Wenn deine Nummer aufgerufen wird, brauchst du keinen Militärdienst zu leisten und erhältst jedes Jahr einen besonderen Steuerfreibetrag von 750 Dollar. Große Sache.
Noch etwas, worauf sie sehr stolz sind, ist das Programm der freiwilligen Spende unpaariger Organe. Das hat nichts mit dem Zwangseinzug zu tun, bei dem, jedenfalls bisher, nur paarige Organe requiriert werden, Organe, die man entbehren kann, ohne sterben zu müssen. Seit zwölf Jahren kann man jedes beliebige Krankenhaus der Vereinigten Staaten betreten und ein einfaches Formular unterschreiben, das den Chirurgen erlaubt, einen aufzuschneiden. Augen, Lungenflügel, Herz, Gedärme, Bauchspeicheldrüse, Leber — alles kann man hergeben. Dieses Verfahren wurde in einfacheren Zeiten Selbstmord genannt und von der Gesellschaft mißbilligt, vor allem in Zeiten eines Mangels an Arbeitskräften. Jetzt haben wir einen Überschuß an Arbeitskräften, denn obwohl unser Bevölkerungszuwachs seit Mitte des Jahrhunderts ziemlich gering war, ist das Wachstum der Arbeiter sparenden mechanischen Anlagen und Verfahren enorm gewesen. Sich zu dieser Art von Totalspende zu entschließen, gilt daher als Tat von höchstem gesellschaftlichem Nutzen, weil sie dem überfüllten Reservoir an Arbeitskräften einen gesunden jungen Leib entzieht und gleichzeitig irgendeinem älteren Staatsmann die Sicherheit gibt, daß das Angebot an lebenswichtigen Organen nicht übermäßig schrumpft. Man muß natürlich verrückt sein, um sich da zu melden, aber in unserer Gesellschaft hat es an Verrückten nie gemangelt.
Wird man durch einen glücklichen Zufall mit einundzwanzig nicht aufgerufen, ist man in Sicherheit. Und ein paar von uns schlüpfen, wie man hört, durch die Maschen. Bis jetzt sind mehr von uns in der ganzen Zwangsgemeinschaft, als es Patienten gibt, die Verpflanzungen brauchen. Aber das Verhältnis ändert sich schnell. Das Gesetz ist noch ziemlich jung. Es wird nicht lange dauern, bis sie das Reservoir ausgeschöpft haben, und wie geht es dann weiter? Die Geburtenraten sind heutzutage niedrig; das Angebot an verpflichtbaren Personen ist begrenzt. Die Sterbeziffern sind aber noch niedriger; der Bedarf an Organen ist im Grunde unbegrenzt. Ich kann dir nur eine meiner Nieren geben, wenn ich überleben will; aber du brauchst, wenn du immer weiterlebst, vielleicht mehr als eine Nierenverpflanzung. Manche Empfänger brauchen fünf oder sechs Nieren oder Lungenflügel, bis sie im Alter von hundertsiebzig Jahren oder so endgültig jede Hoffnung auf eine Genesung aufgeben müssen. So, wie jene, die Organe gespendet haben, später selbst Organe verlangen werden, wird sich der Druck auf die Gruppe der Personen unter einundzwanzig steigern. Die der Verpflanzung Bedürftigen werden in der Überzahl gegenüber jenen sein, die Organe spenden können, und jeder, der sich im Reservoir befindet, kommt an die Reihe. Und dann? Nun, man könnte das Einzugsalter auf siebzehn oder sechzehn oder gar vierzehn Jahre senken, aber selbst das wäre nur eine vorübergehende Lösung. Früher oder später gäbe es nicht mehr genug Ersatzorgane für alle.
Bleibe ich? Flüchte ich? Gehe ich vor Gericht? Die Zeit läuft ab. Mein Aufruf wird sicherlich in einigen Wochen kommen. Ich spüre ab und zu ein Prickeln am Rücken, so, als sägte jemand heimlich an meinen Nieren herum.
Kannibalismus. In Tschu-ku-tien, Drachengebeinhügel, fünfundzwanzig Meilen südwestlich von Peking, entdeckten Paläontologen, die zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in einer Höhle gruben, die Fossilienschädel des Pekingmenschen, Pitecanthropus pekinensis. Die Schädel waren an der Basis abgebrochen, was Franz Weidenreich, den Leiter der Ausgrabungen, zu der Hypothese veranlaßte, der Pekingmensch sei Kannibale gewesen und habe die Hirne seiner Opfer durch die Schädelbasis entfernt und sie gekocht und gegessen — an der Grabungsstätte fand man Feuerstellen und Holzkohlenreste — bevor er die Schädel als Trophäen in der Höhle hinterließ. Das Fleisch deines Feindes essen: seine Fähigkeiten, seine Stärken, sein Wissen, seine Leistungen, seine Tugenden in dich aufnehmen. Die Menschheit brauchte fünfhunderttausend Jahre, um sich aus dem Kannibalismus emporzukämpfen. Aber die alte Gier haben wir nie verloren, wie? Es ist immer noch leichter Trost zu gewinnen, wenn man jene verschlingt, die jünger sind, stärker, agiler als du. Wir haben nur die Techniken verbessert, das ist alles. Und so fressen sie uns jetzt roh, die Alten, sie verschlingen uns, Organ um pulsierendes Organ. Ist das wirklich ein Fortschritt? Der Pekingmensch hat sein Fleisch wenigstens gekocht.
Unsere tapfere neue Gesellschaft, wo alle gleichermaßen an den Triumphen der Medizin teilhaben und die verdienten Seniorbürger nicht das Gefühl zu haben brauchen, ihre Meriten und ihr Prestige werden nur durch ein kaltes Grab belohnt — wir singen die ganze Zeit ihr Lob. Wie begeistert alle von der Organspende-Verpflichtung sind — bis auf ein paar verärgerte Eingezogene, versteht sich.
Die kitzlige Frage des Vorrangs. Wer bekommt die gelagerten Organe? Es gibt ein kompliziertes System, mit dem die Hierarchie festgelegt wird. Angeblich soll es von einem Großcomputer entworfen worden sein, womit gottähnliche Unparteilichkeit gesichert wurde. Man verdient sich die Errettung durch gute Taten: Leistungen und Wohlverhalten im Alltagsleben erbringen Punkte, die einen die Leiter hinaufschieben, bis man eine der hohen Einstufungen erlangt, 4 G oder höher. Kein Zweifel, das Einstufungssystem ist unparteilich und wird gerecht angewendet. Aber ist es vernünftig? Wessen Bedürfnisse erfüllt es? 1943, im Zweiten Weltkrieg, gab es einen Mangel an dem neu entdeckten Penicillin bei den amerikanischen Streitkräften in Nordafrika. Zwei Gruppen Soldaten bedurften seiner Wohltaten am meisten: jene, die an infizierten Verwundungen litten, und jene, die sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen hatten. Ein untergeordneter Militärarzt, der nach offenkundigen Moralprinzipien vorging, entschied, daß die verwundeten Helden eine Behandlung eher verdienten als die durch ihre Genußsucht erkrankten Syphilitiker. Er wurde vom leitenden Stabsarzt überstimmt, der erklärte, daß die Geschlechtskranken schneller in den aktiven Dienst zurückgeschickt werden konnten, wenn man sie behandelte; außerdem dienten sie, unbehandelt, als Infektionsträger. Er gab deshalb ihnen das Penicillin und ließ die Verwundeten auf ihren Schmerzensbetten stöhnen. Die Logik des Schlachtfeldes, unbestreitbar, unanfechtbar.
Die große Leiter des Lebens. Kleine Wesen im Plankton werden von größeren gefressen, und die größeren Planktonwesen fallen kleinen Fischen zum Opfer, kleine Fische den großen Fischen, und so weiter hinauf bis zum Thunfisch, zum Delphin und zum Hai. Ich esse Thunfisch und gedeihe und werde dick und speichere Energie in meinen lebenswichtigen Organen. Und werde meinerseits von den verrunzelten, zusammengeschrumpften Senioren gefressen. Das ganze Leben ist miteinander verkettet. Ich sehe mein Schicksal.
In der Frühzeit bestand das Problem darin, daß der Körper das verpflanzte Organ abstieß. Was für eine Verschwendung! Der Körper vermochte nicht zu unterscheiden zwischen einem wohltätigen, wenn auch fremden Organ, und einem eingedrungenen, feindseligen Mikroorganismus. Der als Immunreaktion bekannte Mechanismus wurde mobilisiert, um den Eindringling zu vertreiben. Im Augenblick der Invasion kamen Enzyme ins Spiel, ein Steppenbrandkrieg, der die fremden Substanzen zerlegen und auflösen sollte. Weiße Blutkörperchen ergossen sich über das Kreislaufsystem, wachsame Phagocyten marschierten auf. Durch das Lymphsystem kamen Antikörper, starke Eiweißgeschosse. Bevor man eine Technologie der Organverpflanzungen entwickeln konnte, mußten Methoden gefunden werden, die Immunreaktion zu unterdrücken. Drogen, Strahlungsbehandlung, Stoffwechselschock — so oder so, das Problem der Organabstoßung ist längst gelöst. Ich kann mein Einzugsabstoßungs-Problem nicht lösen. Alte und gierige Gesetzgeber, ich stoße euch und eure Gesetzgebung ab.