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Ein kurzer und doch banger Augenblick verging, dann schrie Emery förmlich auf: »Er ist verschüttet!« »Himmel! Ganz?«

»Nein; ich habe die Beine. Bleib stehen! Verdränge mich nicht! Es ist kein Platz dazu.« Ich hatte ihn beiseite schieben wollen.

»Mach schnell, sonst erstickt er!« drängte ich in höchster Angst.

Indern ich meine Hände auf seinen Rücken legte, fühlte ich, daß er mit Aufbietung aller seiner Kräfte nach vorn arbeitete. »Cheer up!« rief er dann. »Jetzt hat er Luft! Er lebt! Winnetou, alter guter Junge, wie geht's?«

Da hörte ich zu meinem höchsten Entzücken die Stimme des Apatschen:

»Es war die höchste Zeit; ich stand schon am Ersticken. Die Decke fiel ein und drückte mich nieder; ich konnte nicht einmal rufen.«

Er pustete, nieste und entfernte den Sand, der ihm in Mund, Nase und Augen gedrungen war. Dann fügte er hinzu:

»Nun fangen wir wieder von vorne an! Meine Brüder mögen doppelt schnell arbeiten, denn wir würden nun kaum bis zum Anbruche des Tages fertig werden.«

»Ist gar soviel eingestürzt?« fragte ich.

»Ja.«

»So komm hinter! Du hast dich zu sehr angestrengt. Ich will nach vorn.«

»Nein,« sträubte sich Emery. »So wie wir stehen, so wechseln wir ab. Ich geh jetzt nach vorn. Winnetou muß nach hinten.«

Der Apatsche wollte nicht, mußte uns aber den Willen thun. Leider waren wir durch den Einbruch der Decke sehr weit zurückgekommen. Es galt, das, was wir vorher weggeräumt und befestigt hatten, nochmals wegzuräumen und zu befestigen. Winnetou hatte recht: Es war nun nicht mehr daran zu denken, noch während der Nacht fertig zu werden. Und nur wenn kein fernerer Unfall eintrat, konnten wir hoffen, mit Tagesanbruch die Oberfläche draußen zu erreichen. Daß dann das Entkommen weit schwerer und gefährlicher war, verstand sich ganz von selbst. Und falls wir nicht fertig wurden, zogen die Uled Ayun mit uns fort, sahen das Loch, welches wir gegraben hatten, und sorgten ganz gewiß dafür, daß uns ein Fluchtversuch nicht wieder so leicht gemacht wurde.

Wir arbeiteten, als ob das Leben davon abhinge, was eigentlich wohl auch der Fall war. Später löste ich Emery ab, sodaß nun ich den Vordersten machte. Winnetou befand sich in der Mitte. Wir dachten nicht an die Zeit, ob es noch früh oder schon spät sei; wir kratzten, scharrten und gruben ohne Unterlaß weiter und weiter. Ich bohrte mich schon seit einiger Zeit nach oben, indem ich vorn am Ende des wagerechten Ganges, den wir gegraben hatten, kniete. Da erhielt ich plötzlich einen schweren Schlag auf den Hinterkopf und einen ebensolchen auf die rechte Schulter. Eine schwere Last drückte mich von hinten nach vorn, mit der Brust in den festen Sand, sodaß ich fast nicht atmen konnte. Atmen? War denn überhaupt Luft da? Ich hatte das Gefühl, als ob ich mich in einem luftleeren Raume befände. Die eine Hand mühsam nach hinten drängend, fühlte ich dort nicht den offenen Gang, sondern etwas Hartes; der Gang war verschlossen, die Decke wieder eingestürzt, und zwar hinter mir. Ich konnte weder vor- noch rückwärts.

»Winnetou!« rief ich.

Es klang eigentümlich dumpf. Keine Antwort war zu hören.

»Emery?«

Derselbe resonanzlose Ton, und wieder keine Antwort! Von den beiden Gefährten war keine Hilfe zu erwarten. Ehe sie das Hindernis zu beseitigen vermochten, mußte ich erstickt sein. Nur nach oben konnte ich Rettung finden. Luft, Luft, Luft! Ich grub und kratzte; ich scharrte und bohrte mit beiden Händen. Ich achtete nicht darauf, daß der Sand, den ich loslöste, mir Mund, Augen, Nase und Ohren verstopfte. Weiter, immer weiter, gerade hinauf in entsetzlicher, fieberhafter, fast wahnwitziger Hast, und da, da - - ah, frische, freie Luft in die leere Lunge! Ich sog und sog sie ein; ich atmete mit Wonne, wischte mir den Sand aus den Augen und sah einen bleichen Himmel über mir, von welchem die letzten Sterne eben im Begriff standen, zu verschwinden. Ich hatte mich durch- und an die Oberfläche der Erde gearbeitet! Die Ellbogen hüben und drüben einstemmen und mich ernporschwingen, war das Werk eines Augenblickes.

Jetzt sah ich, was mich in Gefahr gebracht hatte, in eine Gefahr, welche weit, weit größer war, als ich gewußt hatte. Wäre ich nur wenige Zoll weiter zurückgewesen, so wäre ich zerquetscht, vollständig zermalmt worden - nämlich der schwere Stein war eingesunken; der von uns durchbohrte Sand, auf welchem er stand, hatte ihn nicht mehr halten können und war zusammengebrochen. Wohl zwei Ellen tief steckte der Stein in dem Boden; er war nicht gerade, sondern schief in demselben eingesunken, und infolgedessen hatte er - ich hätte laut aufjubeln mögen! - - hatte er die Felsenspalte soweit freigegeben, daß ich hineinschlüpfen und zu meinen Gefährten konnte.

Meine Gefährten! Himmel! An diese hatte ich jetzt gar nicht gedacht, sondern nur an mich allein! Wie stand es mit ihnen? Lebten sie noch, oder lag einer von ihnen unter dem Steine? Ich eilte in die Spalte und lauschte einen Augenblick. Da hörte ich zu meiner großen Freude unter mir die dumpfklingende Frage des

Englishman:

»Also kein Sand?«

»Nein, sondern Felsen,« antwortete der Apatsche ebenso dumpf. »Es war aber doch vorher Sand da, durch den er sich gearbeitet hatte!« »Ja. Es ist der Stein, der von oben herabgebrochen ist.« »Himmel! So ist er zermalmt worden!«

»Zermalmt oder erstickt! Winnetou würde sein Leben geben, um seinen Bruder zu retten, aber kein Mensch kann durch diesen Stein! Die Sonne des Apatschen ist untergegangen im fernen Lande, und seine Sterne verlöschen in - -«

»Verlöschen in dem Lichte des Tages, welcher hier oben aufgehen will!« fuhr ich an seiner Stelle fort, indem ich mich niederbückte, um da unten gehört und verstanden zu werden.

»Scharlieh!« rief, nein, brüllte er förmlich.

»Winnetou!«

»Er lebt, er lebt, er ist da oben!«

»Ja, er lebt! Hinauf zu ihm!« stimmte Emery bei.

Im nächsten Augenblicke sah ich beim ersten Schimmer des Tages, welcher in die Spalte fiel, die beiden aus der Tiefe tauchen. Winnetou nahm mich von vorn, Ernery von hinten; ich wurde hin und her gezogen und gedrückt, daß es mir fast noch banger wurde als vorhin, wo mir unter der Erde die Luft ausgehen wollte.

»Scharlieh, mein Bruder!« die drei Worte nur sagte der Apatsche; aber der Ton, in welchem er sie aussprach, galt mir mehr als die allerlängste Rede. Emery machte mehr Worte, meinte es aber nicht weniger herzlich.

»Wo kommst du aber her?« fragte er endlich, nachdem er sich beruhigt hatte. »Wir hielten dich für verloren, erstickt da unten im Sande, und nun bist du hier oben!«

»Ich habe mich hindurchgearbeitet. Steigt heraus, und seht, wie es gekommen ist!«

Sie bemerkten erst jetzt, daß das Licht des Tages durch die Spalte drang, und folgten mir hinaus.

»Die Höhle ist offen!« meinte Emery, indem er jetzt viel leiser sprach als vorher, denn nun wir uns nicht mehr in der Spalte und unter der Erde befanden, galt es, vorsichtiger zu sein. »Ach, gerade das, was dich scheinbar in Gefahr brachte, hat uns freigemacht. Wir sind gerettet!«

»Gerettet!« nickte der Apatsche, der mich noch immer bei der Hand hielt. »Meine Brüder mögen mit mir kommen und ihre Gewehre holen!«

Dies thaten wir, und dann erst nahmen wir uns die Zeit, das Wadi zu überblicken. Was waren die Uled

Ayun doch für Menschen! Sie hatten drei so gefährliche Gefangene, wie wir waren, und dennoch schliefen sie alle; kein einziger Posten oder Wächter war zu sehen.

Links sahen wir die Reitkamele, und in dem Lanzenpferche lagen die Pferde, die ich am Tage so bewundert hatte. Die Menschen lagen einzeln oder in kleinen Gruppen zwischen den Schafen und andern Weidetieren, welche entweder auch schliefen, oder dumm in den beginnenden Tag hineinstierten.