»Das ist auch nicht nötig, da nur du allein mich und den Mimbrenjo begleiten sollst.«
»Der Mimbrenjo soll auch mit? So vertraust du deine Bleichgesichter und die beiden Gefangenen ganz meinen Kriegern an?«
»Ja, du siehst, wie starken Glauben ich dir schenke. Gibt es hier kein Pferd für dich?«
»Außer dem, von welchem du vorhin Weller gerissen hast, befinden sich hier zwei, welche für Melton und mich bestimmt waren. Sie sind bei einem Wasserpfuhle an der Ostseite des Felsens versteckt.«
»So sende hin, um dir das schnellste holen zu lassen, da wir baldigst aufbrechen müssen, wenn wir Winnetous Lager noch vor Nacht erreichen wollen. Auf dem anderen Rosse kannst du einen Boten zu den Kriegern senden, welche Eure Pferde bewachen, damit sie erfahren, was geschehen ist und was sie zu tun haben. Sie müssen morgen abend mit sämtlichen Tieren hier sein, weil ich übermorgen früh den Ritt nach Chihuahua beginnen werde.«
Er war einverstanden, und bald wurde ihm das Pferd gebracht. Ich erklärte den Deutschen, wie sie sich während meiner Abwesenheit gegen ihre früheren Feinde und jetzigen Freunde zu verhalten hatten; der Häuptling tat dasselbe seinen Leuten gegenüber und gebot ihnen besonders, die Gefangenen nicht aus den Augen zu lassen. Dann ritten wir fort, begleitet von den Abschiedsrufen unserer Leute.---
Zweites Kapitel.
Yuma-Tsil.
Wir mußten unsere Pferde ungewöhnlich ausgreifen lassen, denn der Weg, zu welchem sie herzu einen ganzen Tag gehabt hatten, mußte heute in viel kürzerer Zeit zurückgelegt werden. Der Häuptling hielt sich höflich mir zur Linken. Er machte ein nachdenkliches Gesicht; es fiel ihm nicht leicht, das, was seit gestern abend geschehen war, als endgültiges Faktum hinzunehmen. Hinter uns ritt der Mimbrenjo, So oft ich einen Blick zurück auf ihn warf, sah ich sein bronzenes Gesicht in stiller Heiterkeit strahlen. Er war mit dem so unerwarteten Ergebnisse unsers Rittes ebenso zufrieden wie ich und sagte sich mit vollem Rechte, daß er auch sein gutes, volles Teil zu diesem Erfolge beigetragen habe.
Das Pferd der »listigen Schlange« war sehr gut ausgeruht, sonst wäre es hinter den unsrigen zurückgeblieben; es hielt sich so tapfer, daß wir, eben als die Sonne im Westen verschwand, die Stelle erreichten, wo wir mit den Wagen nach Norden abgewichen waren. Wir folgten dieser Richtung. Es wurde dunkel, und da bat ich den Häuptling, mit dem Mimbrenjo halten zu bleiben und erst nach einer halben Stunde nachzukommen. Ich wollte die Unseren überraschen. Darum ließ ich das Pferd und die Gewehre bei den beiden und ging zu Fuß weiter.
Ich hatte bis zum Lager wohl zehn Minuten zu gehen und war überzeugt, daß von Winnetou Posten ausgestellt worden waren. Ein brenzlicher Geruch sagte mir, daß ein Feuer brannte. Das war ein Zeichen, daß Winnetou sich ziemlich sicher fühlte. Da ich auf Kundschaft fort war, so wußte er, daß ich, falls uns eine Gefahr drohen sollte, gewiß kommen würde, um ihn zu benachrichtigen; also stand, solange ich abwesend blieb, wenigstens nichts Bedeutendes zu befürchten. Es war ganz dunkel; demnach konnte ich die Posten, an welchen ich gern unbemerkt vorüber wollte, nicht sehen und mußte mich auf mein Gehör verlassen. Da ich die Eigentümlichkeit des Apatschen kannte, so wußte ich ziemlich genau, in welcher Weise er die Posten aufgestellt hatte, und konnte sie also vermeiden. Um aber einen, der sich dennoch in meinem Wege befinden sollte, aus demselben zu bringen, bückte ich mich nieder und suchte mir mit Hilfe des Tastsinnes einige Steinchen zusammen. Von diesen warf ich, indem ich langsam vorwärts schlich, von Zeit zu Zeit einen seitwärts ins Gesträuch. Dies verursachte ein Rascheln, auf welches der Posten gewiß achtete und dem er nachging, um zu untersuchen, wodurch es verursacht worden sei; dadurch kam er mir aus dem Wege.
Auf diese Weise kam ich schnell und ganz unbemerkt nahe genug, um das kleine Feuer zu sehen, welches brannte. Nun mußte ich mich auf den Boden legen und schob mich zollweise weiter hinan. Winnetou hatte seine Vorkehrungen so gut getroffen, daß einer, dem seine Eigenheiten fremd waren, ihn unmöglich beschleichen konnte.
Die Flamme brannte auf der Lichtung; um dieselbe lagen, um leicht bewacht zu werden, die Gefangenen; die Mimbrenjos hatten sich als Wächter in einem Ringe um dieselben gelagert. Rechts im Dunkel standen die Wagen mit den daran gebundenen Zugtieren. Links von mir saß der Apatsche, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt; in seiner Nähe hatte sich der Yumatöter niedergelassen, und nicht weit davon, gerade vor dem Strauch, hinter welchem ich steckte, gab es eine Männergruppe, in welcher eine zwar nicht laute, aber desto lebhaftere Unterhaltung geführt wurde. Indem ich die anwesenden Mimbrenjos zählte, sah ich, daß nicht weniger als sechs von ihnen auf Posten standen. Das Wunder, unbemerkt zwischen ihnen hindurchgekommen zu sein, hatte ich nur dem Experimente mit den Steinchen zu verdanken. in der erwähnten Gruppe saßen auch der alte Pedrillo und der sonderbare Don Endimio de Saledo y Coralba, der Juriskonsulto und der Haziendero. Der alte Pedrillo war eben daran, eines seiner in den Vereinigten Staaten erlebten Abenteuer zu erzählen. Er nahm dabei Gelegenheit, von der Schlauheit, deren man sich zu bedienen hat, um einen Feind des Nachts von sich abzuhalten, zu reden, und behauptete dabei:
»Ich habe da manchen Roten beschlichen; aber keinem von ihnen ist es gelungen, an mich zu kommen.«
»Was ist das weiter!« meinte der Haziendero. »Man brennt kein Feuer an, so kann man nicht gesehen und gefunden werden.«
»Pah! Was versteht Ihr davon, Don Timoteo! Feuer oder nicht, das ist einem Roten ganz gleich. Nur muß man, wenn man ein Feuer hat, mehr aufpassen und tüchtig Posten stellen. Wir zum Beispiele haben sechs um unsere Büsche stehen; da ist es vollständig unmöglich, sich ungesehen heranzuschleichen.«
Winnetou hatte die Augen, als ob er schlafe, geschlossen gehalten; jetzt öffnete er sie, richtete seinen Blick auf den Sprecher und sagte:
»Der alte Pedrillo darf dies nicht behaupten. Es giebt Jäger, welche doch herankämen, rote und weiße. Wende dich um, und greif in den Busch, in welchem Old Shatterhand liegt!«
Wenn ich es vorhin ein Wunder nannte, daß ich ungesehen und ungehört so weit gekommen war, so muß man es ein zehnfaches Wunder heißen, daß Winnetou nicht nur bemerkt hatte, daß sich jemand hinter dem Strauch befand, sondern auch wußte, wer es war. Und doch hatte er, freilich nur scheinbar, die Augen geschlossen gehalten. Dies pflegte er zu thun, wenn er sein Gehör einmal mehr als sonst anstrengen wollte. Pedrillo drehte sich auch um und fuhr mit der Hand in den Busch; ich richtete mich auf und trat heraus, indem ich zu dem Apatschen sagte:
»Meinem Bruder Winnetou kann nichts entgehen; seine Augen und Ohren sind schärfer als die meinigen.«
Als ich so plötzlich vor dem tapfern Don Endimio de Saledo y Coralba auftauchte, fiel er vor Schreck hintenüber und stieß einen so markerschütternden Schrei des Entsetzens aus, als ob ihm der leibhafte Gottseibeiuns erscheine. Die Mimbrenjos dachten nicht an ihre wohlgepflegte Gewohnheit, selbst das unerwartetste Ereignis mit stoischer Ruhe hinzunehmen; sie sprangen vom Boden empor und starrten mich auch an wie einen Geist. Auch die gefangenen Yumas richteten sich so weit auf, wie ihre Fesseln es erlaubten. Sie wußten, daß ich nach Almaden geritten war, und meinten nun, durch mich zu erfahren, wie die Verhältnisse dort standen. Sie hatten wohl gehofft, daß ich nicht wiederkommen werde, sondern daß ihre dortigen Krieger mich ergreifen oder gar wegputzen würden.
Von dem ersten Wagen her erscholl ein Schrei. Dort hatte der Player gelegen, an den Händen gebunden und von einem Mimbrenjo bewacht. Er kam herbei, drängte sich mit den Ellbogen durch die mich umringenden Personen und rief mit einer Freude, welche sichtlich aufrichtig war: