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Der Beduine that so, wie ihm geheißen wurde. Emery legte an und drückte ab, ohne länger als einen Augenblick zu zielen. Die Lanze war gerade unter der eisernen Spitze getroffen; es war ein Meisterschuß.

Die Uled Ayun drängten ihr Pferde hin, um den Treffer in Augenschein zu nehmen. Keiner sagte ein lautes Wort; sie flüsterten nur leise miteinander, einen so großen Eindruck hatte der Schuß auf sie gemacht. Da fragte mich Winnetou:

»Wahrscheinlich wird mein Bruder ihnen auch zeigen, wie er schießt?«

»Ja,« antwortete ich. »Ich will sie ohne Blutvergießen fangen und muß ihnen also durch einige Schüsse beweisen, daß sie uns nicht entkommen können.«

»So braucht Winnetou seine Silberbüchse nicht sprechen zu lassen; aber haben die Leute auch Tomahawks?«

»Nein. Sie würden staunen, wenn du ihnen den deinigen zeigen wolltest.«

»Gut! Ich verstehe nicht, mit ihnen zu sprechen, also mag mein Bruder ihnen sagen, daß ich die Lanze, welche noch in der Erde steckt, durch meinen Tomahawk gerade in der Mitte auseinanderschneiden werde!«

Noch hatten die Beduinen sich von ihrem Erstaunen nicht erholt, als ich ihnen zurief:

»Geht weg von der Lanze! Dieser mein Gefährte hat eine Waffe, welche ihr noch nicht gesehen habt. Es ist ein Balta el Kitall (* Schlachtbeil.), mit welchem man die Köpfe spaltet und im Wurfe jeden fliehenden Feind erreicht. Er wird es euch zeigen.«

Sie gaben Raum. Winnetou warf den langen Haik ab, zog den Tomahawk, schwang ihn einigemal um den Kopf und ließ ihn dann aus der Hand gleiten. Die Waffe flog, sich immer um sich selbst wirbelnd, erst niederwärts, berührte in einiger Entfernung den Boden, stieg dann rasch und jäh empor, wirbelte in einer Bogenlinie weiter und senkte sich endlich nieder, um den Schaft des Speeres gerade in der Mitte zu treffen und wie ein Rasiermesser zu durchschneiden.

Schon der Umstand, daß die Lanze auf eine so bedeutende Entfernung gerade an der vorher bezeichneten Stelle getroffen worden war, erregte die Verwunderung der Uled Ayun; aber daß die Waffe ein Beil war, vergrößerte ihr Erstaunen; das Unbegreiflichste dabei war ihnen jedoch die wirbelnde Bewegung desselben und die für sie ganz unerklärliche Bahn, welche es durchflogen hatte. Sie waren fast stumm,

Und da geschah noch etwas, was ihnen noch viel wunderbarer vorkam, nämlich Winnetou legte seine Silberbüchse zur Erde nieder und ging fort, um sein Beil zu holen. Er wendete sich gerade auf sie, schritt mitten durch sie hindurch bis nach der Stelle, an welcher sein Beil lag, hob dasselbe auf und kehrte auf ganz demselben Wege zurück, ohne nur einen einzigen von ihnen eines Blickes gewürdigt zu haben. Sie rissen die Augen und, um mich dieses Ausdrucks zu bedienen, auch die Mäuler auf und starrten zu uns herüber.

»Das war sehr gewagt!« bemerkte ich dem Apatschen.

»Pshaw!« antwortete er in verächtlichem Tone. »Das sind keine Krieger. Sie habe ja nicht einmal ihre Gewehre, die sie vorhin abschossen, wieder geladen.«

»Aber wenn sie sich an dir vergriffen hätten?«

»So hatte ich meine Fäuste und mein Messer, und du hättest mir mit deinem Stutzen Luft gemacht.«

So war Winnetou, kaltblütig, verwegen und dabei von einer Ueberlegung, die ihn selbst im gefährlichsten Augenblicke nicht verließ. Um die Beduinen nicht aus dem Staunen kommen zu lassen, rief ich ihnen jetzt zu:

»Hai ia radschal - auf, ihr Leute, ich will euch nun ein Zaubergewehr zeigen. Steckt die zweite Lanze in die Erde!«

Sie thaten es. Ich nahm den Stutzen zur Hand und fuhr fort:

»Dieses Gewehr schießt immerfort, ohne daß ich es zu laden brauche. Ich werde jetzt zehn Kugeln in die Lanze senden, jede genau zwei Finger breit über die andere. Paßt auf!«

Ich legte an und schoß, nach jedem Schusse die excentrisch sich bewegende Patronenkugel des Henrystutzens mit dem Daumen weiterdrehend. Aller Augen waren zunächst nur auf mich gerichtet, ob ich auch wirklich nicht laden würde; aber als ich dann nach dem zehnten Schusse den Stutzen aus dem Anschlage nahm, eilten alle nach der Lanze. ich achtete nicht auf die Ausrufe, welche dort erschollen, sondern beeilte Mich, unbemerkt zehn neue Patronen in die Kugel zu schieben, um später, wenn es notwendig sein würde, alle fünfundzwanzig Schüsse zu haben.

Die Kugeln hatten die Lanze genau in der von mir angegebenen Entfernung von einander durchschlagen;

ich mußte ihnen als ein Zauberer erscheinen, wollte ihnen trotzdem aber noch mehr imponieren und rief ihnen also zu:

»Zieht die Lanze heraus, geht hundertfünfzig Schritte weiter und steckt sie dort in den Boden! Ich werde sie trotz dieser Entfernung durch zwei Kugeln in drei genau gleichgroße Teile zerschießen!«

Das dünkte ihnen nun vollends gar unmöglich. Der Besitzer der zweiten Lanze, welche schon die zehn Kugellöcher hatte, wollte nicht thun, was ich geboten hatte, der Scheik winkte ihm aber, mir trotz der Unglaublichkeit dieses Stückes doch zu gehorchen. Daß mir viele Schüsse in wenigen Sekunden zu Gebote standen, hatten sie gesehen; nun wollte ich ihnen auch zeigen, auf welch große Entfernung ich noch genau zu treffen vermochte. Dann mußten sie überzeugt sein, daß ich vorhin nicht verrückt gewesen war und es für sie trotz ihrer Uebermacht weder Sieg noch Flucht geben könne. Die kleinen Kugeln des Stutzens hatten die Lanze durchbohrt; das große Kaliber meines Bärentöters aber mußte sie zerbrechen.

Als die Lanze wieder in der Erde steckte, glich sie einem dünnen Rohrstöckchen. Der Schuß war heikel; aber ich kannte mein Gewehr und konnte mich auf dasselbe verlassen. Den schweren Bärentöter empornehmend, legte ich an und zielte. Die zwei Schüsse krachten wie aus einer Donnerbüchse; zwei Dritteile der Lanze waren verschwunden; das letzte Drittel steckte in der Erde. Die Uled Ayun ritten hin. Ich legte den Bärentöter auf den Boden nieder, ergriff den Stutzen und rief Emery und Winnetou zu:

»Nun rasch auch hin, damit sie uns nicht aus der Treffweite kommen. Winnetou mag, da er nicht mit ihnen reden kann, ihre Waffen und Pferde in Empfang nehmen.«

Wir verließen also die Stelle, auf welcher wir gestanden hatten und wo die Frau mit ihrem Kinde zurückblieb, und folgten den Uled Ayun, denn wir mußten ihnen so nahe sein, daß wir sie mit unsern Kugeln im Schach halten konnten. Wir kamen bis auf fünfzig Schritte an sie heran, ohne daß sie dies für auffällig hielten.

Die Lanzenstücke gingen von Hand zu Hand und des Erstaunens war kein Ende. In seiner unvorsichtigen Bewunderung wendete sich der Scheik um und rief uns zu:

»Der Teufel ist euer Gehilfe. Ihr schießt, ohne zu laden, und eure Kugeln fliegen zehnmal weiter als die unserigen!«

»Und doch hast du die Hauptsache vergessen,« antwortete ich. »Nämlich von euern Kugeln hat keine einzige getroffen, während wir lauter Treffer gehabt haben. Dabei habt ihr auf starke Menschen, die man gar nicht fehlen kann, wir aber auf einen dünnen, schwachen Lanzenschaft geschossen. Ich sage dir, daß niemals eine unserer Kugeln fehl geht. Weißt du, in wieviel Zeit ich die zehn Schüsse gethan habe?«

»In ebensoviel Herzschlägen.«

»In welcher Zeit würde ich dann wohl vierzehn Schüsse thun?« »In vierzehn Herzschlägen.«

»Richtig! Und jeder würde treffen, nämlich einen von euch!«

»Ja Allah, ia Rabb - o Gott, o Herr! Willst du wirklich auf uns schießen?«

»Nur wenn ihr mich dazu zwingt. Ich habe euch gesagt, daß ihr meine Gefangenen seid; dabei bleibt es! Nun sage mir, ob ihr euch ohne Widerstand ergeben wollt, oder ob ich schießen soll!«

»Gefangen? Ich ergebe mich nicht. Welch eine