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»Und wann kann ich dann gehen?«

»Sobald die Verhältnisse es erlauben und ich erkenne, daß das, was du daheim von uns erzählst, uns nicht mehr schaden kann. Das kann sehr bald werden, vielleicht schon übermorgen.«

»Ich glaube deinen Worten, denn du siehst nicht aus wie ein Betrüger, sondern wie ein ehrlicher Mann. Und da du mir dies versprichst, so - doch siehe,« unterbrach sie sich, »dort kommen zwei Reiter!«

Sie deutete in die Richtung, aus welcher ich gekommen war. Da ich mit dem Rücken nach derselben gestanden hatte, so hatte ich sie nicht gesehen. Auch die Frau war so mit unserm Gespräche beschäftigt gewesen, daß sie die beiden erst dann gesehen hatte, als dieselben schon so nahe waren, daß ich sehen konnte, wer sie waren, nämlich Emery und Winnetou.

»Es werden doch nicht Feinde von dir oder mir sein, o Herr!« meinte sie besorgt.

»Es sind Freunde von mir, welche mich suchen, weil meine Abwesenheit ihnen zu lange gewährt hat,« antwortete ich. »Du brauchst dich vor ihnen nicht zu fürchten; sie werden dich ebenso beschützen, wie ich; sie sind auch fremd und gehören nicht zu dem Stamme der Ayun. Der eine ist ein Inglisi und der andere gar ein Mann aus dem fernen Belad Amierika.

Als die beiden uns erreicht hatten, hielten sie an, und Emery fragte:

»Warum so lange fort? Hatten Sorge. Warst über zwei Stunden weg; konntest einen Unfall gehabt haben. Sind bis zu deiner Spur geritten und dann derselben gefolgt. Natürlich wieder Abenteuer gehabt?«

»Ja, dieses Weib befand sich mit ihrem Kinde in größter Gefahr.«

Ich erzählte ihnen das Vorkommnis, natürlich in englischer Sprache, damit Winnetou es auch verstehen

konnte. Als ich geendet hatte, sagte Emery:

»Ganz entsetzlich! Habe von Krüger-Bei gehört, daß Uled Ayun Halunken sind. Weib wird natürlich nicht feindlich behandelt, armes Wesen! Werden ihr zu essen und zu trinken geben.«

Sie stiegen ab. Sie hatten Wasser bei sich. Emery gab ihr dazu Datteln und Winnetou ein Stück Fleisch, welches er aus der Satteltasche hervorzog. Er hatte sich einen Vorrat auf Indianerweise gebraten.

Man sah, die Frau hatte Hunger. Während sie aß, sah ich fern im Osten einen weißen Punkt auftauchen, welcher immer größer wurde und dann eine zweifache Farbe annahm, unten dunkel und oben weiß. Als ich in die angegebene Richtung deutete, meinte Emery:

»Ein Trupp Beduinen; unten Pferde dunkel, oben die Burnus hell. Sie kommen gerade hierher. Was thun?«

Die Frau sah, was wir beobachteten; sie blickte also auch gegen Osten und rief erschrocken aus:

»Allah beschütze uns! Wir sind verloren, wenn wir nicht so schnell wie möglich fliehen! Das sind Uled Ayun.«

»Es können auch andere sein.«

»Nein. Sie leben jetzt mit aller Welt in Unfrieden, und wer so offen und am hellen Tage aus der Gegend ihrer Zeltdörfer kommt, der muß ein Uled Ayun sein. Laß uns fliehen, Herr, schnell, schnell!«

Sie sprang auf.

»Warte nur, warte!« antwortete ich. »Ein Germani flieht nicht so schnell vor solchen Leuten.« »Aber es sind ihrer mehr als zehn!«

»Und wenn es zwanzig oder dreißig wären, wir fürchten uns nicht.«

»So seid ihr verloren, und ich bin es mit euch! 0 Allah, Allah, beschütze uns in dieser Angst und Gefahr!«

»Sei ruhig! Ich gebe dir mein Wort, daß sie dir nichts thun werden. Ich denke vielmehr, daß wir sie bestrafen werden für den Mord, welcher hier begangen worden ist, nämlich wenn sie wirklich zu den Uled Ayun gehören.«

»Willst bleiben?« fragte Emery in seiner kurzen Weise.

Er hatte die Worte des Weibes und natürlich auch die meinigen verstanden.

»Auf alle Fälle,« antwortete ich.

»Und wenn es keine Uled Ayun sind -?«

»Dann sind es Uled Ayar, gegen welche wir ziehen, und die müssen wir erst recht bekommen.« »Gefangen nehmen?«

»Ja. Wenn wir schießen müssen, dann möglichst nur die Pferde, nicht die Menschen, die ich lebendig

haben möchte.«

»Weiß schon! Bist stets sparsam mit Menschenblut; sind es aber nicht wert, die zehnfachen Schurken.« »Du meinst doch, daß wir ihnen überlegen sind?«

»Ueberlegen? Pshaw! Die paar Kerls nimmt ein jeder von uns allein auf sich. Macht mir großen Spaß!«

Sein sonst so ernstes Gesicht strahlte vor innerem Vergnügen, als er zu seinem Pferde trat, um das Gewehr vom Sattel zu nehmen, mit welchem er gewohnt war, jedes Wild und jeden Feind in die Stirn zu treffen.

Auch Winnetou griff nach seiner Silberbüchse und fuhr dann mit der Hand in den Gürtel, in welchem das bewährte Bowiemesser und auch der Tomahawk steckte. Er hatte auch diesen von drüben herübergebracht.

»Das wird für dich vielleicht der erste Kampf in der afrikanischen Wüste werden,« bemerkte ich ihm.

»Winnetou glaubt nicht, daß es zum Kampfe kommen wird,« antwortete er. »Die Furcht wird sie in unsere Hände treiben.«

Da rief die Frau noch ängstlicher als vorher:

»O Erbarmer, o Gnädiger, o Beschützer! Es sind wirklich Uled Ayun! Die sechs, welche mich eingruben, sind bei ihnen.«

»Du täuschest dich nicht?« fragte ich.

»Nein. Der mit dem großen, schwarzen Barte, wel- welcher voranreitet, war ihr Anführer. Wie wird es uns ergehen! 0 Allah, Allah, Allah!«

Ich drückte sie auf den Boden nieder und beruhigte sie:

»Es wird dir und deinem Kinde kein Haar gekrümmt werden. Nicht wir haben die Leute zu fürchten, sondern sie uns.«

»Das ist ja ganz unmöglich, ganz unmöglich! Es sind ihrer vierzehn, und ihr seid doch bloß drei!«

Ich hatte keine Zeit mehr, länger auf die Zaghafte zu achten, denn der Trupp war uns bis auf ungefähr dreihundert Schritte nahe gekommen, wo er anhielt, um uns zu betrachten. Die Uled Ayun kamen jedenfalls, um nachzusehen, ob die Frau tot sei oder nicht, und sich an ihrem Anblicke zu weiden. Ohne daß einer von uns eine Weisung gegeben oder erhalten hatte, standen wir so, wie die gegenwärtige Lage es erforderte, nämlich ich bei dein Weibe in der Mitte, Emery zwanzig Schritte weit rechts und Winnetou ebensoweit links von mir, sodaß wir eine gerade, vierzig Schritt lange Linie bildeten. Die Pferde hielten hinter uns.

Die Beduinen waren außer zweien mit langen Feuersteinflinten bewaffnet; diese beiden aber trugen Lanzen. Beritten waren sie ohne Ausnahme sehr gut. Darum wurde es mir leid um die Pferde, und ich rief meinen beiden Genossen zu:

»Wenn wir schießen müssen, dann nicht die Pferde, wie ich vorhin sagte, sondern die Reiter, aber nur in die Arme oder Beine. Um die Pferde wäre es schade, um die Mörder aber nicht.«

»Well, soll pünktlich geschehen,« antwortete Emery, der, seine hohe Gestalt auf die nie versagende Büchse

ge- gestützt, die feindliche Truppe mit hellen, erwartungsvollen Augen betrachtete.

Die Beduinen hielten ungefähr zwei Minuten vor uns; sie teilten sich ihre Ansichten über uns mit; zuweilen klang ein lauter Ausruf der Bewunderung oder der Anfeuerung zu uns herüber. Sie hatten nicht erwartet, jemand hier zu treffen, und unsere Haltung erregte erst recht ihr Erstaunen. Drei Beduinen wären ganz gewiß vor einer solchen Uebermacht beizeiten geflohen, und wären sie ja geblieben, so hätten sie sich unbedingt auf die Pferde gesetzt, um für alle Fälle zur Flucht bereit zu sein. Daß wir ganz im Gegenteile nicht nur nicht wichen, sondern ihnen so bewegungslos und getrost entgegenblickten, war ihnen geradezu ein Rätsel; so etwas hatten sie noch nie erlebt. Sie konnten sich unser Verhalten wohl nur dadurch erklären, daß wir sie kannten und keine Ursache hatten, sie zu scheuen, und doch kannten sie uns nicht und hatten uns noch nie gesehen! Nur eins stand bei ihnen fest, und zwar gerade das, worin sie sich irrten, nämlich daß wir Mohammedaner seien, was keiner von uns war. Daß sie diese Ueberzeugung hegten, zeigte ihr Gruß. Nie wird nämlich ein strenggläubiger Mohammedaner einen Andersgläubigen mit »Sallam aaleikum« grüßen, ja es ist sogar Nichtmohammedanern verboten, einem Anhänger des Islam gegenüber diesen Gruß zu gebrauchen. Und doch trieb jetzt der schwarzbärtige Anführer sein Pferd einige Schritte vor, legte die Hand auf das Herz und rief zu uns herüber: