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«As-sa», stöhnte er. Er heulte.

«Ich hab kein Wasser», rief Carl, wand ihm das Gewehr aus den Händen und zeigte über seine Schulter nach hinten. «Tindirma. Da.»

Er rannte. Im Laufen warf er sich den Gewehrriemen über den Kopf und suchte den Sicherungshebel. Das Gewehr hatte keinen Sicherungshebel. Es war aus Holz.

67. DER KÖNIG VON AFRIKA

Wir erschufen den Himmel und die Erde und was zwischen beiden ist nicht zum Spiel. Hätten Wir uns einen Zeitvertreib schaffen wollen, so könnten Wir ihn wohl mit uns treiben, wenn Wir das überhaupt wollten.

Sure 21,16+17

Rhythmisch hämmerte sein Schädel gegen die Eisenstange, und mit einem Mal meinte er undeutlich, ein Nachgeben der Stange zu spüren. «Zu den Waffen, Bürger», murmelte er, riss kraftlos an der Kette und sackte seitwärts um. Drückte sich hoch, schob mit beiden Händen das Metall vor und zurück und wusste nicht, ob sich nur das aufgeweichte Fleisch an seinen Händen bewegte oder auch der Metallstift im Grund.

Wie Kinder, die einen wackligen Milchzahn im Mund spüren und ihn daraufhin so lange mit der Zunge betasten und daran herumdrücken und — schieben, bis bald nicht nur der Zahn, sondern auch die Zunge und die gesamte Mundhöhle so taub sind, dass sie beim besten Willen nicht mehr sagen könnten, ob der Milchzahn jemals lose war, so zog und zerrte Carl an der Befestigung. Er warf sich mit dem Körper dagegen, schaukelte hin und her und setzte das geistlose Pendeln unter entsetzlichen Schmerzen fort, bis seine Kräfte endgültig erlahmten. Das Ergebnis seiner Anstrengungen wagte er lange nicht zu überprüfen, aber als er schließlich den Oberkörper einmal aufrichtete, zog er die Stange ganz ohne Mühe aus dem felsigen Grund.

Er platschte auf allen vieren ans Ufer, fiel mit dem Kopf gegen einen Stein und lag lange schluchzend in der Dunkelheit.

Den schmalen Gang aus der Schlammhöhle hinaus fand er ohne Mühe: um einen großen Fels herum, dort begann der Aufstieg. Rechts und links ertastete er mit Meißelspuren bedeckte Felswände, der Weg war kaum schulterbreit. Die Halskette mit dem Eisenpfahl schleifte hinter ihm her. Alle paar Sekunden verstummte das Geräusch, wenn er innehielt, um einen Arm ins Dunkel auszustrecken. Das Bedürfnis, an Ort und Stelle zusammenzusacken und einzuschlafen, war ungeheuer groß, aber noch größer war jetzt der Wille, die Finsternis so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Wie erwartet wichen die Wände bald zurück. Er erkannte es am Hall.

Wenn er sich richtig erinnerte, befand er sich nun in einem mannshohen Korridor, von dem verschiedene Gänge abzweigten. Wie viele Gänge und welcher davon der richtige war, das wusste er nicht. Kurz entschlossen kroch er in den nächsten Gang zur Rechten, der auch prompt nach oben führte. In langen, gewundenen Schleifen ging es durch den Fels. Dann kam ein kurzes flaches Stück, dann ging es wieder hinauf. Carl spürte, wie die vom Wasser aufgeweichte Haut sich blutig abzulösen begann. Zwei- oder dreimal versuchte er, sich aufzurichten, aber die Angst vor unsichtbaren Abgründen ließ ihn immer sofort zurück auf alle viere fallen. Auch fehlte die Kraft zum Gehen. Und plötzlich versperrte eine Gerölllawine den Weg. Er tastete umher. Seine linke Hand griff in ein glitschiges, stinkendes Etwas. Er versuchte, über das Geröll hinwegzusteigen, aber es reichte bis zur Decke hinauf. Ein schrecklicher Verdacht überfiel ihn.

«Das haben sie nicht gemacht!», rief er. «Das hätten sie nicht machen müssen!» Entsetzlich langsam und taumelnd schlitterte und rutschte und robbte er den ganzen Weg in die mannshohe Höhle zurück, und er wandte sich abermals nach rechts. Er war kaum noch bei Sinnen.

Der nächste Gang führte steil in die Tiefe und der Gang dahinter ebenfalls. In beide kroch er nur wenige Meter hinein, bis das Gefälle ihn davon überzeugt hatte, dass er falsch war.

Danach führte ein Weg wieder bergauf. «Das ist der richtige, das muss er sein», sagte er und schrappte Hand vor Hand voran. Sekundenschlaf überwältigte ihn. Der Gang nahm kein Ende. Aufwärts, dann ein flaches Stück, dann wieder bergauf. Dann versperrte eine Gerölllawine seinen Weg. Mit der linken Hand griff er in ein glitschiges, stinkendes Etwas.

Er hörte sich schreien wie ein zweijähriges Kind, und als er sich ein wenig beruhigt hatte, versuchte er herauszufinden, was das Glitschige eigentlich war. Ob es etwas Verwesendes oder etwas möglicherweise noch Ess- oder Trinkbares war. Aber nach anderthalb Tagen im Schlammloch waren seine Sinne stumpf. Er konnte es nicht erkennen, und dass er überhaupt auf solche Gedanken kam, machte ihm klar, dass sein endgültiger geistiger und körperlicher Zusammenbruch unmittelbar bevorstand.

Zurück in der Höhle markierte er die Sackgasse, die er nun zweimal hinaufgekrochen war, mit einem Stein. Dann überlegte er, wie viele Gänge von der Höhle insgesamt abgingen. Waren es drei? Oder vier? Er wusste es nicht. Er konnte sich nicht erinnern. Um sicherzugehen, kroch er eine weitere schmerzhafte Runde gegen den Uhrzeigersinn. Einer, der hinabführte … noch einer, der hinabführte … dann kam schon der Markierungsstein. Also nur drei Gänge! Eine Sackgasse, ein Gang, der am Schlammtümpel endete, und einer, der in die Freiheit führte. Führen musste. Aber welcher? Der rechte? Der linke? Völlige Dunkelheit senkte sich über sein logisches Denken. Einen Raum mit drei Ausgängen, den man bei Licht gesehen hat, kann man als Gewissheit abspeichern. Drei Gänge, die man in einer nachtschwarzen Höhle ertastet, sind nichts weiter als ein gestaltloser Albtraum. Ihm kam es vor, als müsse der Gang, der nicht unmittelbar neben dem markierten Gang lag, der richtige sein. Aber dann wieder schien es ihm, als ob bei drei Ausgängen immer jeder Gang unmittelbar neben jedem anderen lag. Er hörte sich im Dunkeln keuchen. Seine Intuition verlangte hartnäckig eine Drehung nach links, weil er sich bisher immer rechtsum gewandt hatte, aber die gleiche Intuition sagte ihm auch, dass sein räumliches Denken so verworren war, dass auf die Intuition selbst kein Verlass sein konnte, und so wandte er sich abermals nach rechts.

Der Gang, auf den er so stieß, führte zehn oder fünfzehn Meter steil bergab, wurde dann flacher und verzweigte sich in Form einer Kreuzung.

Beide Seitenarme, wie Carl herausfand, waren lang und tot. Er brachte Markierungen vor den Gängen an und kroch weiter. Seine letzten Hoffnungen schwanden. Im Schlamm hatte er wenigstens noch gegen konkrete Gegner gekämpft, gegen Wasser und Metall. Hier kämpfte er mit dem Nichts. Stickige, heiße, vielarmige Finsternis, die ihn verschlang. Schon verschlungen hatte.

Rechts und links zweigten weitere Wege ab. Er fand keine Steine, mit denen er sie hätte markieren können, und ließ sie unerforscht. Irgendwann bog er in einen Gang, der ihm etwas breiter schien als die anderen. Am Rand lagen Kiesel und Steine, und er versuchte vergeblich, einige davon im Mund mitzuführen. Er hätte reichlich Gelegenheit gehabt, sie zu verwenden. Alle paar Meter gab es nun Abzweigungen. Es ging nach links und nach rechts, bergauf und bergab, und irgendwann sackte er zusammen und blieb liegen. Das Gesicht auf kühlem Fels. Ohne fremde Hilfe würde er diesem Labyrinth nie entkommen. Er hoffte, einfach wegdämmern und friedlich sterben zu können, aber die Endgültigkeit des Todes hielt den Schlaf von ihm ab. Vielleicht diesen breiten Gang noch zu Ende. Auf zerfetzten Händen, Ellenbogen und Knien schleppte er sich durch eine lange, langgezogene Kurve — und da wurde es hell.

Es war ein ganz unwirkliches, jenseitiges, körperloses Licht. Es lag auf keinem Gegenstand, es schwamm wie Nebel vor seinem Auge. Er drehte den Kopf hin und her, aber der Lichtnebel drehte sich nicht mit. Inmitten des Nebels ein Punkt. Er starrte knapp daran vorbei, und der Punkt wurde deutlicher. Mit letzter Kraft kroch er noch zwanzig, dreißig Meter darauf zu, bis er sich vergewissert hatte, dass der Schimmer stetig an Intensität zunahm und nur als mehrfache Reflexion vom fernen Ausgang her kommen konnte. Und dann brach er zusammen.