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»Die Beschließerin? Eigentümliches Volk, die Mohammedaner. Zu den Prügeln einen hundertfachen Lobpreis Allahs!«

»Ich nehme das nicht als Gotteslästerung. Hundert Hiebe und hundert Namen Allahs; da verzählt man sich nicht. Ich habe einer derartigen Exekution noch nicht beigewohnt, aber man hat mir versichert, es komme häufig vor, daß der Exekutierte die Namen Allahs mitsage, oder vielmehr laut brülle, um seine Schmerzen zu betäuben.«

»Werden sehen und hören. Bin wirklich neugierig!«

Zu bemerken ist, daß das mohammedanische Schlußgebet, welches »die Beschließerin« genannt wird, die hundert Namen Allahs enthält, welche unter Verbeugungen und Händeaufheben hergesagt werden. Da es auch für den Christen von großem Interesse ist, zu erfahren, wie Allah von den Bekennern des Islam genannt wird, so mag ein Teil der »Beschließerin« hier folgen:

Allbarmherziger! Allbesitzender! Allheiliger! Allfehlerfreier! Allbedeckender! Allgeehrter! Allherrlicher! Schöpfer! Allhervorbringer! Allnachsichtiger! Allzwingender! Allwissender! Allempfangender! Allausbreitender! Allerniedernder! Allerhöhender! Allbeehrender! Allherabsetzender! Allhörender! Allsehender! u. s. w.

Als der Scheik den Bastonnadschi kommen sah, starrte er mich wie abwesend an; dann belebte sich plötzlich sein Auge, und er fragte mich:

»Wer - wer ist dieser Mann?«

»Der Bastonnadschi,« antwortete ich bereitwillig und nicht im geringsten gehässig. »Er soll seines Amtes walten bei dir.«

»Ich - ich soll - die hundert - die hundert Hiebe erhalten! Mensch! Giaur!«

»Schweig, sage ich dir, sonst werden es hundertfünfzig!«

»Ich bin ein freier Uled Ayun! Niemand darf mich schlagen!«

»Außer der Bastonnadschi!«

»Das fordert Blut - Blut - Blut!«

»Drohe nicht, denn bald wirst du jammern! Du sollst erfahren und fühlen, daß ich es leicht wage, meine Drohungen auszuführen.«

»Weißt du, daß es dich dein Leben kostet!«

»Schwatze nichtl Du wärst der Kerl, mein Leben zu gefährden! Wie gefährlich du bist, habe ich heute gesehen! Bastonnadschi, es kann beginnen!«

»Kräftig?«

»Thue deine Pflicht, aber ich will ihm nicht an das Leben.«

»So wird er nicht sterben, aber Allah mag mich bewahren, die Wonnen zu schmecken, welche ich ihm bereiten werde! Zieht ihn aus!«

Damit war nicht gemeint, dem Delinquenten etwa die Kleider auszuziehen, sondern seinen Körper auszuziehen, auszustrecken. Man nahm ihm den Haik und band ihm die Hände los. Dann wurden ihm dieselben auseinandergestreckt an eine Lanze gebunden, welche zwei Soldaten ergriffen; zwei andere faßten ihn an den Füßen; alle vier zogen, und nun lag der Scheik lang ausgestreckt mit dem Bauche auf der Erde.

»Wir sind bereit, o Herr!« meldete der Bastonnadschi, indem er mit der Rechten einen Stock aus dem Bündel nahm, welches er in der Linken hielt.

»Dann los!« nickte ich.

Aber es ging noch nicht los, sondern alle sahen noch auf den alten Sallam. Dieser breitete die Arme aus und begann im Vorbetertone:

»Bismi-Ilahi 'r rahmani 'r rahim! la rabb, ia ddim. Groß und viel sind die Sünden dieser Welt und versteckt die Herzen der Boshaften. Aber die Gerechtigkeit ist wach, und die Strafe schlummert nicht. 0 Allah, o Mohammed, o alle ihr Khalifen! Hört, ihr Gläubigen, ihr frommen Lieblinge der Tugend die hundert heiligen Namen dessen, der keine Sünde hat und die ewige Gerechtigkeit und Vergeltung ist! Hört sie, aber hört nicht auf das Wimmern dieses Wurmes, dessen Sünden ihm jetzt auf die Fläche seines gottlosen Rückens verzeichnet werden! 0 Allbarmherziger! 0 Allerbarmender! 0 Allbesitzender -!«

Natürlich folgten bei diesen drei ersten Namen die drei ersten Hiebe. Dann kamen die andern alle langsam hintereinander. Beim »O« holte der Bastonnadschi aus, und bei der nächsten Silbe fiel der Hieb. Der Scheik lag wie leblos; er biß die Zähne zusammen und gab keinen Laut von sich. Aber beim fünfzehnten Namen öffnete er stöhnend den Mund, und mit dem siebzehnten begann er in brüllendem Tone mitzuzählen:

»O Allbeteilender - o Alleröffnender - o Allwissender - o Allempfangender - o Allausbreitender -!«

Ich sah und hörte nun freilich, daß die »Beschließerin« vortrefflich geeignet ist, das Geschrei oder Geheul eines Exekutierten in artikulierte Bahnen zu lenken. Der Mensch hatte seine Hundert wohl verdient; aber die Szene wurde mir immer widerwärtiger, und als er sechzig Hiebe empfangen hatte, ließ ich aufhören und ihn fortschaffen. Das moralische Wehe, welches ich ihm angethan hatte, war jedenfalls wenigstens ebenso groß wie das körperliche, und ich konnte vollständig überzeugt sein, mir in ihm einen grimmigen Feind gemacht zu haben, was mich aber nicht im geringsten aufregte.

Elatheh, die Frau, welche wir gerettet hatten, kam zu mir, um mir Dank für die Strafe zu sagen, welche ihren Peiniger getroffen hatte. Bei der Behandlung, die ihr bis jetzt geworden war, sah sie ein, daß sie für ihre Person nichts zu befürchten hatte. Sie wußte nicht, daß sie heimlich beaufsichtigt wurde. Es war ja immerhin der Fall möglich, daß sie, wenn auch nicht aus Undankbarkeit, entwich und, wenn sie auf die Krieger der Ihrigen traf, uns durch ihre ganz absichtslosen Mitteilungen verriet.

Wir legten uns zeitig schlafen, denn der morgende Weg durch das Warr war nicht nur beschwerlich, sondern wurde auch nach und nach gefährlich, je mehr wir uns den Ruinen näherten, wo wir die Feinde und unsere eingeschlossenen Leute vermuteten.

Am andern Morgen wurde zeitig aufgestanden, gegessen, die Pferde und Kamele gefüttert, und dann

brachen wir auf. Noch im letzten Augenblicke kam Winnetou zu mir geritten und sagte:

»Mein Bruder mag mit mir kommen. Ich habe ihm etwas zu zeigen.« »Etwas Gutes?« »Vielleicht Böses.« »Ah! Was?«

»Winnetou hat, wie mein Bruder weiß, die Gewohnheit, vorsichtig zu sein, auch wo dies nicht notwendig zu sein scheint. Ich bin hinaus und um das Lager geritten und habe da eine Spur gesehen, welche meinen Verdacht erweckt.«

Er nahm mich, während die andern fortritten, die Gefangenen auf Pferde gefesselt, mit nach Südosten, und da sahen wir denn im Sande, der zwischen den Steinblöcken lag, allerdings eine menschliche Fährte, welche zunächst vom Lager fort und dann in dieses wieder zurückführte. Wir folgten ihr und kamen an eine zwischen großen Felsbrocken gelegene Stelle, wo der Mann, der die Spur verursacht hatte, mit einem andern zusammengetroffen war; der andere war zu Pferde gewesen. Allem Anscheine nach hatten sie längere Zeit miteinander gesprochen.

Die Spuren waren unserer Ansicht nach wenigstens acht Stunden alt, und die Zusammenkunft hatte also um die Mitternachtszeit stattgefunden. Wir konnten jetzt nichts weiter thun, als der Spur des Reiters folgen. Sie führte ohne Unterbrechung nach Südost, also aus der Richtung, welcher unser Zug folgte, weit ab. Dies beruhigte uns einigermaßen, und wir kehrten nach einer halben Stunde um, um die Gefährten einzuholen.

Natürlich teilten wir, als dies geschehen war, Krüger-Bei und Emery unsere Beobachtungen mit. Der erstere nahm sie leicht und machte sich keine Sorge; der andere aber nahm sich mit uns vor, heute abend ganz gehörig aufzupassen. Ursache hatten wir dazu. Emery erkundigte sich:

»Der Reiter war nicht vielleicht im Lager während wir schliefen?«

»Nein.«

»So hat er Ursache gehabt, sich nicht sehen zu lassen. Und wer sich nicht sehen lassen darf, der ist kein Freund, sondern ein Feind.«

»Und wer nächtlicherweise heimlich mit einem Feinde verkehrt, ist ein Verräter. Wir haben also einen Verräter unter uns,« sagte ich.