»Bestraft genug? Du bist Deserteur, Deserteur im Felde! Weißt du, was für Strafe darauf steht?« »Der Tod.«
»Und außerdem hast du Gefangene befreit. Dafür wirst du, ehe man dich erschießt, entsetzliche Hiebe erhalten.«
»Ich weiß es; aber Effendi, dein Wort gilt sehr viel bei dem Herrn der Heerscharen. Ich flehe dich an, bitte
bei ihm für mich!«
»Sage mir zunächst, wie die Flucht vor sich gegangen ist!«
»Wir kamen als Doppelposten zu ihm. Ich setzte mich hin; mein Kamerad aber ging auf und ab; wenn er entfernt genug war, konnte er nicht hören, daß der Kolarasi leise zu mir sprach.«
»Was sagte dieser?«
»Er verlangte sein Paket zurück.«
»Was für ein Paket?«
»Welches ich ihm hatte aufheben müssen.« »Ah! Wann hat er es dir gegeben?«
»Als ihr die Uled Ayar in der Schlucht eingeschlossen hattet. Wir lagen als Gefangene in derselben, ich aber befand mich nicht bei den Gefangenen, sondern bei dem Kolarasi, dessen Diener ich war. Ihr hattet die gefangenen Kameraden befreit, und dann ging der Scheik fort, um mit euch zu verhandeln. Nachher sahen wir ihn mit dir zurückkehren, und da sagte der Kolarasi zornig- »Nun ist alle Hoffnung hin; der Hund wird die Ayar überreden und mich an Krüger-Bei ausliefern!« Er gab mir schnell ein Päckchen, es heimlich aufzubewahren, und eilte dann fort, um bei dem Scheik gegen dich zu sprechen. Er hatte keinen Erfolg, und man brachte ihn bald gebunden und mit zerschlagenem Gesichte getragen. Er war Gefangener. In einem unbewachten Augenblicke verbot er mir, zu bleiben. Er dachte, du würdest kommen und bei ihm suchen; dann hättest du auch mich ausgesucht. Ich mußte mich also entfernen, das Päckchen aber stets bei mir tragen.«
»Warum?«
»Um es ihm jeden Augenblick wiedergeben zu können.« »Hat er dir gesagt, welchen Inhalt es hatte?«
»Ja, einen echten Kuran aus Mekka und einige Fransen von el Wdibs Grabestuch aus der Okba-Moschee in Kairwan.«
»Sehr heilige Sachen!« »Aber es war nicht wahr!«
»Das weiß ich freilich. Wie erfuhrest du denn, daß es eine Lüge war?«
»Von ihm selbst. Als ich dann des Nachts als Wächter bei ihm saß, sagte er mir leise, daß das Paket nicht diese Gegenstände, sondern Geld, sehr viel Geld enthalte. Er bot mir fünftausend Piaster davon an, wofür ich ihn losbinden sollte.«
»Die brauchte er dir doch nicht zu bieten, denn du hattest ja das Paket mit dem ganzen Gelde in der Tasche!«
»Es nütze mir nichts, sagte er. Es war kein gewöhnliches Geld, sondern dasselbe bestand aus Papieren, welche er selbst dem Serafi (* Wechsler, Bankier.) in Tunis geben mußte, denn ein anderer würde kein
Geld dafür erhalten. Ich sollte mit ihm fliehen, mit ihm nach Tunis reiten, und die fünftausend Piaster sogleich erhalten, wenn er die Papiere umgewechselt haben würde.«
»Das Anerbieten blendete dich?«
»Ja, Effendi. Ein armer Soldat und fünftausend Piaster! Er schwor mir bei Mohammed und allen Kalifen zu, daß ich das viele Geld sofort nach unserer Ankunft in Tunis erhalten würde.«
»Der Schwur gilt nichts bei ihm, denn er ist eigentlich nicht ein Moslem, sondern ein Ungläubiger, ein Heide, der an gar nichts glaubt.«
»Hätte ich das gewußt! Aber ich vertraute ihm und schnitt ihm die Hände frei. Darauf gab ich ihm mein Messer.«
»Und dein Kamerad, der andere Posten?«
»Der sah und wußte nichts davon, denn ich machte mit dem Kolarasi aus, daß er sich erst dann vollends befreien solle, wenn wir abgelöst sein würden. Aber er hielt nicht Wort, denn sobald er das Messer hatte, schnitt er sich vom Pfahle los und machte auch seine Füße frei, blieb aber so liegen, als ob er noch gefesselt sei. Dann setzte sich mein Kamerad zu uns; der Kolarasi drang plötzlich auf ihn ein und stieß ihm das Messer in das Herz.«
»Schrecklich! Was thatest du?«
»Ich wollte schreien, konnte aber vor Entsetzen nicht. Er wollte mich beruhigen; das gelang ihm nicht. Da drohte er mir. Er war frei, und mein Messer steckte in der Brust meines Kameraden. Das zeugte gegen mich. Ich war verloren, wenn ich blieb, und mußte also mit ihm fort.«
»Aber ihr ginget nicht gleich?«
»Nein. Ich mußte am Platze warten, und er entfernte sich. Nach einiger Zeit kam er mit dem fremden jungen Manne, der mit entflohen ist. Wie er ihn befreit hat, ohne daß jemand etwas bemerkte, das weiß ich nicht. Wir gingen, um ganz leise die drei besten Kamele des Herrn der Heerscharen zu satteln. Als dies geschehen war, führten wir die Tiere eine Strecke fort; ich mußte bei denselben bleiben; die beiden aber kehrten noch einmal ins Lager zurück, um nach deinem Zelte zu gehen.«
»Woher weißt du das?«
»Aus den grimmigen Worten, welche sie fallen ließen.«
»Ja, sie wollten mich ermorden, aber das gelang ihnen nicht, weil ein Wächter vor meinem Zelte saß.« »Das dachte ich mir, denn ich hörte einige laute Rufe, und dann kamen sie eilends zurück, um unter Fluchen auf die Tiere zu steigen. Ich that dies auch, und wir ritten fort.« »Sprachen sie denn arabisch miteinander?«
»Ja, zuerst. Das war Unbedachtsamkeit, denn ich hörte Dinge, welche ich eigentlich wohl nicht hören sollte. Dann aber bedienten sie sich einer fremden Sprache, von welcher ich kein Wort verstand.«
»Weißt du, wohin sie wollen?« »Nach Tunis.«
»Das glaube ich nicht. Sie werden ebensowenig nach Tunis reiten, wie du deine Piaster bekommen wirst.«
»Die bekomme ich freilich nicht; sie haben mich darum betrogen, mich schmachvoll hintergangen! Nicht weit von hier stiegen sie ab und forderten mich auf, dasselbe zu thun. Kaum stand ich auf der Erde, so fielen sie über mich her und nahmen mir meine Waffen ab, sodaß sie nun alle Macht über mich hatten. ich mußte vor ihren auf mich gerichteten Läufen weichen; sie aber stiegen wieder auf, nahmen mein Kamel beim Halfter und ritten hohnlachend davon. 0, Effendi, hätte ich dem Kolarasi, dem ungläubigen Heiden, doch nicht ein so großes Vertrauen geschenkt!«
»Das ist ein ganz falscher Wunsch. Nicht dein Vertrauen zu ihm hat dich in das Unglück geführt, sondern die Habsucht und die Pflichtvergessenheit. Du solltest rufen: Wäre ich doch meiner Pflicht treu geblieben! Du hast zwei schwere Verbrechen begangen. Was gedenkst du nun zu thun?«
»Wirst du mich denn nicht festnehmen?« fragte er verwundert.
»Nein. Ich bin weder dein Vorgesetzter noch ein Polizist oder gar dein Richter. Du magst gehen, wohin du willst; wir werden dich nicht halten.«
»Ich danke dir, Effendina! Deine Güte ist weiter als die Wüste, und deine Gnade höher als der Himmel! Aber wohin soll ich gehen? Ich habe weder Wasser, noch Speise, noch Geld, noch Waffen, auch habe ich kein Pferd oder Kamel. Wer soll mich aufnehmen? Ich bin Deserteur und werde also allen Stämmen, welche unter dem Schutze des Pascha wohnen, so unwillkommen sein, daß sie mich lieber an ihn ausliefern, als bei sich behalten. Der Kolarasi hat mich zum unglücklichsten Menschen gemacht, den es nur geben kann.«
»Der Kolarasi nicht; du selbst trägst die Schuld. Aber deine Thaten reuen dich, und ich habe von dir einiges erfahren, was mir wichtig ist; darum will ich dir einen Weg zeigen. Kehre zum Herrn der Heerscharen zurück! Ich will dir einen Zettel mitgeben, auf den ich einige Zeilen schreibe, welche dich seiner Gnade empfehlen. Ich denke, daß deine Strafe milde sein wird.«
»Thue das, Effendi, thue das! Deine Worte erleichtern mein Herz und erquicken meine Seele!« Da wendete sich Emery in englischer Sprache an mich:
»Unsinn! Entweder helfen wir gar nicht, oder ganz. Der Kerl ist kein schlechter Mensch. Kehrt er zu Krüger-Bei zurück, so wird er infolge deiner Befürwortung wohl zwar nicht erschossen, aber man schneidet ihm die Nase oder die Ohren ab, oder gibt ihm wenigstens die Bastonnade, um ihn nachher fortzujagen. Was soll er dann anfangen? Und außerdem bringst du durch deine Fürbitte den Herrn der Heerscharen mit seiner Pflicht in Konflikt. Er muß einen Verbrecher laufen lassen dir zuliebe, und alle seine Soldaten wissen, daß er das nicht darf. Du blamierst ihn also vor seinen Leuten. Wie weit ist es von hier bis zur algerischen Grenze?«