Indessen kam der Bote Winnetous zurück. Er war nicht bemerkt worden, hatte die Mimbrenjos gefunden und herbeigeführt; dieselben waren dabei auf die neue Schar des »starken Büffels« gestoßen und hatten, mit dieser vereint, einen weiten Ring von Menschen und Gewehren um das Grün des Sees gezogen, sodaß die Yumas eingeschlossen waren. Jetzt konnten wir das Kommende getrost erwarten, denn es mußte günstig für uns ausfallen.
Drüben hatten sich die beiden Häuptlinge in der Nähe des Feuers niedergesetzt und ihre ältesten Krieger um sich versammelt. Es sollte beraten werden. Wir hatten Zeit, zu warten. Dem »starken Büffel« aber wurde die Zeit zu lang. Anstatt draußen bei seinen Mimbrenjos zu bleiben, kam er herbeigeschlichen, um zu erfahren, ob Krieg oder Friede zu erwarten sei. Ich zankte ihn tüchtig aus und jagte ihn fort, denn wenn sein bekanntes Gesicht von den Yumas gesehen wurde, mußten sie erwarten, daß er nicht allein gekommen
war. Und das sollten sie nicht wissen.
Die Beratung dauerte wohl zwei Stunden; es ging sehr heftig bei derselben her. Dann sahen wir, daß die »listige Schlange« drüben aufstand. Er kam zu uns herüber. Er wollte es nicht sehen lassen, daß er sich geärgert hatte, aber seine Augen blitzten, wie es oft noch lange nach einem Gewitter wetterleuchtet.
»Meine Brüder sollen hinüberkommen, um zu hören, was beschlossen worden ist,« meldete er.
»Das kannst du uns hier ja sagen!« warf ich ein.
»Ich soll nicht; der "große Mund" will es selbst sagen.«
»Dagegen haben wir nichts; er mag herüberkommen.«
»Haben meine Brüder Mißtrauen?«
»Natürlich!«
»Mir könnt ihr vertrauen, wenn auch dem "großen Munde" nicht.« »Wieviel deiner Leute halten zu dir?«
»Der Hälfte bin ich sicher. Die andern hat mir der Zorn des "großen Mundes" abspenstig gemacht.«
»Meinst du, daß es zum Kampfe kommt?«
»Ja, wenn ihr nicht auf die Vorschläge des "Mundes" eingeht,«
»Wir sind bereit, sie zu hören, aber nachlaufen werden wir ihm nicht, zumal wir ihn nicht für einen ehrlichen Mann halten.«
»Herkommen will er auch nicht!«
»So mag er drüben sitzen bleiben, bis er klüger wird, worüber allerdings der Sommer und Winter gar viele vergehen können! Sage ihm das!«
Dieser Bescheid war ihm sehr unlieb. Man sah ihm das an; er sann nach und kam dann auf das Auskunftsmitteclass="underline"
»Würdet ihr zur Hälfte gehen, wenn er zur Hälfte kommt?«
»Ja. Wir wollen uns dort unter der Buche treffen, doch ohne Waffen. Ich komme mit Winnetou, und er bringt dich mich. Von jeder Seite zwei; mehr dürfen es nicht sein.«
Er ging hinüber und stritt sich eine Viertelstunde mit dem "großen Munde" herum; dann kam er wieder, um uns zu sagen, daß derselbe bei seiner hohen Würde unmöglich zu zweien kommen könne; er müsse wenigstens sechs Begleiter haben.
»Zwei von hüben und zwei von drüben, mehr nicht. Sage ihm das! Wir gehen nicht davon ab und wenn ihm das nicht gefällt, so mag er sehen, was geschieht.«
Die »Schlange« mußte noch zweimal hin und her, ehe sich der Alte entschloß, nachzugeben. Dann kam er mit ihm nach der Buche geschritten, unter welcher sie sich niedersetzten. Ohne Waffen, war ausgemacht; man weiß aber, daß selbst auch dann der Indianer wenigstens ein Messer in irgend einer Falte verborgen hat; darum behielten wir, als wir hingingen, jeder einen Revolver bei uns. Um einem Hinterhalte zu begegnen, hatten wir unsere Vorsichtsmaßregeln getroffen.
Der »große Mund« nahm uns mit haßerfüllten Blicken in Empfang, und als ich mich bei ihm niederließ, zog er den Zipfel der Decke, in welche sein Oberkörper gehüllt war, rasch an sich, damit derselbe ja nicht mit mir in Berührung kommen möchte. Dann sah er finster vor sich nieder. Er mochte denken, daß wir zu beginnen hätten; aber wir wollten ihm infolge seiner »großen Würde« den Anfang machen lassen und schwiegen also ebenso hartnäckig wie er. Von Zeit zu Zeit hob er den Kopf, um uns mit einem dolchähnlichen Blicke zu durchbohren; als wir uns aber weder durchbohren noch zum Reden bringen ließen, fuhr er uns, da er sich nicht länger halten konnte, ganz plötzlich und unerwartet an:
»Meine Ohren sind offen, also redet!«
Winnetou sagte nichts, und ich sagte nichts. Darum kam nach einiger Zeit die Drohung hervorgepoltert: »Wenn ihr nicht redet, laß ich auf euch schießen!«
Da deutete Winnetou nach unserer Seite hinüber, welcher der Alte den Rücken zukehrte; er drehte sich um und sah sämtliche Mimbrenjos, die sich bei uns befanden, auf der Erde mit ihren Gewehren im Anschlage liegen.
»Uff! uff! Was ist das?« rief er aus. »Wollt ihr mich erschießen lassen!«
»Nein,« antwortete der Apatsche. »Die Gewehre sind so lange auf dich gerichtet, bis wir uns wieder dort bei unsern Kriegern befinden; mehr brauche ich dir nicht zu sagen.«
Es ist keineswegs angenehm, zu wissen, daß man einen Rücken hat, auf den über vierzig geladene Gewehre gerichtet sind. Es braucht nur ein Finger sich ein wenig zu fest an den Drücker zu legen, so ist das Unheil geschehen. Man sah es dem »großen Munde« deutlich an, daß er sich von jetzt an nicht allzusehr behaglich fühlte. Um die ängstliche Situation abzukürzen, versuchte er nun nicht mehr, uns zum Reden zu bringen, sondern ging uns mit gutem Beispiele voran, indem er drolligerweise behauptete:
»Winnetou und Old Shatterhand sind in meine Hände geraten; der heutige Tag wird ihr letzter sein!«
Der Apatsche forderte mich durch einen stillen Blick auf, zu antworten; darum entgegnete ich:
»Und der "große Mund" ist uns in das Netz gegangen; er wird noch in dieser Stunde geschlachtet werden! Soll dieser Tag unser letzter sein, so schicken wir dich voran!«
»Zählt eure Männer und zählt die unserigen! Wer ist dem andern überlegen?«
»Winnetou und Old Shatterhand zählen niemals ihre Gegner. Ob einer oder zehn, ist ihnen gleich. Der "große Mund" mag zählen!«
»Wir werden euch erdrücken!«
»Wurden wir in Almaden erdrückt, wo über dreihundert gegen vierzig waren?«
»Da war ich nicht dabei und werde es genau untersuchen. Wer als Feigling handelt, wird aus der Reihe der
Krieger gestoßen.«
Das ging gegen »listige Schlange«, welche sofort zornig ausrief:
»Wer ist feig? Verbünde dich nicht mit Verrätern, so kommen deine Krieger nicht in die Gefahr, mutlos zu erscheinen!«
»Schweig! Ich werde mit Melton sprechen und von ihm erfahren, was geschehen ist und wer die Schuld an allem trägt.«
»Du wirst nicht mit ihm sprechen! Das Bleichgesicht gehört mir und niemand darf ohne meine Erlaubnis mit ihm sprechen!«
»Auch ich, dein Häuptling nicht?«
»Nein. Du bist mein Häuptling nicht. Du bist ein Häuptling wie ich, und weil du der ältere bist, ist dir von den Stämmen der Yumas der Befehl übertragen worden; aber keiner braucht, wenn er nicht will, dir zu gehorchen. Darüber, daß du mich einen Feigling nennst, mag die Beratung der Aeltesten entscheiden; sagst du es aber noch einmal, so steche ich dich augenblicklich nieder!«
Er sprach die Drohung in solcher Erregung aus, daß anzunehmen war, er werde sie zur Wahrheit machen. Jetzt hatte der Alte sogar von seinem eigenen Stammesgenossen einen kräftigen Hieb empfangen, that aber so, als ob er ihn nicht gefühlt habe, und wendete sich von der »Schlange« ab zu mir:
»Ich wiederhole, daß ihr in meine Gewalt geraten seid. Alle, die sich bei euch befinden, sind verloren. Es giebt nur eine einzige Möglichkeit, sie zu retten, du lieferst dich und einen Sohn des "starken Büffels" an uns aus, damit ihr an dem Marterpfahle sterbt.«