»Aus alter Gewohnheit. Sie wissen doch, daß ich öfters reise.«
»Ja. Und daran thun Sie sehr recht, denn wer eene große Reese macht, der kommt als gebildeter Mann heeme. Ich hab das an mir selber erfahren. Ich bin als een ganz anderer hier angekommen, als ich drüben war. Wissen Sie, man is ooch eener von die Großen mit geworden. Man kriegt ordentlich Respekt vor sich selber. Hier is alles anders, schöner, vornehmer und teurer. Aber unsere Einrichtung haben Sie noch nich gesehen, da müssen Sie gleich mit! So 'was haben Sie noch nich gesehen. Wir wohnen wie die Ferschten oder Großherzoge. Kommen Sie! Sie setzen sich mit in unsere Eckipaasche. Sie brauchen keene Angst zu haben, wir haben Platz genug für Sie.«
»Thut mir leid; ich bin jetzt anderweit beschäftigt. Auch bin ich nicht allein. Hier steht mein Freund Winnetou, von welchem Sie, Frau Werner, doch auch gehört und gelesen haben.«
Sie hatte mit ihren Augen bis jetzt nur an mir gehangen und den Apatschen gar nicht beachtet. Jetzt wen-wendete sie sich Winnetou zu, reichte ihm auch die Hand und fragte mich dann:
»Also keine Zeit haben Sie? Wie lange bleiben Sie hier?«
»Wahrscheinlich verlassen wir schon morgen San Franzisko.«
»Und da wollen Sie nicht mit uns kommen? Wissen Sie nicht, daß dies grausam ist? Kommen Sie mit! ich bitte Sie!«
»Und Ihr Herr Gemahl - -?«
»Wird sich herzlich darüber freuen. Wahrscheinlich aber ist er nicht daheim.«
»Gut, ich fahre mit. Erlauben Sie mir nur einen Augenblick, mich von meinem Freunde zu trennen.«
»Nein, das nicht. Ich habe von dem berühmten Häuptlinge soviel gelesen und auch gehört, daß ihm meine größte Hochachtung gehört. Bitten Sie ihn ja, mitzukommen!«
»Ja,« nickte ihr Vater, »der Indianer muß ooch mit. Er braucht sich vor uns nich im geringsten zu fürchten; wir sind Leute, die keenen Wilden was zu leede thun. Aber fünf Personen gehen nich in unsere Eckipaasche; ich werde also mit meener Frau eene Droschke, oder wie man hier sagt, nehmen. Komm, Hanne, du gehst mit mir! Wir kommen schon ooch noch zur rechten Zeit eheeme.«
Er zog sie fort. Winnetou hatte natürlich von unserm Gespräch, welches deutsch geführt wurde, nur wenig verstanden; dennoch war weder ein Wort, noch ein Wink nötig. Als ich Martha meinen Arm bot, nahm er sofort an ihrer rechten Seite Platz und schritt so stolz und selbstbewußt neben ihr her, daß sie sich seiner ganz sicher nicht zu schämen brauchte.
Am Wagenplatze wartete die Equipage des »Oelprinzen«. Einen solchen Wagen und solche Pferde konnte sich allerdings nur ein Millionär leisten. Wir stiegen ein und setzten uns der Dame gegenüber, um dann mit der Geschwindigkeit des Windes davonzurollen.
Unser Zusammentreffen mit den Bekannten hier in Frisko war ein Zufall, über den ich mich nicht zu wundern brauchte; aber sie besaßen hier ein Haus oder gar einen Palast, und das kam mir verwunderlich vor. Warum wohnte Werner nicht droben in den Bergen bei seinem Oelwerke? Natürlich sprach ich diese Frage nicht aus; sie mußte sich in kurzer Zeit ganz von selbst beantworten.
Da hielt der Wagen vor einem Gebäude, welches mit vollem Rechte den Namen Palast verdiente. Wieviel mußte nur allein das herrliche Marmorportal gekostet haben! Ueber demselben waren große, echt vergoldete Buchstaben angebracht; ich fand nicht Zeit, dieselben zu lesen, denn wir mußten aussteigen, wobei uns zwei Neger behilflich waren, oder wenigstens Winnetou und mir behilflich sein wollten. Dann schritten sie vor uns her die Innenstufen empor nach einem prächtigen Vorsaale und öffneten eine Thür zu einem kleinen Gemache, welches fast wie ein Boudoir ausgestattet war. Kaum hatte die Hausherrin sich da auf dem Diwan niedergelassen, so begann dieses Boudoir sich nach oben zu bewegen; es war ein mechanischer Aufzug, ein durch Dampf getriebener Fahrstuhl in Gestalt eines reizend möblierten Zimmers. Ein anderer hätte einen Ausruf der Verwunderung oder gar des Schreckens ausgestoßen; Winnetou aber stand still und gleichmütig, als ob ihm diese Art, die Treppen zu vermeiden, etwas Alltägliches sei.
Wir kamen in das Empfangszimmer, welches im zweiten Stocke lag. Es war überreich ausgestattet. Man sah es ihm an, daß der Besitzer die Absicht hatte, zu prunken; aber verschiedene Kleinigkeiten und Anordnungen bewiesen, daß seine Frau bemüht war, diesen Eindruck zu mildern.
Jetzt, als wir den Fahrstuhl verlassen hatten, schien Martha sich erst ihrer selbst bewußt zu werden. Sie reichte mir und Winnetou beide Hände und sagte im herzlichsten Tone, den es nur geben kann:
»Hier sind wir daheim. Sie dürfen nicht so schnell wieder fort. Sie müssen hier bleiben, mehrere Tage, einige Wochen. Versprechen Sie mir das!«
Es war unmöglich, ihr diesen Wunsch zu erfüllen, besonders um ihres Mannes willen, mit welchem ich nicht unter einem Dache sein mochte. Darum antwortete ich:
»Gern, wenn es möglich wäre, Frau Werner; aber wir müssen wirklich schon morgen fort.«
»O, Sie haben Zeit, sehr viel Zeit! Draußen in der Wildnis hätten Sie vielleicht einen Feind zu jagen, einen Menschen zu verfolgen, wobei freilich jede Minute kostbar ist; aber ich habe genug von Ihnen gelesen, um zu wissen, daß Sie unbeschäftigt sind, sobald Sie sich an einem Orte wie San Franzisko befinden.«
»Sie irren sich wirklich. Es giebt für uns sehr zwingende Gründe, welche -«
»Bitte, keine Ausreden!« unterbrach sie mich. »Sprechen wir aufrichtig, ganz aufrichtig miteinander. Nicht wahr, mein Mann ist der Grund, daß Sie nicht bleiben wollen. Sprechen Sie nicht! Versuchen Sie keine Entschuldigungen! Ich werde Ihnen gleich beweisen, daß Sie ihm sehr willkommen sind. Ich werde ihn sofort aus seinem Bureau holen lassen. Gestatten Sie mir dazu einige Augenblicke!«
Sie entfernte sich. Winnetou wußte auch jetzt nicht, was gesprochen worden war; dennoch meinte er:
»Diese Squaw ist so schön, wie ich fast noch keine gesehen habe. Mein Bruder mag mir sagen, ob sie einen Mann hat!«
»Sie hat einen.« »Was ist ihr Mann?«
»Ein armer Teufel aus meinem Vaterlande, welcher dadurch reich geworden ist, daß er eine Oelquelle entdeckt hat. «
»Wo hat er sie kennen gelernt?«
»Drüben, wo er geboren wurde. Sie ist ihm vor zwanzig Monden herüber gefolgt.« Er dachte einige Augenblicke nach und fuhr dann fort:
»Das war die Zeit, in welcher Old Shatterhand auch in seiner Heimat gewesen ist. Mein Bruder hat sie drüben wohl gekannt?«
»Ja.«
»So hat der Mann diese Frau durch dich bekommen. Howgh!«
Wenn er das Wort Howgh aussprach, was stets am Schlusse einer Warnung oder Behauptung geschah, so war das ein Zeichen, daß er fest an die Wahrheit seiner Worte glaubte und sich durch nichts in seiner Ueberzeugung irre machen lassen werde. Ich staunte wieder einmal über seinen Scharfsinn, der gleich erriet, was ein anderer im ganzen Leben nicht erraten hätte.
Nun kehrte Martha zurück. Sie meldete mit sicht- und hörbarer Enttäuschung:
»Mein Mann ist leider im Bureau nicht anwesend, und ist dies der Fall, so darf auf ein baldiges Kommen nicht gerechnet werden. Das Geschäft nimmt ihn so sehr in Anspruch!«
Der Seufzer, den sie dabei hören ließ, schien mehr ihr selbst als dem Uebermaße seiner Arbeit zu gelten.
»Das Geschäft?« fragte ich. »Er hat doch jedenfalls seine Beamten, auf die er sich verlassen kann?«
»Das wohl; aber die Sachen sind oft so verworren und verwickelt; sein Compagnon nimmt sich derselben nicht genug an, und so kommt es, daß auf meinem Manne die größte Last der Arbeit liegt.«