»Du bist es, den wir wollten; aber die beiden andern nehmen wir auch mit, und morgen fangen wir dein ganzes Heer, um es zu vernichten, wenn der Pascha uns nicht Kamele, Pferde, Schafe und andere Nahrung für das Leben der Soldaten giebt. Fort mit ihnen, schnell, ehe sie vermißt werden!«
Man zwang uns, auf unsere Pferde zu steigen und band uns auf dieselben fest; dann ging es fort, nach Südwest, immer zwischen Felsen hindurch, bis nach über zwei Stunden das Warr zu Ende war.
Ich hätte mich am liebsten ohrfeigen mögen; aber einesteils waren mir die Hände gebunden und andernteils pflegt man eine solche Selbstzüchtigung doch lieber zu unterlassen. Meine Waffen, meine schönen, guten Waffen waren fort. Dort, der Anführer, ein Kerl, der das Gesicht eines Affen hatte, hatte sie an sich genommen. Es stand fest, daß es Uled Ayar waren, die uns festgenommen hatten.
Emery hoffte auf Winnetou. Ja, ich traute dem Apatschen mehr als jedem andern und dazu alles mögliche zu, aber was konnte er thun, da er des Arabischen nicht mächtig war! Es gab ja keinen Menschen, mit dem er sich verständigen konnte. Aber dennoch fiel es mir nicht ein, das Spiel verloren zu geben. Emery hatte recht; man schien unser Leben schonen zu wollen, denn keiner der Angreifer hatte von irgend einer Waffe Gebrauch gemacht. Das mußte uns beruhigen. Dann gab es einige gute Trümpfe, welche wir ausspielen konnten: Elatheh, die wir gerettet hatten, und die gefangenen Uled Ayun, welche wir ihren Todfeinden ausliefern wollten; durch sie kamen die letzteren ja zu dem, was sie, wie ich gehört hatte, zu haben wünschten.
Unlieb war mir nur, daß man uns drei getrennt hatte. Ich wurde vorn, der Oberst in der Mitte und Ernery am Ende des kleinen Zuges gehalten, sodaß wir nicht miteinander sprechen konnten. Ich blickte fleißig nach Ost hinüber, wo unsere Leute sich bewegen mußten, konnte aber, obgleich die Gegend eben und jetzt von Felsen vollständig frei war, nichts von ihnen bemerken. Jedenfalls waren wir ihnen zu lange weggeblieben, und sie hatten Halt gemacht, um nach uns zu suchen. Leider war ich überzeugt, daß der Führer sein möglichstes thun werde, sie zu täuschen und irre zu leiten.
Wie der letztere ganz richtig vorausgesagt hatte, gab es jetzt keine Sand- oder Steinwüste mehr; die Ebene war mehr eine Steppe zu nennen, denn es wuchs, wenn auch höchst spärlich, Gras auf derselben. Es wurde jetzt östlich eingelenkt und Galopp geritten. Erst Südwest und dann nach Osten; es war klar, daß man einen Umweg gemacht hatte, um etwaige Verfolger irre zu führen.
Die Sonne senkte sich dem Westen zu; in vielleicht drei Viertelstunden war die Dämmerung zu erwarten. Da hob sich nach und nach der Boden, und rechter Hand tauchten Höhen auf. Zwei von ihnen traten besonders charakteristisch hervor, obgleich sie weit hinten lagen. Das mußten mächtige Bergstöcke sein, das heißt, was man hier in einem so ebenen Lande so nennen kann. Täuschte ich mich nicht, so waren es die beiden Berge von Magraham. Da führte aber unser Weg nicht nach den Ruinen, welche unser Ziel gewesen waren. Die Uled Ayar mußten dieselben verlassen und sich nach der Gegend von Magraham gewendet haben.
Wir hatten einen großen Bogen gemacht, und wenn ich richtig vermutete, so lag das Warr, in welchem wir uns noch vorhin befunden hatten, nicht weiter als eine gute Reitstunde nördlich von uns. Das war mir von Bedeutung. Es kommt überhaupt unter Umständen sehr viel darauf an, sich die Gegend genau einzuprägen, und dies that ich denn auch sehr sorgfältig.
Nun sahen wir eine ganz eigenartige Berggestaltung
vor uns. Eine kompakte Masse stieg rechts und links allmählich zu bedeutender Höhe an und war in der Mitte tief bis herunter auf die Steppe eingeschnitten. Es sah aus, als ob ein Riese, ein gigantisches Wesen sich ein Brot gebacken, es hierher gelegt und dann mit einem mehrere Kilometer langen Messer bis ganz nach unten durchschnitten und nachher die beiden Hälften ein wenig auseinander gerückt habe. Die beiden Seiten waren leicht zu ersteigen, die zwischen ihnen liegende Kluft oder der zwischen ihnen liegende Paß aber schwerlich, denn ich sah ganz deutlich, daß die Wände desselben fast lotrecht abfielen.
»Der Paß wird von großer Bedeutung für euch werden.«
So sagte ich mir gleich, als ich ihn erblickte, und die Vermutung sollte schon in der nächsten Nacht zur Wahrheit werden. Die Uled Ayar ritten auch gerade auf denselben zu.
Noch ehe wir ihn erreichten, drehte ich mich um und musterte den Gesichtskreis nach der Richtung, aus welcher wir gekommen waren. Irrte ich mich nicht, so gab es da draußen, weit draußen, einen kleinen, hellen Punkt, welcher nur die scheinbare Größe einer Erbse hatte. Das war jedenfalls ein Haik, ein heller Burnus, und eine Ahnung, welche sich später bewahrheitete, sagte mir, daß dies Winnetou sei. Er war unserer Spur gefolgt, hatte also ganz denselben Umweg gemacht als wir und mußte uns besser sehen als ich ihn, da wir fünfzig Männer waren, die alle weiße Burnusse trugen. Daß er, hier angekommen, höchst vorsichtig sein und sich auf keinen Fall sehen lassen werde, davon konnte ich bei einem Manne, wie der Apatsche war, vollständig überzeugt sein. Es ahnte mir, daß er uns oder doch wenigstens mich, trotz aller Gefahr, welche dabei unvermeidlich war, sehr bald herausholen werde.
Jetzt gelangten wir in den Paß, und ich erkannte allerdings, daß die Wände wie mit einem Messer glatt geschnitten waren. Da hinauf konnte wohl niemand klettern. Wir waren kaum fünf- oder sechshundert Schritte da hineingeritten, so tauchte das eigenartige Treiben eines kriegerischen Beduinenlagers vor uns auf.
Ich sah Zelte, zwischen denen sich viele Gestalten bewegten. Hier und da war dürres Holz aufgeschichtet, um am Abende zu Feuern verwendet zu werden. Hunderte und noch mehr Menschen kamen uns entgegengerannt, um ihre siegreichen Stammesgenossen mit echt orientalischem, das heißt überschwenglichem Jubel zu begrüßen. Hinter den Zelten lagerten Soldaten, welche, wie ich bemerkte, von Wachen beaufsichtigt wurden, und noch weiter hinten erblickte ich eine große Menge von Pferden. Nur Männer waren zu sehen, kein einziges weibliches Wesen. Wir befanden uns also wirklich in einem Kriegslager, und die Soldaten, welche da hinten bewacht wurden, waren Gefangene, gehörten zu der umzingelten Schwadron, welche, wie ich nun wußte, sich hatte ergeben müssen. Ich war nun auch darauf gefaßt, den Kolarasi Kalaf Ben Urik oder, wie er eigentlich hieß, den falschen Spieler und Mörder Thomas Melton zu sehen. Daß er mich als Gefangenen sehen sollte, ärgerte mich gewaltig, doch tröstete ich mich mit der Beruhigung, daß er ebenfalls Gefangener sei. Da aber hatte ich mich freilich ganz gehörig geirrt.
Geradezu unbegreiflich war es mir, daß die Uled Ayar hier in dem engen Passe ihr Lager aufgeschlagen hatten. Wie ich zu meinem Schaden überzeugt worden war, kannten sie die Annäherung unserer Truppen ganz genau. Wie nun, wenn diese sich teilten und zu gleicher Zeit von vorn und von hinten in den Paß eindrangen? In diesem Falle waren die dazwischen sich befindenden Ayar verloren, da sie doch nicht, um sich zu retten, die steilen Felswände hinauflaufen konnten. Ich sollte aber gleich nachher hören, warum sie sich hier so sicher fühlten.
Es läßt sich leicht denken, welche Blicke uns von allen Seiten zugeworfen wurden, und noch schlimmer waren die Schimpf- und Hohnrufe, welche wir zu hören bekamen. Es war am besten, gar nicht darauf zu achten.
Hart an der linken Wand der Schlucht stand ein ungewöhnlich großes Zelt, welches mit einem Halbmonde und andern Zieraten geschmückt war, jedenfalls das Zelt des Scheikes. Nach diesem wurden wir von sechs Reitern, während die andern zurückblieben, gebracht. Die sechs stiegen, dort angekommen, von den Pferden, banden uns los und forderten uns auf, auch abzusteigen. Vor dem Zelte saß auf einem Teppiche ein alter Mann mit langem, grauem Barte, der ihm ein sehr ehrwürdiges Aussehen verlieh. Indem er uns beobachtete, that ich dasselbe mit ihm. Sein Auge blickte scharf aber offen, und sein Gesicht war dasjenige eines Mannes, dem man Vertrauen schenken, ja den man vielleicht auch lieben kann. Daß er in hohem Ansehen bei den Seinen stand, bewies die respektvolle Scheu seiner Krieger, welche in ehrfurchtsvoller Entfernung standen, um uns zu betrachten, Er hatte eine lange Pfeife in der Hand, aus welcher er rauchte.