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»Miß Wang«, wandte er sich deshalb an die Chinesin. »Sagen Sie mir bitte alles, was Sie über den Hai von Frisco wissen. Und alles, was auf zwei mögliche Gefangene, Irene und Jamie, hindeuten könnte.«

Die schöne Chinesin blickte den Deutschen verständnisvoll an.

»Ich vermute, der Hai sitzt im obersten Stockwerk des Golden Crown. Und ich vermute auch, daß er Ihre Begleiterin und deren Sohn dort gefangenhält, Mr. Adler.«

Jacob war verblüfft. Das war fast mehr, als er sich erhofft hatte. Und es kam so unerwartet.

»Woher. wissen Sie das?«

Er stotterte vor Überraschung.

»Ich weiß es nicht. Ich sagte, ich vermute es.«

»Ist doch gleichgültig«, rief der junge Auswanderer erregt. »Dann sagen Sie mir eben, wie Sie zu dieser Vermutung kommen. Bitte!«

»Ich weiß von Henry Black, daß ihm das Golden Crown nicht oder zumindest nicht allein gehört«, antwortete die Chinesin. »Er selbst hat mir von einem geheimnisvollen Kompagnon erzählt. Es gibt mehrere Hinweise auf diesen geheimnisvollen Mann. Er schien seit ungefähr der Zeit da zu sein, seit der auch der ominöse Hai San Francisco unsicher macht. Und seitdem ist auch das oberste Stockwerk des Golden Crown für fast alle Menschen tabu. Nur Henry Black geht dort ein und aus. Man munkelt, er nimmt da oben die Befehle des Hais entgegen.«

Elihu beugte sich vor und fragte: »Warum zeigt sich der Hai niemals?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Susu Wang schulterzuckend. »Vielleicht will er nicht erkannt werden. Ich weiß es wirklich nicht. Bis jetzt ist es mir nicht gelungen, nach oben vorzudringen, zu ihm. Der Neger paßt zu gut auf.«

»Welcher Neger?« wollte Reverend Hume wissen.

»Die kleine, unbedarfte Sängerin Susu Wang, für die sie mich im Golden Crown halten, wäre fast von Henry Black vergewaltigt worden. Es war dicht dran«, sagte sie bitter und erzählte von dem Eingreifen des Schwarzen. »Warum er mir geholfen hat, weiß ich auch nicht. Doch irgendwie vermute ich, daß es auf Befehl des Hais geschah.«

»Es wäre wohl das erstemal, daß der Hai etwas Gutes tut«, meinte der Reverend.

»Wie kommen Sie darauf, daß der Hai den Schwarzen geschickt haben könnte, Miß Wang?« erkundigte sich Jacob.

»Wenn Buster, so wird der Neger genannt, nicht gerade irgendwo herumschnüffelt, hält er sich im obersten Stock auf. Meine Freunde, die im Golden Crown arbeitenden Landsleute, halten ihn für den Leibwächter des Hais.«

»Hm«, machte Jacob nachdenklich, denn das Bild wies ihm noch entschieden zu viele Lücken auf. »Hat der Schwarze denn gar nichts gesagt, als er Ihnen half?«

»Er spricht niemals. Es heißt, er sei stumm.«

»Was ist mit Irene und Jamie?« fragte der Auswanderer weiter. »Weshalb glauben Sie, der Hai hält sie im Golden Crown gefangen?«

»Meine Vermutung, daß der Hai dort oben lebt, begründet sich auch darauf, daß die Küche des zum Golden Crown gehörenden Restaurants morgens, mittags und abends zwei komplette Gerichte nach oben bringen muß. Das Essen für den Hai und Buster, denke ich. Seit ein, zwei Tagen sind es aber immer drei Essen, die nach oben gebracht werden.«

»Vielleicht ein Gast«, meinte der Reverend.

»Oder ein Gefangener«, widersprach der Harpunier.

»Eine Gefangene«, sagte Jacob. »Irene!«

»Es wäre möglich«, stimmte ihm die Chinesin zu.

Jacob sprang auf und verschüttete dabei einen Teil des Kaffees.

»Wir müssen sofort zum Golden Crown!« rief er.

»Und dann?« fragte der Reverend.

»Ist doch klar!« antwortete Elihu anstelle des Deutschen und ballte eine Hand zur kräftigen Faust. »Wir hauen Jakes Freundin und das Kind heraus! Und wenn wir schon mal dabei sind, machen wir aus dem Hai Hackfleisch!«

»Wenn das so einfach wäre, hätten es schon andere getan«, seufzte Susu Wang. »Aber im Golden Crown treibt sich immer eine Anzahl Bewaffneter herum. Die Leute von diesem rattengesichtigen Louis Bremer und andere. Wenn man das Golden Crown stürmen will, benötigt man eine kleine Armee.«

»Verdammt, dann stellen wir eben eine Armee zusammen!« brüllte Elihu so laut, daß er sich mißliebige Blicke des Reverends zuzog. »In Frisco gibt es schließlich Polizei und Militär.«

»Genau«, nickte Jacob zustimmend.

Er war aufgeregt. Seine Hände waren schweißnaß. Er konnte kaum noch an etwas anderes denken als daran, den großen Vergnügungspalast am Portsmouth Square zu stürmen, um Irene und Jamie aus der Gewalt des Hais zu befreien.

»Wenn Polizei oder Militär einen Sturmtrupp aufstellt, müssen vorher eine Menge Formalitäten erledigt werden«, sagte die Chinesin. »Das dauert seine Zeit.«

»Na und?« fragte der deutsche Auswanderer. »Wenn wir hier nur herumsitzen und nichts unternehmen, vergeht auch Zeit!«

»Das meinte ich nicht«, erwiderte Susu Wang geduldig. »Ein Sturmangriff auf das Golden Crown wird sich nicht geheimhalten lassen, nicht vor dem Hai. Auch wenn ihn selbst niemand sieht, er hat seine Augen und Ohren überall. Ich bin mir ziemlich sicher, daß er auch Spitzel bei der Polizei und bei der Armee hat. Wenn er aber gewarnt wird, wird er kaum in Seelenruhe auf uns warten.«

»Das stimmt, verflucht«, knurrte der Harpunier. »Der Vogel wird sein Nest verlassen.«

»Das befürchte ich, Mr. Brown«, fuhr die Chinesin fort. »Und dann wird er vermutlich seine Gefangenen mitnehmen -oder etwas anderes mit ihnen machen.«

Ganz bewußt sprach sie nicht aus, was sie mit diesem etwas anderem meinte. Jacob verstand sie auch so. Und der Gedanke war gar nicht abwegig.

Wenn sie unüberlegt handelten und damit riskierten, daß der Hai frühzeitig gewarnt wurde, brachte das Irene und Jamie in große Gefahr.

In die Gefahr, vom Hai getötet zu werden!

Gründe dafür gab es einige.

Vielleicht war es dem Hai zu umständlich, auf seiner Flucht Gefangene mitzunehmen.

Vielleicht wollte er keine lästigen Zeugen seiner Schandtaten und seiner Identität zurücklassen.

Vielleicht wollte er sich durch den Tod der Gefangenen auch nur an denjenigen rächen, die ihn bedrängten.

Es mußte nicht so sein, aber die bloße Möglichkeit genügte, um Jacob eine Heidenangst einzujagen.

Susu Wang hatte recht: Ein großer Angriff auf das Golden Crown barg zu viele Risiken für Jamie und Irene.

»Ich sehe es ein, wir müssen es allein machen«, sagte er deshalb und blickte Elihu an.

»Ich bin natürlich dabei, Jake«, versicherte der Harpunier ohne Zögern. »Ich habe dir doch versprochen, daß ich nicht eher von deiner Seite weiche, bis du deine Freundin und das Kind wiedergefunden hast.«

»Sie sollten nichts überstürzen«, ermahnte Reverend Hume die beiden Freunde. »Zur Zeit dürfte der Hai in höchste Alarmbereitschaft versetzt sein. Sein Angriff auf Sun Chengs Wäscherei beweist es. Außerdem sehen Sie beide ziemlich mitgenommen aus. Wäre es nicht besser, wenn Sie sich erst mal ein wenig ausruhen und alles in Ruhe überlegen, bevor Sie etwas gegen den Hai unternehmen? Bedenken Sie, welche schwerwiegenden Folgen ein falsches Handeln für Mr. Adlers Freundin und ihr Kind haben kann, wenn sie tatsächlich die Gefangenen des Hais sind!«

»Stimmt schon«, erwiderte Jacob zögernd. »Aber was ist, wenn gerade unser Zaudern die beiden in Gefahr bringt? Wenn ihnen in dieser Zeit etwas zustößt?«

»Das glaube ich nicht«, versetzte Hume mit Nachdruck. »Der Angriff auf Sun Chengs Haus beweist, daß der Hai im Augenblick andere Sorgen hat. Solange man ihn nicht reizt und in die Enge treibt, wird er nichts gegen die Gefangenen unternehmen.«

»Vielleicht haben Sie recht«, sagte Jacob und setzte sich wieder auf den bequemen Korbstuhl.

»Sehr vernünftig«, lächelte der Reverend. »Außerdem wäre es schade um Mrs. Goldridges Arbeit. Sie bereitet nämlich schon die Zimmer für euch drei vor.«