»Jil'an daknak - verflucht sei dein Bart! Willst du mir die Pferde zurückgeben oder nicht?« »Nein.«
»So ist deine letzte Stunde gekommen!« drohte er, indem er das Gewehr erhob. Sofort saß ich wieder im Anschlage und antwortete:
»Sobald dein Kolben deine Wange berührt, sitzt meine Kugel in deinem Kopfe! Nieder mit der Flinte!«
Er gehorchte augenblicklich, rief mir aber, vor Wut bebend, zu:
»Du siehst aber doch ein, daß du die Pferde unmöglich behalten kannst!«
»Ich sehe im Gegenteile ein, daß ich sie sehr gut gebrauchen kann. Sie dienen uns dazu, die Zeitversäumnis einzuholen, welche wir durch dich erlitten haben. Du hast gewußt, daß wir den Kolarasi verfolgten. Daß du geglaubt hast, uns gefangen halten zu können, verzeihen wir dir gern, denn der Falke achtet nicht der Fliege, welche ihm die Schwingen abbeißen will. Ihr seid die größten Tenabil (* Dummköpfe.), die mir jemals vorgekommen sind, und Hunderten von euch gelingt es nicht, es mit einem einzigen tapfern Giaur aufzunehmen. Aber wir haben durch deinen Verrat zwanzig wertvolle Stunden verloren und brauchen also die drei Stuten, um die Versäumnis wieder einzubringen. Schon als du mir den Brief diktiertest, wußten wir, daß wir jetzt frei sein würden; ich habe es dem Herrn der Heerscharen geschrieben.«
»Das hast du ihm geschrieben! Nicht meine Forderungen?«
»Diese auch, aber nur, damit er über dieselben lachen soll.« »So werden seine Boten nicht wiederkommen?«
»Nein; aber er selbst wird mit allen seinen Reitern kommen, um den Blutpreis einzutreiben und dich für die Missethat zu strafen, welche du an uns verübt hast.«
»Allah w'Allah! Und ich habe deinen Bericht selbst fortgeschickt zu ihm!«
»Ja, das hast du. Du siehst also, mit welch großer Weisheit du von Allah begabt worden bist. Und nun mag es genug der Worte sein. Wir haben nicht Zeit, länger hier bei dir zu halten. Allah jekuhn ma'ak - Allah sei mit dir!«
Ich that, als ob ich weiter wolle; da rief er aus:
»Halt! Nicht von der Stelle! Gieb meine Pferde heraus! Du siehst, daß ich nicht mehr allein hier bin!«
Sein zurückgebliebener Gefährte war nämlich auch herangekommen, hatte sich aber nicht an uns gewagt, sondern es vorgezogen, zu ihm hinzureiten und an seiner Seite halten zu bleiben. Auch der dritte, den wir am Horizonte gesehen hatten, näherte sich im Trabe, und hinter ihm tauchten noch einige andere auf.
»Sprich doch nicht so lächerlich!« antwortete ich. »Ich will gnädig mit dir sein, und dir zu deiner Beruhigung folgendes sagen: Die drei Kamele, welche du mit uns gefangen genommen hast, gehören dem Herrn der Heerscharen; du hast sie also nicht uns, sondern ihm genommen. Dafür werden wir ihm die drei Stuten bringen. Sprich dann mit ihm! Vielleicht ist er bereit, seine Kamele dafür wieder einzutauschen.«
»So sieh zu, ob du das ausführen kannst!«
Er legte sein Gewehr blitzschnell an und drückte auf mich ab; ich konnte ihm nicht mit einer Kugel zuvorkommen, riß mein Pferd empor und trieb es, eben als der Schuß krachte, in einer weiten Langade zur Seite; die Kugel ging fehl. Nun wollte ich auf ihn los, doch war Winnetou mir da schon zuvorgekommen. Der kühne Apatsche hielt es gar nicht für nötig, sich dabei einer Waffe zu bedienen; er schoß von der Seite her auf den Scheik zu, trieb sein Pferd zum hohen Sprunge und ritt in unwiderstehlichem Anpralle Roß und Reiter über den Haufen, sodaß beide sich an der Erde wälzten; dann hielt er auf den andern Uled Ayun zu, riß ihm im Vorüberjagen die Flinte aus der Hand und zerschlug sie, sich vom Pferde niederbeugend, an dem Boden, daß sie in Stücke auseinanderflog.
»Fein gemacht, superfein!« rief Emery. »Nun aber weiter, damit wir von dem Ungeziefer loskommen.«
Wir folgten der Aufforderung, ohne auf das Geschrei hinter uns zu achten. Erst nach längerer Zeit sahen wir uns einmal um. Es waren jetzt fünf Verfolger beisammen. Wir waren nur im Trab geritten.
»Machen wir rascher,« meinte Emery, »sonst bekommen wir leicht eine Kugel von hinten! Oder willst du ihnen zeigen, wie weit ungefähr sie herankommen dürfen?«
»Sogleich,« antwortete ich, da die Frage an mich gerichtet war.
Ich blieb halten, bis die Verfolger auf Hörweite herangekommen waren, und rief ihnen dann zu: »Zurück mit euch!«
»Drauf, drauf!« brüllte im Gegenteile der Scheik, seine Leute antreibend.
»Wagt es nicht! Wer nicht gehorcht, bezahlt es erst mit der Flinte, und dann mit dem Leben!«
Nun wußten sie es, und ich wendete wieder, um weiterzureiten. Nach einiger Zeit sah ich mich abermals um; sie mochten tausend Schritte hinter uns sein; der Scheik ritt voran, die Flinte quer vor sich über dem Sattel liegend; ein zweiter saß genau in derselben Stellung auf dem Pferde. Ich wollte niemand verwunden, und war doch meines jetzigen Pferdes nicht sicher; es hatte jedenfalls nicht gelernt, beim Schießen stillzustehen. Darum stieg ich ab, zielte und gab rasch hintereinander die beiden Schüsse des Bärentöters ab. Die Wirkung war diejenige, welche ich erwartet hatte: da die beiden Flinten vorn querüber gehalten worden waren, und die Kugeln genau auf die Läufe derselben trafen, so wurden dieselben den Reitern gegen die Leiber getrieben, und es gab einen so starken Stoß oder Schlag, daß die beiden Männer hintenüberflogen.
»Ia mußiba, ia huzn, ia schaka - 0 Unglück, o Traurigkeit, o Elend!« hörte ich wirr durcheinander schreien. »Das war das Gewehr, welches meilenweit geht! Jetzt traf er die Flinten; nun geht es ans Leben! Bleibt zurück, denn Allah will nicht, daß ein Gläubiger von einem Ungläubigen, einem Zauberer, sterben soll!«
Der Scheik war heruntergefallen, er stand inmitten seiner Reiter, hielt beide Hände gegen den Leib und krümmte sich; der Schlag oder Stoß, den er erhalten hatte, hatte nicht Rücksicht auf seinen Rang genommen. Nachdem ich wieder aufgestiegen war, ritten wir weiter, die Verfolger aber blieben zurück und waren bald nicht mehr zu sehen.
»Ob sie wohl umgekehrt sind?« fragte Emery.
»Fällt ihnen nicht ein, wenigstens dem Scheik nicht. Drei solche Pferde giebt kein Beduine auf.« »So müssen wir dafür sorgen, daß er unsere Fährte verliert.« »Das würde nur Zeit kosten und uns doch nichts helfen.«
»Nichts helfen? Wenn er unsere Spuren nicht mehr findet, sind wir ihn doch los!«
»Nein. Du hast doch seine Mitteilung gehört, daß der Kolarasi nach Hammamet will. Er weiß, daß wir diesem folgen, also auch dorthin reiten werden. Er wird auch nach Hammamet gehen, gleichviel ob er unsere Fährte sieht oder nicht, und dort seine Pferde von uns fordern.«
Wir ritten den ganzen Tag hindurch, ohne einen unserer Verfolger wieder zu Gesicht zu bekommen. Ebensowenig sahen wir die Fährte derer, welche wir verfolgten. Das war aber auch nicht nötig, da wir nun wußten, wohin sie sich gewendet hatten. Den Vorsprung, der ihnen so günstig war, konnten wir nun unmöglich einholen, und unsere einzige Hoffnung war, daß es in dem kleinen Hammamet augenblicklich kein Schiff gab, mit welchem sie in See gehen konnten.
Gegen Abend hatten wir die diesseitige Ebene hinter uns und kamen in die Ussalatberge, wo wir hinreichend Futter und auch Wasser für unsere Pferde fanden. Für uns selbst gab es außer dem Wasser nichts, und da wir keinerlei Nahrungsmittel bei uns hatten, mußten wir uns ziemlich hungrig schlafen legen, was uns aber nicht genierte, da wir dergleichen gewohnt waren.
Am nächsten Tage trafen wir bei den Ruinen von Nabhannah auf Ussalahbeduinen, welche uns freundlich aufnahmen. Für einige kleine Silberstücke erhielten wir von ihnen soviel Proviant, daß wir bis Hammamet recht gut ausreichen konnten.