hoch wie eine Puppe.

Die Enkelin des ermordeten Wäschereibesitzers wehrte sich nicht, ließ alles mit sich geschehen, als verfüge sie über keinen eigenen Willen mehr.

Die beiden Männer - der jüngere mit dem wie ein Sack über die Schulter geworfenen Mädchen - und die Frau rannten vor den Flammen davon.

Für Shi Tai-Po und seinen Sohn Yang war es gar keine Frage, Fei-yen vor den Flammen zu retten.

Sie hätten es für jeden getan, auch für einen Wildfremden.

Sun Chengs Enkelin aber fühlten sie sich besonders verpflichtet.

Der Wäschereibesitzer war Shi Tai-Pos bester Freund gewesen, über viele Jahre hinweg.

Leider waren der alte Schuster und sein Sohn zu spät gekommen, um dem Freund zu helfen.

Als sie mit den anderen Männern ihres Viertels das Haus stürmten, klaffte in Sun Chengs Hals schon die häßliche Wunde.

Wenn er selbst so schrecklich verletzt worden wäre, hätte es Shi Tai-Po nicht schlimmer treffen können als beim Anblick seines alten Freundes, der in grotesker Haltung vor der Wäschemangel hockte und dabei zuzusehen schien, wie das Leben rot aus ihm herausfloß.