»Nun sitzen wir von früh bis spät abends bei einander und studieren mit Hilfe zweier Lehrer eine türkische und eine arabische Grammatik, lesen Haremsgeschichten und zeichnen weiße Odalisken und dunkle Sklavinnen an die Wände. Da Small sehr gut veranlagt ist und seinen Reiseplan mit wahrem Feuereifer verfolgt, so macht er in den beiden Sprachen schnelle Fortschritte, und ich muß ihm wohl oder übel folgen. Noch einige Monate, und wir werden, vom Alten mit tüchtigen Checks versehen, über den Atlantischen dampfen.
»Ich schreibe Dir dies mit solcher Ausführlichkeit, weil ich Deine Findigkeit kenne und von Dir einen Rat erwarte, wie ich die Verhältnisse, besonders die wahrhaft verblüffende Aehnlichkeit, mir am besten einträglich machen kann. Deine etwaige Mithilfe würde mir natürlich nur willkommen sein. Schreib mir also bald, was und wie Du darüber denkst, doch ja nicht hierher, sondern an meine letzte Adresse, da ich in diesem Falle sicher bin, daß der Brief in keine falschen Hände kommt.
Dein Neffe Jonathan.«
Der Brief war für mich aus mehreren Gründen von großem Interesse, zunächst weil in demselben mein Name genannt wurde. Der Vater des Schreibers war durch mich gezwungen gewesen, aus dem Lande zu gehen. Das konnte kein anderer sein, als Meltons Bruder, den ich damals von Fort Uintah bis nach Fort Edward gejagt hatte. Es war ihm dort gelungen, zu entfliehen, und die Polizei hatte keine Spur von ihm zu finden vermocht. Jetzt erfuhr ich durch diesen Brief, daß er sich »Jenseits des mittelländischen Meeres« befand. Aber wo? Ich nahm wohl mit Recht an, daß er weder Türkisch noch Arabisch verstanden hatte, aber es gibt in Alexandrien, Kairo, Tunis und Algier Engländer und Amerikaner, welche in der ersten Zeit dort ebenso nur des Englischen mächtig gewesen sind. Mochte er sich da oder dort befinden, mir konnte das gleich sein; es ging mich nichts an; aber es war mir, wie gesagt, sehr interessant, wieder von ihm zu hören oder vielmehr zu lesen.
Anders freilich war es mit Small Hunter, welcher sich in großer Gefahr befand, von seinem falschen Freunde betrogen zu werden. Er war der Sohn eines Deutschen, und ich hätte ihn wohl gern gewarnt. Aber dies zu tun, war unmöglich, denn ich befand mich jetzt im Innern von Nordmexiko, er aber in den Vereinigten Staaten, und ich wußte auch nicht den Ort, an welchem er sich aufhielt. Den Wohnsitz seines Vaters kannte ich ebensowenig. Dennoch steckte ich den Brief zu mir, um ihn für mich zu behalten, während ich die andern dem Juriskonsulto zum strafrechtlichen Gebrauche auszuantworten beabsichtigte.
Eben hatte ich das Portefeuille geschlossen und in meine Tasche zurückgeschoben, als Melton, den ich vorher von dem Knebel wieder befreit hatte, mich rief. Ich ging zu ihm, um zu hören, was er von mir wolle. Er sah geradezu abstoßend aus; sein geschlagenes und zerkratztes Gesicht begann zu schwellen.
»Sir, wohin habt Ihr den Indianerjungen geschickt?« fragte er. »Ich will es wissen! Ich muß auch wissen, was Ihr mit dem Häuptlinge so heimlich auszumachen hattet!«
»Ihr tut ja genau so, als ob Ihr mich zwingen könntet, es zu sagen! Doch, warum soll ich es Euch verschweigen? Ihr werdet es ja so wie so sehr bald erfahren, daß Ihr Euch verrechnet habt, als Ihr glaubtet,
Euch auf die Yumas verlassen zu können. Ich werde mit ihnen Frieden schließen.«
»Sie werden sich hüten!«
»Sie werden sich nicht hüten, denn die "listige Schlange" hat es mir freiwillig angeboten.«
»Hat sie das? Der Kerl verlangt wohl, freigelassen zu werden? Und Ihr wollt ihm diesen Wunsch erfüllen?«
»Ich werde so klug sein, nicht nur dies, sondern auch noch mehr zu tun.«
»Er verlangt noch mehr?«
»Ja. Judith zur Frau.«
»In Henkers Namen! Sie sind einander zu gönnen. Er ist ein rothäutiger Schurke, der die hellsten Lügen gegen mich aussagen wird, und sie hat alle möglichen Feinheiten, die denjenigen, welcher das Glück hat, ihr Mann zu sein, verrückt machen können. Mag sie Indianerin werden! Habt aber doch die Gewogenheit, ihm zu sagen, daß sie nur durch Prügel zu kurieren ist! Verlangt er etwa noch mehr?«
»Noch etwas, was gerade Euch interessieren wird. Ich soll Euch ihm ausliefern.«
»Das werdet Ihr doch nicht tun, Mister!« rief er aus, indem er sich erschrocken halb aufrichtete, »dazu habt Ihr kein Recht!«
»Ob ich es habe oder nicht, das ist mir sehr gleichgültig; ich nehme es mir.«
»Unmöglich! Bedenkt, was Ihr tut, welche Verantwortung Ihr damit auf Euch ladet! Ihr habt doch sonst ein so zartes Gewissen, warum nicht auch?«
»Weil ich an Euch auch nichts Zartes bemerkt habe. Selbst wenn ich mir Skrupel machen wollte, könnte ich es leicht so einrichten, daß ich mein Gewissen nicht zu beschweren brauche. Es ist ja gar nicht nötig, daß ich Euch ihm ausliefere.«
»Gut, gut; das wollte ich wissen!« meinte er befriedigt.
»Ich lasse Euch also laufen,« fuhr ich fort. »Im nächsten Augenblicke aber wird der Häuptling Euch beim Schopf haben.«
»Wieso? Er ist doch Euer Gefangener! Wollt Ihr ihn etwa auch freilassen?« »Ja.«
»Das geht nicht; das dürft Ihr auf keinen Fall, wenigstens nicht so schnell, nicht jetzt! Er darf erst los, wenn ich mich in Sicherheit befinde!«
»Mäßigt Euch, Sir! Ihr habt hier nichts zu be- befehlen. Bedenkt, in welcher Lage Ihr Euch befindet. Warum sollte ich Euch freilassen und ihn nicht? Ich soll Euch freilassen, der Ihr ihm und uns ans Leben gegangen seid, und ihn festhalten, der uns nichts getan hat? Lächerlich!«
»Für mich ist es gar nicht lächerlich, denn wenn er mit mir zugleich freikäme, würde er die Freiheit sofort dazu benutzen, sich an mir zu rächen.« »Dazu hat er allen Grund und alles Recht, während ich nicht den mindesten Grund oder das geringste Recht besitze, Euch gegen ihn in Schutz zu nehmen.«
»So mag ich nicht frei sein, sondern verlange, daß Ihr mich dem Gericht ausliefert. Es ist ein Verbrechen von Euch, mich festzunehmen und mit Euch herumzuschleppen; aber ich will das gern dulden und nichts dazu sagen.«
»Wenn Ihr so sehr überzeugt seid, daß es ein Verbrechen ist, so werde ich mich hüten, eine so schlimme Tat zu begehen, und Euch lieber loslassen.«
»Aber vor dem Indianer?«
»Nein, nach ihm. Bald werden die hervorragendsten seiner Krieger erscheinen, um mit mir zu beraten. Sind sie zum Frieden geneigt, so rauchen wir das Kalumet, und ich gebe ihn frei.«
»So laßt mich jetzt los, damit ich gehen kann!«
»Wie kann ich das tun, da ich noch gar nicht weiß, ob ich mit den Yumas einig werde! Und gerade Eure Auslieferung ist die Hauptbedingung, auf welche sie dringen werden. Gebt Euch also keine weitere Mühe! Ich werde mich zwar nicht persönlich an Euch vergreifen, aber doch dafür sorgen, daß die Vergeltung ihre starken Hände an Euch legt.«
»So seid Ihr nicht mehr ein Mensch, sondern ein