Das ehemals prächtige Haus bestätigte wenige Sekunden später seine Worte. Es stürzte vollends ein und überschüttete die ältere Chinesin mit seinen Trümmern.
Hätte Yang sie zu retten versucht, läge er jetzt selbst unter dem schweren, heißen Schutt begraben.
*
Die Explosion der beiderseitigen Lust bedeutete nicht ihr Ende.
Eine Weile lagen Jacob und Shu-hsien dicht aneinandergepreßt. Jeder spürte den Atem und genoß die sachten Regungen und die Wärme des anderen.
Langsam begannen sich die beiden Menschen zu bewegen, erkundeten einander erneut und fanden wieder zueinander.
Jacob hatte so etwas noch niemals erlebt. Er wußte nicht, ob die junge Chinesin eine erfahrene Liebhaberin war oder ein Naturtalent.
Es war auch bedeutungslos. Wichtig war nur, was sie füreinander empfanden.
Diese Nacht voller Liebe, Leidenschaft und Lust schien niemals zu enden - und fand dann doch ein jähes Ende, das nicht von den beiden Liebenden ausging.
Die schmale Tür flog ins Zimmer und krachte mit solcher Wucht gegen die Wand, daß sie halb aus den Angeln fiel. Ein Mann hatte sie eingetreten.
Der schlanke Mann mit dem Dämonengesicht grinste unter seinem dunklen Schnurrbart. In einer Hand hielt Cyrus Stanford einen Revolver, in der anderen eine Peitsche.
Auf dieses Instrument schien er nicht verzichten zu können, so schnell hatte er sich Ersatz besorgt. Vor einigen Stunden erst hatte Jacob Stanfords Fischbeinpeitsche zerstört.
»Oh, ich störe wohl«, tat Stanford überrascht und zog die dunklen Brauen über den tiefliegenden Augen hoch. Seine Fratze blickte spöttisch.
»Leider habe ich keine Zeit, später wiederzukommen.«
Seine Stimme wurde schärfer.
»Wenn ich bitten darf, Dutch!«
Jacob löste sich von Shu-hsien, stieg aus dem Bett und griff nach seiner Hose.
»Hübsch vorsichtig!« ermahnte ihn der Mann mit der Peitsche. »Sonst spuckt mein Schießeisen heißes Blei!«
Aber Jacob wollte gar keinen Trick versuchen. Nicht, solange Shu-hsien von einer verirrten Kugel getroffen werden konnte.
Kaum hatte er die Hose angezogen, sagte Stanford: »Komm endlich her, sonst ist die Nacht vorbei!«
Der Deutsche gehorchte.
Er hatte die Tür noch nicht ganz erreicht, als sich die Peitschenschlinge um seinen Hals wickelte und schmerzhaft zusammenzog.
Stanford lachte und ging hinaus auf den Gang.
Dabei riß er den an der Peitsche hängenden Auswanderer mit sich, wie ein ungeduldiger Mann einen Hund mit der Leine weiterzog.
Aber für einen Hund konnte es kaum so schmerzhaft sein wie für Jacob. Sein Hals brannte. Der junge Zimmermann konnte kaum noch atmen.
Mit beiden Händen griff er nach der Lederschnur, um ein stärkeres Zusammenziehen zu verhindern.
Stanford löste die Schlinge und schlug erneut zu, immer und immer wieder.
Zu schnell für Jacob. Er konnte nur die Arme hochreißen und versuchen, sein Gesicht vor den ärgsten Verletzungen zu schützen.
Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Schon gar nicht wurde er sich darüber klar, wo Stanford plötzlich herkam, wer noch bei ihm war und weshalb Elihu nicht eingriff.
Irgendwann bekam der Auswanderer die Lederschnur zu fassen und hielt sie krampfhaft fest.
Als Stanford um so stärker an ihr zog, ließ Jacob sie ganz plötzlich los.
Stanford stolperte rückwärts, verlor das Gleichgewicht und stürzte mit einem schweren Krachen auf die hölzernen Bodenbretter. Der Revolver fiel aus seiner Hand und schlitterte über den Boden.
Jacob warf sich auf den gestürzten Mann und hieb mit den Fäusten auf ihn ein.
Wie Stanford zuvor ihn, so ließ er jetzt den Seemann nicht zur Besinnung kommen.
Stanford hatte es verdient, bei all den Schmerzen, die er Jacob zugefügt hatte.
Dem Deutschen und anderen Männern.
Schon auf dem Walfänger LUCIFER hatte der Steuermann seine sadistische Neigung mit der Peitsche ausgetobt und dem jungen Auswanderer vor versammelter Mannschaft fünfundzwanzig Schläge verabreicht. Strafe für angeblichen Ungehorsam. Die roten Narben auf Jacobs Rücken zeugten davon.
Noch viel schlimmer als der Schmerz war die Erniedrigung gewesen, vor aller Augen mißhandelt zu werden und nichts dagegen tun zu können.
Die inneren Qualen waren die wahrhaft bedeutenden Narben, die Jacob zurückbehalten hatte.
Dafür wollte er sich an dem sadistischen Seemann rächen. Jacob benötigte keine Peitsche. Er benutzte seine natürlichen Waffen. Immer wieder flogen seine Fäuste in Stanfords Gesicht. Jacob fühlte sich wie im Rausch.
Aber es war ein anderer Rausch als der beglückende, den er bei seiner Vereinigung mit Shu-hsien genossen hatte.
Es war ein böser Rausch, weil er einem anderen Menschen Schmerzen zufügte.
Und doch gab Jacob sich ihm hin. Auch er war nur ein Mensch. Und ein anderes Mittel, einem Mann wie Cyrus Stanford beizukommen, fiel ihm nicht ein.
Selbst wenn er eines gekannt hätte, in diesen Sekunden, wo der Rausch der Rache ihn gepackt hatte, hätte er sicher nicht daran gedacht.
Der Rausch nahm ein jähes Ende, als etwas gegen Jacobs Kopf schlug, hart und schmerzhaft.
Der rittlings auf Stanford kniende Deutsche wurde von dem Widersacher heruntergeschleudert.
Für wenige Sekunden sah der Auswanderer nur bunte Lichter, die in seinem von Schwärze erfüllten Kopf explodierten.
Dann konnte er wieder die Wirklichkeit erkennen. Er sah den Stiefel, der gegen seinen Kopf getreten hatte. Er gehörte einem pockennarbigen Mann, dessen schiefe Augen mitleidlos auf den am Boden liegenden Deutschen blickten.
Der Russe Petrov, ehemals Steuermannsmaat auf der LUCIFER, zielte mit einem Remington-Revolver auf den Auswanderer. Der zurückgezogene Hahn signalisierte Petrovs Bereitschaft zu schießen.
»Bleib hübsch am Boden, Junge«, sagte der Russe. »Sonst kann ich dem nervösen Zucken in meinem Zeigefinger nicht länger widerstehen!«
»Gib dich dem Zucken doch ruhig hin, Petrov«, knurrte ein anderer Mann. »Ich verspüre nämlich dasselbe Verlangen und würde zu gern sehen, wie sich der Deutsche mit einem dritten Auge macht - mitten in der Stirn!«
Der Sprecher stand schräg hinter Petrov und war ebenfalls mit einem Revolver bewaffnet. Es war Stanfords zweiter Gefolgsmann, Frenchy.
Jacob sah ein, daß er keine Chance gegen die beiden hatte.
Frenchy schien geradezu wild darauf zu sein, ihn mit heißem Blei zu spicken.
Und wenn es bei Petrov eine kühlere Art von Bereitschaft war, machte das den Russen nur gefährlicher.
Cyrus Stanford wälzte sich stöhnend am Boden, kam auf die Knie, beugte sich vornüber und spuckte blutigen Auswurf auf den Boden.
Dann wandte er den Kopf dem Deutschen zu. Die Augen in seinem Dämonengesicht blickten Jacob in einer Weise an, als wollten sie ihn durchbohren.
»Verdammter Mistkerl!« röchelte der Steuermann. »Dir werde ich es zeigen!«
Er stand auf und schwankte dabei wie auf einem Schiff bei starkem Seegang.
Schließlich hatte er sich einigermaßen in der Gewalt und hob seine Waffen auf.
Breitbeinig stand er vor dem Auswanderer, der noch immer am Boden lag.
»Du hast mir zum letztenmal Ärger gemacht, verdammter Dutch. Jetzt peitsche ich jeden Widerstand aus dir heraus - und dein Leben!«
Kaum hatte er ausgesprochen, da pfiff die Lederschnur auch schon durch den Gang.
Mit einer schnellen Bewegung rollte sich Jacob zur Seite. So traf das Leder nicht sein Gesicht, sondern nur seine Schulter. Aber auch das war ziemlich schmerzhaft.
Wieder und wieder schlug Stanford zu.
Nach besten Kräften versuchte der Auswanderer, den Schlägen zu entgehen oder zumindest sein Gesicht zu schützen.
Es gelang nicht immer.
Als der Sadist erneut die Rechte zum Schlag erhob, sprang ihn plötzlich etwas von hinten an.