»So werden Sie also bei den Yumas bleiben; das wollte ich wissen. Wie ich erfahren habe, sind Ihre Gefährten alle arm und mittellos herübergekommen, allein den Herkules und Sie ausgenommen. Ich hörte, daß Sie eine Geldsumme mitgebracht haben. Ist das wahr?«
»Freilich ist es wahr,« antwortete er eifrig. »Es war schönes, feines, echtes Geld in runden, schönklingenden Goldstücken, aufbewahrt in einer Börse, welche mir hat aus Seide gefertigt Judith, die Tochter meines Herzens.«
»Wie hoch war die Summe?«
»Vierhundertachtzig Dollars, um welche ich bin gekommen unterirdisch auf grausige Weise. Weller ist der Dieb, welcher ist Vater von Weller dem Sohne. Jetzt haben Sie den Dieb gefangen mit großer Tapferkeit; nun werden Sie haben die Güte, ihm abzuverlangen den Raub, durch welchen er mich hat gemacht elend in der Finsternis des Schachtes.«
»Ist dies die Börse?« fragte ich, indem ich sie aus der Tasche zog und ihm hinhielt.
»Sie ist's, sie ist's!« rief er jubelnd aus, indem er sie mir aus der Hand riß. »Ja, sie ist's! Ich werde sofort zählen das Geld, um zu sehen, ob ich bin worden bestohlen um eins oder einige von den goldenen Stücken.«
»Schreien Sie nicht so! Weller weiß noch nicht, daß ich ihm das Geld abgenommen habe, und braucht dies auch nicht sofort zu erfahren.«
Er ging, ohne mir ein Wort des Dankes zu sagen, mit seiner Tochter zur Seite und kauerte sich dort mit ihr nieder, wo sie zu zählen begannen; ich aber wendete mich um zu den andern. Ich hielt ihnen eine kurze Rede des Inhaltes, daß sie nichts Besseres tun könnten, als so schnell wie möglich die Gegend verlassen, und fuhr dann fort:
»Ich werde mit Winnetou von hier aus nach dem Rio Peso gehen, also nach Texas. Dort gibt es zwar traurige Gegenden, aber auch gutes Land in Menge und ein gesundes Klima dazu. Ich erbiete mich, Sie mitzunehmen. Beraten Sie sich, und sagen Sie mir dann Ihren Entschluß.«
Ich entfernte mich für einige Zeit, damit sie sich über meinen Vorschlag bereden möchten. Als ich zu ihnen zurückkam, sagte derjenige, den sie zum Sprecher ernannt hatten:
»Ihr Vorschlag ist ganz gut, und wir würden ihn gern befolgen, aber das ist nicht möglich. Zunächst können wir nicht fort, weil gegen Melton und Weller ein langwieriger Strafprozeß entstehen wird, bei welchem wir doch jedenfalls als Zeugen dienen müssen.«
»Ist nicht nötig. Melton liefere ich an die Yumas aus; sie werden ihm den Prozeß auch ohne Zeugen machen. Was Weller betrifft, so weiß man nicht, was noch passiert. Ich habe ihm mit meiner Kugel die Hand und den Vorderarm zerschmettert, was in diesem Klima für einen Weißen stets gefährlich ist. Außerdem bringe ich Polizei und einen Oberbeamten aus Ures mit, welche auf uns warten. Wenn Sie vor diesen Leuten Ihr Zeugnis abgelegt haben, werden Sie nicht mehr gebraucht. Welche Hindernisse gibt es noch?«
»Die wilde Gegend, durch welche wir wahrscheinlich müßten. Halten unsere Frauen und Kinder eine solche Wanderung aus?«
»Gewiß, wenn sie sich nur erst von den hiesigen Leiden erholt haben. Es ist nicht so schlimm, wie Sie denken. Der Marsch wird nicht schneller gehen, als sie vertragen können. Pferde verschaffe ich Ihnen von den Indianern. Außerdem habe ich mehrere Wagen mit Proviant und andern nützlichen Dingen bei mir. Sie werden keinen Hunger leiden.«
»Das läßt sich freilich hören; nun aber bin ich neugierig, was Sie zu dem Hauptpunkte sagen werden. Dieser lautet nämlich: Geld und wieder Geld!«
»Das ist das wenigste; das macht ganz und gar keine Schwierigkeiten.«
Noch nie im Leben hatte ich in Beziehung auf diesen Punkt mit solchem Gleichmute und solcher Befriedigung reden können, und es tat mir ordentlich wohl, auch einmal die Miene eines reichen Erdensohnes annehmen zu können. Aller Augen richteten sich erstaunt auf mich, und der Sprecher rief verwundert aus:
»Ganz und gar keine Schwierigkeiten? Ihnen vielleicht nicht, uns aber desto mehr. So aus dem Vollen heraus, wie Sie, können wir nicht reden. Wir haben nichts, und müßten doch gleich heute schon Geld brauchen.«
»Heute? Wieso?«
»Nun, Sie reden von Wagen voller Lebensmittel. Die müßten wir doch kaufen, und niemand würde sie uns schenken.«
»O, ich schenke sie Ihnen!«
»Wirklich? Das ist freilich etwas anderes. Wie aber steht es mit den Pferden, welche wir reiten sollen? Die bekommen wir doch nicht so leicht geschenkt wie den Proviant!«
»Allerdings nicht. Aber wir borgen sie. Gegen eine kleine Entschädigung, einige Geschenke, bekommen wir sie von unsern roten Freunden gern geliehen.«
»Wer zahlt die Entschädigung, wer kauft die Geschenke?« »Ich.«
»Wetter noch einmal! Sie sind plötzlich reich geworden! Und als Sie zu uns auf das Schiff kamen, sahen Sie ärmer aus als wir.«
»Ich verstellte mich bloß. Ueberhaupt kann man reich sein, ohne Geld zu besitzen; es gibt verschiedene Arten von Reichtum. Doch weiter! Noch ein anderes Hindernis?«
»Es kommt nun das größte. Wieder Geld für das Land, von dem Sie sprachen. Das müssen wir doch kaufen?«
»Allerdings. Sie werden von mir Geld dafür bekommen.« »Sind Sie etwa ein heimlicher Rothschild?« »Ausnahmsweise heute einmal.«
»Dann sind wir freilich aller Sorgen los. Wir gehen mit Ihnen; Sie geben uns das Geld zur Ansiedelung; wir arbeiten tüchtig, zahlen die Zinsen pünktlich und werden dann mit der Zeit wohl auch das Kapital zurückgeben können.«
»Zinsen? Kapital zurückgeben! Sie befinden sich auf dem Holzwege. Ich mag keine Zinsen haben, und von der Zurückgabe des Kapitals will ich erst recht nichts wissen!«
Der Mann sah mich erstaunt an, blickte im Kreise herum, richtete das Auge dann wieder auf mich und fragte:
»Ja, habe ich denn richtig gehört?« »Wahrscheinlich.«
»Das ist doch undenkbar! - Das wäre ja nichts anderes, als ein Geschenk!« »Das soll es auch sein; ich schenke Ihnen das Geld und verlange es nicht zurück.« »Aber sind Sie denn wirklich so sehr reich, daß Sie soviel entbehren können?«
»Ich bin im Gegenteile so arm, daß ich gar nichts entbehre, wenn ich so ein halbes Hunderttausend Thaler oder anderthalb Hunderttausend Mark verschenke, befinde mich aber glücklicherweise in der Lage, gegen fünfzigtausend Thaler unter Sie verteilen zu können.«
»Fünfzigtausend Thaler! Himmel, welch ein vieles Geld! Wo haben Sie das denn so plötzlich her?« »Das sollen Sie später erfahren, vorher aber einige Fragen
Sie sind alle arm gewesen, haben aber doch wenigstens ein kleines Eigentum gehabt. Nicht wahr?«
»Ja. Einige hatten ein kleines Häuschen, wenn es auch nicht viel wert war; die andern besaßen wenigstens soviel, wie zu einer Arbeiterwirtschaft gehört, Betten, einige Möbel, Kleider und so weiter.«
»Das haben sie natürlich, weil man Sie fortlockte, verkauft. Wieviel haben Sie dafür bekommen?«
»Fast gar nichts. Wenn die Leute wissen, daß man fort muß und doch nichts mitnehmen kann, bieten sie nichts. Und was wir drüben für unsere Habseligkeiten bekamen, ist unterwegs vollständig draufgegangen.«
»Sie sind also nicht nur um Ihre Heimat, sondern auch um Ihre Habe gebracht worden. Hier hat man Sie unter falschen Vorspiegelungen ins Land gelockt und in ein Bergwerk gebracht, in welchem Sie ohne Lohn arbeiten, hungern, dürsten und krank werden sollten und nach kurzer Zeit elend gestorben oder vielmehr wie die Tiere verendet wären. Fühlen Sie sich für Ihre Leiden und Entbehrungen entschädigt, wenn Melton und Weller ins Strafgefängnis kommen? Bekommen Sie dadurch Ihre Heimat, Ihr Eigentum zurück?«