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Jacob hätte sie gern getröstet, aber ihre Lage ließ es nicht zu.

»Hier brennt es ja schon!« stieß Frenchy überrascht aus, als die Männer des Hais und ihre Gefangenen im Erdgeschoß ankamen. »Wird höchste Zeit, daß wir die Bude verlassen!«

»Sag ich doch«, raunzte Tom.

Der Eingangsbereich stand in Flammen.

Noch nicht so, daß ein Durchkommen unmöglich war.

Aber es war absehbar, daß das ganze Gebäude innerhalb weniger Minuten brennen würde wie eine Fackel.

Alles war hier aus Holz und damit ein leichtes Opfer für die Flammen: Wände, Böden, Möbel.

Mit Schrecken dachte Jacob an das Schicksal, das die ahnungslosen Waisenkinder erwartete.

Noch einmal versuchte er, Bremer und seine Begleiter dazu zu bewegen, die Menschen im Haus zu retten. Er konnte sich nicht vorstellen, daß jemandem das Leben vieler unschuldiger Kinder derart gleichgültig war.

Die Männer des Hais belehrten ihn eines Besseren -vielmehr eines Schlechteren.

Sie hatten nur höhnischen Spott und einen schmerzhaften Hieb in Jacobs Rippen für sein Ansinnen übrig.

Als sie auf die Bolding Street traten, herrschte dort heller Aufruhr.

Die Menschen verließen ihre Häuser, schrien um Hilfe oder versuchten, mit Wassereimern das Feuer einzudämmen.

Vergebens.

In Richtung Chinatown stand alles in Flammen. Der Himmel war nicht mehr nachtblau, sondern rot.

Wie an den Spätherbstabenden in Deutschland, die Jacob als Kind so geliebt hatte.

Eine Glocke übertönte das Chaos.

»Die Feuerwehr!« rief jemand.

»Macht Platz für den Löschzug!« bellte ein anderer.

»Hurra!« schrie eine dritte Stimme. »Es sind die Jungs von Social Three. Sie kommen uns zu Hilfe. Social Three wird das Feuer löschen!«

Jacob sah die seltsam protzigen Uniformen der Freiwilligenkompanie. Vergoldete Helme und golden glänzende Umhänge.

Die Spritze, die von den Männern durch die Bolding Street gezogen wurde, war von vorn bis hinten und von oben bis unten versilbert.

Das Ganze wirkte mehr wie eine Parade als wie ein ernsthafter Einsatz.

Doch so waren sie, die berühmten Feuerwehrleute von San Francisco. Jede der vielen Freiwilligenkompanien pflegte ihre eigene Macke. Aber das beeinträchtigte nicht ihre Leistungsfähigkeit.

Die Männer der Kompanie Social Three bewiesen es. Ihr Captain hob das Megaphon an die Lippen und erteilte routiniert seine Anweisungen.

Da die Megaphone der Feuerwehrleute üblicherweise versilbert waren, war seines natürlich vergoldet.

Die Männer gehorchten wie ein einziger und brachten die im Feuerschein glänzende Spritze mit geübten Griffen in Stellung.

Von allen Seiten liefen Bewohner dieses Viertels, Männer und Frauen, auf den Captain zu und bestürmten ihn, ihr Haus oder ihren Straßenzug zuerst unter Wasser zu nehmen.

»Das Waisenhaus geht vor«, knurrte er nur und kümmerte sich nicht weiter um sie.

Die aus dem Waisenhaus kommenden Männer und die Chinesin gerieten mitten in den Trubel. Ohne auf die Waffen der Gangster zu achten, liefen die aufgeschreckten Menschen zwischen ihnen hindurch.

Jacob sah seine Chance gekommen.

Vielleicht die einzige, die er noch hatte, um die Menschen im Waisenhaus zu retten.

Er stieß seine Ellbogen gegen die Männer, die ihn gepackt hielten.

Sie waren so überrascht, daß er tatsächlich freikam.

Einem von Shu-hsiens Bewachern hieb er die Faust mitten ins Gesicht.

Er hörte das Knirschen, als die Nase des Mannes brach.

Dem anderen trat er gleichzeitig dahin, wo es einem Mann am meisten weh tat.

Der Getroffene krümmte sich zusammen und ließ die Gefangene los. Der Gangster benötigte seine Hände, um die schmerzende Stelle vor weiteren Mißhandlungen zu schützen.

Aber darauf war Jacob gar nicht aus.

Er packte Shu-hsien an der Hand und riß sie mit sich fort.

»Komm!« rief er ihr zu und zog sie mitten in den Haufen der Feuerwehrleute hinein.

Der schießwütige Frenchy jagte ihnen ein paar ungezielte Schüsse nach.

Sie trafen niemanden. Aber eine Kugel schlug mit einem hellen Geräusch gegen die Feuerspritze und hinterließ eine häßliche Schramme auf der glänzend polierten Oberfläche.

»Die Schweine schießen auf unsere Feuerwehr!« rief ein bärtiger Mann empört, zog seinerseits einen großkalibrigen Revolver und nahm Bremers Trupp unter Feuer. Andere schlossen sich ihm an.

Zähneknirschend befahl der rattengesichtige Mann angesichts der Übermacht den Rückzug. Die Gangster rannten zu ihren Pferden.

Einer der Feuerwehrleute hatte vergessen, daß er den Wasserschlauch an die Sauganlage der Pumpe anschließen sollte. Er stand vor Jacob und Shu-hsien und starrte mit offenem Mund die schöne nackte Frau an.

»Was haben Sie, Mister?« fragte Jacob, froh, Bremers Männern entkommen zu sein.

»Ihre. Ihre Begleiterin ist völlig nackt.«

»Ja, das stimmt«, nickte der junge Deutsche. »So ein goldener Umhang würde ihr gut stehen.«

»Oh, gewiß doch«, stammelte der Feuerwehrmann. »Verzeihen Sie, daß ich nicht selbst daran dachte.«

Umständlich nahm er sein Cape ab und hielt es den beiden anderen hin.

»Danke«, sagte Jacob, nahm es ihm aus der Hand und legte es um die Schultern der Chinesin.

Shu-hsien schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

Der Feuerwehr-Captain lief zu ihnen. Sein eisgrauer Walroßschnauzbart zuckte vor Erregung.

»Was soll der Zauber?« brüllte er Jacob und Shu-hsien an. »Warum behindern Sie unsere Löscharbeiten?«

»Es war die einzige Möglichkeit, den Gangstern zu entkommen«, antwortete Jacob.

»Was für Gangster?«

»Die Kerle, die eben geschossen haben. Sie haben das Waisenhaus überfallen.«

»Warum denn das? Beim Reverend gibt's doch nichts zu holen. Weiß doch jeder, daß Hume ständig Ebbe in der Kasse hat, weil er immer neue Schäfchen bei sich aufnimmt.«

»Die Geschichte ist zu lang«, erwiderte der Auswanderer. »Jetzt ist nur wichtig, daß Sie das Feuer möglichst lange vom Waisenhaus abhalten. Ich muß noch mal hinein. Die Schäfchen sind nämlich noch drinnen.«

»Nein, Jake!« rief Shu-hsien und umklammerte seinen Arm. »Das ist zu gefährlich!«

Er blickte in ihre wunderschönen Katzenaugen und sagte: »Denk an die Kinder, Shu-hsien!«

»Ja«, seufzte sie und schämte sich ihres Eigennutzes. »Du hast recht.«

»Ich gebe Ihnen vier Männer mit«, entschied der Captain und rief diejenigen mit Namen, die Jacob begleiten sollten.

Der junge Deutsche wartete nicht auf sie, sondern rannte nach einem letzten Blick auf Shu-hsien in das bereits heftig brennende Erdgeschoß zurück.

Die vier Männer von Social Three folgten ihm. Jeder von ihnen trug eine große Axt.

»Nicht so schnell, Mister!« rief einer von ihnen dem Auswanderer zu. »Wenn Sie sich hier auskennen, sagen Sie uns, was wir tun sollen!«

»Jeder nimmt sich ein Stockwerk vor und holt die Kinder heraus. Einer muß die Besenkammer suchen. Der Reverend und seine Köchin sind dort eingesperrt.«

»Eingesperrt?« wiederholte der Feuerwehrmann und machte unter seinem golden glänzenden Helm ein verblüfftes Gesicht. »Der Reverend und seine Haushälterin? In der Besenkammer? Sie machen einen Scherz, Mister!«

»Ist wohl kaum die Zeit dafür«, knurrte Jacob unwillig.

»Ist ja schon gut, in Ordnung«, erwiderte der Feuerwehrmann, als er den Ernst erkannte, der in Jacobs Stimme und in seinem Gesicht lag. »Ich nehme mir die Besenkammer vor.«

Sie waren gerade noch rechtzeitig ins Haus gelaufen.

Bis jetzt hielt sich das Feuer noch überwiegend an die Fassade.

Aber es war absehbar, daß die Außenwände innerhalb weniger Minuten den mächtigen Hunger der Flammen nicht mehr würden stillen können.