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Und in einem ganz anderen, merkwürdig freundlichen Tone fuhr er fort:

»Ihr habt Blutrache mit den Uled Ayar? Seit wann?«

»Seit fast zwei Jahren.«

»Ich ziehe jetzt gegen sie, um sie zu bekämpfen. Sie sind also meine Feinde ebenso, wie sie die eurigen sind.«

»Wir wissen es und hoffen also, daß du uns als Freunde behandeln wirst.« »Für wen ist die Blutrache günstiger ausgefallen, für euch oder sie?« »Für uns.«

»Wieviel Männer haben sie euch getötet?«

»Keinen.«

»Und ihr ihnen?« »Vierzehn.«

Ich wußte, daß der plötzliche freundliche Ton des Obersten einen Grund haben müsse. Jetzt meinte er in ganz veränderter, strenger Weise:

»Das wird euch teuer zu stehen kommen! Denn ich werde euch den Uled Ayar ausliefern.« »Das wirst du nicht!« rief der Scheik erschrocken. »Sie sind doch deine Feinde!« »Sie werden dadurch, daß ich euch ihnen gebe, meine Freunde werden!«

»O Allah! Sie werden Rache nehmen und uns töten! Aber du hast kein Recht, uns auszuliefern. Wir sind nicht deine Sklaven, die du nach Belieben verschenken kannst!«

»Ihr seid meine Gefangenen! Ich sage euch, der Ritt nach der Stelle, an welcher ihr das Weib eingegraben hattet, wird euch teuer zu stehen kommen!«

Der Scheik sah finster vor sich nieder; dann blickte er zu dem Obersten auf, sah diesem scharf und forschend in das Gesicht und fragte:

»Ist es dein Ernst, uns auszuliefern?«

»Ich beteure es bei meinem Namen und bei meinem Barte!«

Da ging ein Zug grimmigen Hasses über das Gesicht des Ayun, und in höhnischem Tone fuhr er fort:

»Du meinst wohl, daß sie uns töten werden?«

»Ja.«

»Du irrst, bei meiner Seele, du irrst! Sie werden uns nicht töten, sondern die Diyehl (* Blutpreis.) von uns nehmen. Einige Pferde, Kamele und Schafe werden ihnen lieber sein als unser Blut. Dann sind wir wieder frei und werden an dich denken! Wir werden dich - dich - -«

Er machte eine drohende Armbewegung. Der Oberst that, als ob er diese nicht gesehen habe, und sagte:

»Irrt euch nicht! - Es wird sich wahrscheinlich nicht nur um einige Stück Vieh, sondern um viel mehr handeln.«

»Nein. Wir kennen den Preis, welcher bei uns gebräuchlich ist, und können ihn recht wohl bezahlen.« Da wendete sich der Oberst an mich und fragte: Welcher Ansicht bist denn du, Effendi?«

Es ist allerdings gebräuchlich, die Höhe der Diyeh, des Blutpreises, nach den Verhältnissen der Person, welche ihn zu bezahlen hat, zu bestimmen. In diesem Falle war freilich anzunehmen, daß die Uled Ayun nicht soviel für die getöteten Ayar zu bezahlen hatten, wie die Kopfsteuer betrug, welche die letzteren entrichten sollten. Dies wußte der Oberst, und darum wendete er sich an mich in der Hoffnung, daß ich es verstehen würde, der Sache eine günstigere Wendung zu geben. Ich antwortete also in diesem Sinne:

»Du willst, o Herr, mit den Uled Ayar über die Auslieferung unserer Gefangenen verhandeln?«

»Ja.«

»So bitte ich dich um die Gewogenheit, zu erlauben, daß ich es bin, der die Verhandlung zu führen hat!« »Die Bitte ist gewährt, denn ich weiß, daß ich keinen bessern Mann damit beauftragen kann.« »In diesem Falle werden die Uled Ayun nun freilich viel mehr zu bezahlen haben, als sie jetzt denken.« »Meinst du?« fragte er erfreut.

»Ja. Der Scheik der Ayun hat mich einen Hund, einen Ungläubigen genannt; ich kenne aber den Kuran und die verschiedenen Auslegungen desselben besser als er. Ich werde ihm das dadurch beweisen und seine beleidigenden Ausdrücke dadurch bestrafen, daß ich für die Auslieferung der Gefangenen die Bedingung stelle, den Blutpreis für die getöteten Uled Ayar genau nach dem Kuran und seinen Kommentaren zu bestimmen.«

Da lachte der Scheik höhnisch auf und rief:

»Ein Nemsi, ein Ungläubiger, ein Christ will den Kuran besser kennen als wir, und nach dem heiligen

Buche die Diyeh bestimmen! Dem Giaur ist der Hochmut in den Kopf gefahren und hat ihm den Verstand verwirrt!«

»Wahre dich!« warnte ich ihn. »Noch ist das Abendgebet noch nicht gekommen und du nennst mich einen Giaur. Weißt du denn, was der Kuran und die Auslegung über die Diyeh berichtet?«

»Nein, denn es wird gar nichts berichtet, sonst müßte ich es wissen.«

»Du irrst, und ich werde deine Unwissenheit erleuchten. Also höre, und die deinen mögen auch hören: Abd el Mottaleb, der Vatersvater des Propheten, hatte der Gottheit gelobt, wenn sie ihm zehn Söhne bescheren würde, ihr einen derselben zu opfern. Sein Wunsch wurde erfüllt, und um seinem Gelübde treu zu sein, befragte er das Los, welchen seiner zehn Söhne er zum Opfer bringen solle; es traf Abd-Allah, den nachherigen Vater des Propheten. Da nahm Abd el Mottaleb den Knaben und verließ mit ihm die Stadt Mekka, um ihn draußen vor derselben zu opfern. Inzwischen aber hatten die Bewohner der Stadt gehört, was er vorhatte; sie folgten ihm und stellten ihm vor, wie frevelhaft und grausam zu handeln er im Begriffe stehe. Sie versuchten sein Vaterherz zu erweichen, aber er widerstand allen ihren Reden und schickte sich an, das Opfer zu vollziehen. Da trat ein Mann zu ihm und bat ihn, ehe er handle, eine berühmte Wahrsagerin zu befragen. Abd el Mottaleb that dies, und sie erklärte, daß man rechts den Abd-Allah und links zehn Kamelstuten stellen möge und dann das Los werfen solle, wer zu töten sei, der Knabe oder die Stuten. Wenn das Los auf Abd-Allah falle, müsse man weitere zehn Kamelstuten bringen und wieder das Los befragen, und in dieser Weise fortfahren, bis es auf die Stuten falle, wodurch die Gottheit erkläre, wieviel Stuten das Leben und das Blut des Knaben wert sei. Es wurde auch in dieser Weise verfahren. Zehnmal fiel das Los auf den Knaben, sodaß bereits hundert Kamelstüten auf der linken Seite standen. Zum elftenmale traf das Los die Kamele, und Abd-Allah, der Vater des Propheten, wurde dadurch vom Opfertode erlöst. Seit jenem Tage und zum Andenken an denselben, wurde der Blutpreis eines Menschen auf hundert Kamelstuten festgestellt, und jeder wirklich gläubige Moslem darf sich nicht nach dem Brauche seiner Gegend, sondern er muß sich nach diesem geheiligten Brauche richten. Was sagst du nun?«

Diese Frage richtete ich an den Scheik. Er blickte einige Zeit finster vor sich nieder, warf mir dann einen grimmigen Blick zu und fragte:

»Welcher M'allim (* Lehrer.) des Kuran hat die Todsünde begangen, dich, den Ungläubigen über die Geheimnisse des Islam zu unterrichten? Allah verbrenne ihn im glühendsten Feuer der Hölle!«

»Der Lehrer war auch ein Christ. Wir Christen kennen eure Lehre weit besser, als ihr selbst. Nun rechne einmal! Ihr habt vierzehn Uled Ayar umgebracht; das giebt vierzehnhundert Kamelstuten, welche ihr zu bezahlen habt, wenn ihr euer Leben retten wollt.«

»Und die Uled Ayar werden so verrückt sein, sie zu verlangen?«

»Ja. Oder vielmehr, sie würden verrückt sein, wenn sie es nicht thäten. Wir liefern euch nur unter der Bedingung an sie aus, daß sie es thun. Wir machen ihnen mit euch ein großartiges Geschenk, welches sie mit Freuden hinnehmen werden, da sie dann die Kopfsteuer be- bezahlen können und ihnen noch viele Tiere übrig bleiben, um die gehabten Verluste zu ersetzen!«

»Du redest wie ein ungeborenes Kind! Woher sollen wir vierzehnhundert Kamelstuten nehmen!«

»Hat denn nicht jedes Tier einen Preis, für welchen es zu haben ist? Besitzt nicht auch jede Kamelstute einen solchen?«

»Sollen wir Geld geben? Soviel bares Geld giebt es im ganzen Lande nicht. Wir bezahlen nicht, sondern wir tauschen. Aber das weißt du nicht, weil du ein Fremder, ein Giaur bist!«

»Giaur! Wieder eine Beleidigung! Sie wird zu den vorigen gerechnet und erhöht das Maß der Strafe, welche dich treffen wird. Habe ich übrigens gesagt, daß ihr Geld bezahlen sollt? Wenn es bei euch nur Tauschhandel giebt, und ich weiß sehr wohl, daß es so ist, so wird euch kein Mensch verwehren, die vierzehnhundert Kamelstuten im Tausche zu bezahlen. Ihr kennt den Wert eines Kameles, eines Rindes, eines Pferdes, eines Schafes und einer Ziege, und könnt euch also leicht berechnen, wieviel Pferde, Rinder, Schafe oder Ziegen ihr für die Stuten abzuliefern habt. Uebrigens ist dies noch nicht alles, was ihr zu bezahlen habt.«