»Liebster Herr, warum ließen Sie sich das alles gefallen?«
»Weil ich nicht totgeschlagen sein wollte.«
»Pah! Sie haben die Sache nicht verstanden. Auf See allerdings waren Sie dem Kapitän widerstandslos überliefert; in jedem Hafen aber mußten Sie Gelegenheit finden, freizukommen.«
»Auch wenn ich an Bord festgehalten wurde?«
»Auch dann. Es kommen verschiedene Beamte an Deck. Sie brauchten sich nur an einen derselben zu wenden, um Hilfe zu erhalten.«
»Das wagte ich nicht, weil ich ein Ausreißer war. Aber in New-York kam ich doch frei. Der Kapitän hatte sich den Haß zweier Matrosen zugezogen, welche klüger waren als ich; die gingen des Nachts heimlich mit der Jolle durch und nahmen mich mit. Die Flucht gelang, und ich betrat als freier Mann Amerika. Zunächst lief ich soweit wie möglich fort, damit mein Kapitän oder einer seiner Häscher mich ja nicht zu sehen bekomme. Am Morgen war Feiertag, an welchem nicht gearbeitet wurde. Ich fand einen Neubau, in welchen ich mich schlich, um ungestört einen langen Schlaf zu thun, denn diesen brauchte ich noch nötiger als Essen und Trinken. Als ich aufwachte und völlig munter wurde, war es schon wieder Abend. Ich hatte Hunger, blieb aber dennoch liegen, einmal, weil ich dem Kapitän auch jetzt noch nicht traute, und zum andernmal, weil mir der Gedanke gekommen war, ob ich auf dem Neubaue nicht vielleicht Arbeit finden könnte.«
»Das war brav gedacht. Nur Arbeit konnte Sie retten.«
»Ja, das sah ich gar wohl ein. Die Schule, welche ich durchgemacht hatte, war fürchterlich gewesen und hatte mich mürbe gemacht. Ich wartete also bis zum nächsten Morgen. Da kamen die Maurer und Zimmerleute. Ich sprach mehrere an; sie verstanden aber nicht deutsch, bis ich endlich doch den richtigen traf, einen Preußen aus der Gegend von Königsberg. Er hatte sich auch Amerika voller goldener Berge geträumt und war hier nun unter die - Ziegelträger gegangen. Durch seine Fürbitte brachte er es soweit, daß ich dieselbe Arbeit bekam. Sie war nicht leicht, aber es ging. Ich lebte außerordentlich sparsam und hatte mir gegen den Winter hin über hundert Dollars zurückgelegt, mit denen ich nach Philadelphia ging, um mein ursprüngliches Handwerk zu treiben.«
»Sie sagten aber doch, daß Sie nichts gelernt hätten!«
»Nach unsern Begriffen allerdings. Aber ich hatte inzwischen erfahren, was Arbeitsteilung ist. Ich trat in Philadelphia in eine Fabrik, in welcher jeder Arbeiter stets nur eine und dieselbe Arbeit zu machen hat. Dazu braucht man kein gelernter Schuhmacher zu sein. Ich habe ein ganzes Jahr lang immerfort nur Spitzen angesteppt. Dann besaß ich dreihundert Dollars, mit denen ich nach Chicago ging, um in eine gleiche Fabrik einzutreten. Dort blieb ich freilich nicht lange. Ich wollte etwas lernen, was aber bei dieser Arbeitsteilung nicht möglich war. Ich traf einen Irländer, welcher auch ein kleines Sümmchen besaß. Er kannte das Land besser als ich und machte mir den Vorschlag, als Pedlar (* Hausierer.), mit ihm nach dem Westen zu gehen; bei diesem Geschäft sei viel Geld zu verdienen. Ich stimmte bei. Wir gingen über den Missisippi, legten unser Geld zusammen, kauften Waren ein und zogen damit den Missouri hinauf. Nach zwei Monaten hatten wir ausverkauft und unser Geld verdoppelt. Wir unternahmen noch vier solche Reisen, bis mein Compagnon plötzlich mit seinem und meinem Gelde verschwunden war.«
»Aha! Nun konnten Sie wieder Stiefelspitzen ansteppen!«
Ich griff zu andern Dingen, zum nächsten, was sich mir bot, arbeitete fleißig, brachte es aber zu keinen Ersparnissen mehr. Aus Verzweiflung darüber ging ich unter die Goldsucher.«
»Um nichts zu finden!«
»So ist es. Wir trieben uns hungernd in den Gebirgen umher; es war kein einziger Westmann unter uns. Darum ging es uns bitter schlecht. Schließlich wurden wir gar von Navajos überfallen. Wir entkamen ihnen zwar, doch hätten sie uns gewiß wieder eingeholt, wenn wir nicht auf Winnetou getroffen wären, der uns sicher nach dem Mariposasee geleitete, wo wir auch Sie zu sehen bekamen.«
»Hätten Sie mir damals Ihre Erlebnisse so erzählt wie heute, so wäre ich mit einem guten Rat und wohl auch mit der That zur Hand gewesen.«
»Es hat nicht sein sollen. Mein immerwährendes Unglück hatte mich verschüchtert. Wie konnte ich, der nichts, gar nichts war, einen Old Shatterhand belästigen! Und diese Schüchternheit war gut, denn es fragt sich sehr, ob ich durch einen Rat von Ihnen zum Millionär geworden wäre.«
»Dieser Meinung bin ich freilich auch. Ich bin sogar der festen Ueberzeugung, daß ich es selbst niemals soweit bringen werde. Doch weiter! Was thaten Sie in Kalifornien?«
»Das Handwerk hatte mich zu nichts geführt und der Handel zu noch weniger; so versuchte ich es denn nun einmal mit dem Ackerbau. Ich wurde Knecht auf einer Estancia. Der Besitzer gewann mich bald lieb; ich hatte Lust zur Sache und bekam schnell höhern Lohn. Einmal verleitete mich der Teufel zum Spielen. Ich riskierte einen halben Jahreslohn und gewann, war aber besonnen genug, um aufzuhören. In zwei Jahren hatte ich fünfhundert Dollars zusammen. Um diese Zeit schickte mich der Herr nach Jone-City, um Einkäufe für ihn zu machen, und ich nahm mein Geld mit, um es an diesem Platze sicher anzulegen. Da traf ich auf einen Yankee, der mir ein Stück Land droben am obern Federnflusse anbot. Er schwor hundert Eide, daß es das vortrefflichste Land in ganz Kalifornien sei. Der Hafer stach mich. Ich war jetzt Knecht und konnte selbst Besitzer werden. Die Kameraden des Yankee redeten mir auch zu, und ich kaufte das Land.«
»Wie teuer?«
»Vierhundert Dollars, bar bezahlt.«
»War der Yankee wirklicher Besitzer, oder konnte sein Recht bestritten werden? Sie wissen, welcher Schwindel mit solchen Käufen getrieben wird. Ich weiß, daß Ländereien ver- und gekauft worden sind, die gar nicht existierten.«
»Das war bei mir nicht der Fall. Ehe ich den Kauf abschloß, ließ ich alles von der Behörde prüfen. Das Land existierte wirklich; es gehörte dem Yankee, und er konnte es verkaufen.«
»Warum aber verkaufte er es? Wenn er es so lobte, hätte er es doch besser selbst behalten sollen!«
»Dafür hatte er einen Grund. Er liebte das abenteuernde Leben und konnte es auf der festen Scholle nicht aushalten.«
»Hm! Einen Haken hat es doch wohl gehabt!«
»Allerdings. Denn kaum war der Handel abgeschlossen und ich hatte das Geld bezahlt, so wurde ich von ihm und seinen Gesellen ausgelacht. Sie sagten mir aufrichtig, daß ich einen Sumpf, einen völlig unbrauchbaren Sumpf gekauft habe.«
»Einen Sumpf, also einen Swamp? Ah, jetzt kommen wir also auf Ihren Oil-Swamp!«
»Allerdings. Als ich nach meiner Heimkehr meinem Herrn von dem Handel mitteilte, war er zornig über mich. Er verlor mich ungern und riet mir, mich um den Sumpf gar nicht zu bekümmern, sondern bei ihm zu bleiben, und die vierhundert Dollars als verloren zu betrachten. Er meinte, damit erspare ich die letzten hundert Dollars, welche ich auf die Reise verwenden müsse, und werde das verlorene Geld bei ihm bald wieder zusammengespart haben. Ich ließ mich aber nicht halten.