Die Wirkung dieser obrigkeitlichen Bekanntmachung war bei mir die, daß ich nach dem »starken Büffel« schickte und ihn kommen ließ. Da ich aber wünschte, daß er von den zu uns übergegangenen Yumas noch nicht erkannt werde, ließ ich ihn nach einer ganz im tiefen Schatten liegenden Stelle bringen, wo man sein Gesicht gar nicht, seine Figur nicht deutlich sehen und ihn leicht für einen andern halten konnte. Als ich mich nach einiger Zeit nach der Stelle begab, lag er schon wartend da. Ich erzählte ihm, was sich ereignet hatte. Ich war der Meinung gewesen, daß er als Vater erschrecken werde; er aber sagte im ruhigsten Tone von der Welt:
»Das also war die laute Stimme, welche wir sprechen hörten! Sie drang zu uns hinaus, doch konnten wir die Worte nicht vernehmen.«
»Ich habe dich kommen lassen, um zu erfahren, ob dein Sohn die Forderung annehmen soll.«
»Natürlich soll er es! Darf ein Mimbrenjo von sich sagen lassen, daß er sich vor einem Yuma gefürchtet habe?«
»Aber deine Söhne sind noch so jung. Man wird ihm einen kräftigen und gewandten Gegner stellen!«
»Desto schlimmer für die Yumas, denn wir dürfen dann von ihnen sagen, daß sie feig sind, daß ihre erwachsenen Krieger mit Knaben kämpfen und von ihnen besiegt werden.«
»Bist du des Sieges so gewiß?«
»Kein Yuma besiegt einen meiner Knaben!«
»Und welcher soll kämpfen? Der Yumatöter oder sein Bruder?«
»Sein Bruder, damit er auch einen Namen bekommt.«
»Aber bedenke, daß er sich die Waffe und die Fechtweise, welche gewählt wird, gefallen lassen soll!«
»Meine Knaben haben alles gelernt; ich habe keine Sorge um sie, und daß sie dich und Winnetou begleitet haben, ist von großem Vorteile für sie gewesen. Aber wirst auch du die Forderung annehmen?«
»Kann ich anders? Wenn sie von einem Knaben angenommen wird, so darf Old Shatterhand doch nicht weniger mutig sein.«
»Deinen Mut bezweifelt niemand; aber wird der Bär mit einer Maus kämpfen?«
»Ah, so ist es gemeint! Nun, ja; er kämpft mit ihr. Wenn sie ihn beißen will, giebt er ihr die Tatze, das ist auch ein Kampf. Du wirst zusehen wollen. Bleib hier liegen, damit du nicht gesehen und erkannt wirst!«
Darauf begab ich mich zu den beiden Knaben, welche mit so unbefangenen Mienen bei einander saßen, als ob ganz und gar nichts Ungewöhnliches vorgefallen oder zu erwarten sei.
»Ich sprach mit euerm Vater, dem Häuptlinge,« sagte ich ihnen. »Was gedenkt ihr zu thun?«
»Kämpfen,« antwortete der Kleine. »Ich will mir einen Namen holen; darum hat mein Bruder mir den Yuma abgetreten.«
Das war mehr als naiv. Der eine hatte dem andern den Yuma abgetreten; sie betrachteten denselben also schon als ihr Eigentum. Wenn ein erfahrener und bewährter Krieger eine solche Zuversicht besitzt, so ist's begreiflich und auch zu loben; zeigt sie sich aber in so jugendlichem Alter und bei einer so ernsten
Veranlassung, so möchte man es für Unverstand halten.
Auf unserer Seite herrschte tiefe Stille. Mann lag neben Mann im Grase, um das Kommende zu erwarten. Schon war es gegen Mitternacht, und es wurde fast ein Uhr, als der »lange Fuß« wieder zu der Buche kam und verkündete:
»Im Rate der Alten ist folgendes beschlossen worden: Erst kämpft Old Shatterhand und dann der Mimbrenjoknabe. Der Kampf Old Shatterhands findet mit der Lanze statt. Noch hat sich kein Gegner gefunden; darum wird die Art und Weise später mitgeteilt werden. Der Mimbrenjo wird im Wasser mit dem Messer kämpfen. Sein Gegner ist der "schwarze Biber". Beide kämpfen, bis einer tot ist; keiner darf vorher das Wasser verlassen.«
Wie schlau! Der Name »schwarzer Biber« ließ vermuten, daß der Betreffende sehr geschickt im Schwimmen und Tauchen sei. Und ich sollte mit der Lanze kämpfen, mit einer Waffe, von welcher die Roten annahmen, daß sie mir am ungeläufigsten sei. Aber da befanden sie sich im Irrtume. Winnetou, der größte Meister im Lanzen werfen und Lanzenfechten, hatte sich auch da so lange mit mir abgequält, bis wenigstens etwas sitzen geblieben war. Bei einem Westläufer giebt es eben keine freie Stunde; hat er nichts anderes zu thun, so übt er sich. Daher die staunenswerte Fertigkeit und Sicherheit, die man an solchen Leuten zu bewundern hat. Wer da nur zuschaut, hat keine Ahnung von der Mühe und Arbeit, welche dazu erforderlich war.
Also für mich hatte sich kein Gegner gefunden. Vielleicht fand sich überhaupt keiner; das konnte ich mir dann schon gefallen lassen. Aber um den kleinen Mimbrenjo wurde mir bange; es trieb mich zu ihm hin, ihm einige nicht nutzlose Andeutungen zu machen. Als er mich kommen sah, blickte er mir lächelnd entgegen; das Kerlchen fühlte ganz und gar keine Bangigkeit, und als ich ihn fragte:
»Ist mein junger Bruder ein guter Schwimmer?« antwortete er:
»Ich bin stets sehr gern ins Wasser gegangen,«
»Einfach ins Wasser gehen, um zu baden, oder im Wasser mit dem Messer um sein Leben kämpfen, das ist zweierlei.«
»Mein Bruder und ich haben sehr oft mit den Messern gekämpft.«
»Sei nicht zu zuversichtlich! Dein Gegner hat einen für dich schlimmen Namen; er muß sehr gut tauchen können.«
Daran hatte er wohl nicht gedacht, denn er machte ein nachdenklicheres Gesicht.
»Man darf sich auch nicht allein auf die Fertigkeit verlassen; List ist oft besser als Geschicklichkeit. Dein Gegner wird wahrscheinlich viel kräftiger sein als du; das mußt du durch Schlauheit auszugleichen suchen. Vor allen Dingen darfst du dich nicht von ihm fassen lassen, sonst bist du verloren.«
»Fett!« meinte er, indem er mir lächelnd zunickte.
Da hatte man es! Ich wollte ihm gute Lehren geben, und dies eine Wort »Fett« sagte mir, daß er sich schon ganz pfiffig in seine Aufgabe hineingedacht hatte. Dennoch fuhr ich fort:
»Er wird natürlich drüben in das Wasser gehen, während du hier bei uns in dasselbe steigst. Voraussichtlich wird er sich auch drüben mehr aufhalten als hüben. Dort hast du ihn zu suchen.«
»Drüben brennt das Feuer; da ist es heller,« warf er ein.
»Aber am Ufer nicht, welches ringsum mit Büschen bestanden ist. Kennst du die Pflanze, welche ihr Sika nennt?«
»Ja; sie steht hier in Menge am Ufer und zwischen den Büschen.«
»Ihr Schaft oder Stengel ist hohl; das giebt eine schöne Röhre; merke es dir!«
Er sah mich fragend an; er hatte mich nicht verstanden.
»Eine schöne Röhre zum Atemholen,« erklärte ich ihm. »Ich wurde einst von Komantschen verfolgt und flüchtete in den Fluß. Da stand ich, während sie die Ufer absuchten, lange, lange Zeit unter dem Wasser und holte durch eine Sikaröhre Atem. Aber husten darf man nicht. Wenn du dich unter dem Wasser fest an das Ufer schmiegst und durch einen Sikastengel Atem holst, kannst du ruhig warten, bis er kommt. Du hast doch gelernt, die Augen im Wasser offen zu haben?«
»Ja. Man sieht, wenn das Wasser hell ist, mehrere Schritte weit.«
»So mag es genug sein. Es giebt zwar der Listen und Kniffe noch viele; aber man muß im Zweikampfe den Gegner ehrlich behandeln; ich gab dir nur deshalb einen Wink, weil du ein Knabe bist und dein Feind ein erwachsener Krieger sein wird.«
Als ich den Kleinen dann beobachtete, sah ich, daß er sich mehrere Sikas abschnitt. Dann verschwand er hinter den Büschen; sein Bruder folgte ihm bald, und als ich heimlich nachging, sah ich mit Vergnügen, daß er von letzterem mit Oel oder Fett eingerieben wurde. Beides oder wenigstens eins von beiden trägt jeder Indianer stets bei sich.