»Und ich sage Euch: Ehe sie kommen, seid Ihr tot!«
»Dann werden sie mich an Euch rächen, denn ich bin vollständig überzeugt, daß sie siegen werden.«
Da schlug er ein lautes Gelächter auf und rief-
»Welch eine Treuherzigkeit und Arglosigkeit!«
»Lacht nur. Unsere Soldaten werden euch zu Paaren treiben!«
»Oho! Als ob ich die Memmen nicht besser kennte als Ihr! Ich will Euch sagen, wie es kommen wird.«
Jetzt war er da, wo ich ihn haben wollte. Dennoch unterbrach ich ihn, natürlich nur, um ihn zu reizen:
»Behaltet es für Euch! Ich weiß es besser als Ihr. Ihr seid so unverantwortlich leichtsinnig gewesen, Euch hier in dieser Schlucht, die eine wahre Falle ist, festzusetzen. Morgen, spätestens Mittag, werden unsere Truppen kommen und Euch in derselben einschließen; da giebt es dann kein Entkommen!«
»Das sagt Ihr mir? Seht Ihr denn nicht ein, was für eine ungeheuerliche Thorheit Ihr begeht, wenn Ihr mir das sagt? Gesetzt, wir wären wirklich so unvorsichtig gewesen, so blind in die Falle zu gehen, wie Ihr denkt, so hättet Ihr mich doch durch Eure Bemerkung auf die Gefahr, in welcher wir schwebten, aufmerksam gemacht, und wir würden uns derselben schleunigst entziehen.«
»Zounds!« stieß ich hervor und machte dabei ein Gesicht wie einer, welcher soeben einsieht, daß er einen gewaltigen Pudel geschossen hat.
»Ah, ich sehe, daß Ihr erkennt, was für ein Pfiffikus Ihr seid. Aber sorgt nicht um uns! Wir sind in die Schlucht gegangen, weil wir da versteckt liegen und nicht gesehen werden können. Auch können wir hier unsere Feuer brennen, ohne daß es unserer Sicherheit Schaden bringt. Aber morgen früh werden wir die Stelle verlassen, nämlich nur die Hälfte von uns, denn die übrigen werden bleiben und sich so weit nach hinten in den Paß ziehen, daß sie nicht gesehen werden.
Die andern aber verlassen, wie gesagt, die Schlucht und verbergen sich draußen, außerhalb derselben. Dann kommen Eure tapfern Soldaten und reiten in die Schlucht, die nun für sie zur Falle wird, denn sobald sie in dieselbe eingedrungen sind, kommen ihnen die außen postierten Uled Ayars nach und drängen sie auf ihre im Hintergrunde wartenden Gefährten. Ein Kind muß einsehen, daß es dann für Eure Leute keine andere Rettung giebt als Ergebung auf Gnade und Ungnade!«
Jetzt wußte ich, was ich wissen wollte, doch stellte ich mich überzeugt und machte ein möglichst verlegenes Gesicht. Dann ließ ich es schnell wieder hell werden und sagte:
»Die Berechnung würde ganz gut sein, wenn es gewiß wäre, daß die Soldaten auch in die Falle reiten.«
»Sie werden es; darauf könnt Ihr Euch verlassen; es ist dafür gesorgt! Der Führer, nach dessen Weisungen Ihr Euch mit so großem Vertrauen gerichtet habt, steht mit mir im Bunde. Er hat Euch heute nach dem Wasser gebracht; ich war gestern abend bei Eurem Lager und habe ihm das befohlen, um Eure Truppe führerlos zu machen. Ebenso wird er dieselbe morgen in die Schlucht bringen.«
»Wetter! Aber Ihr seid doch Offizier und solltet zu Krüger-Bei halten!«
»Unsinn! Ich habe mich lange Zeit vor ihm geduckt und um seine Gunst gebuhlt, habe jetzt aber wichtigere Dinge vor und ganz andere Aussichten. Ich gehe nach den Vereinigten Staaten zurück und will die Gelegenheit benutzen, eine gut gefüllte Tasche mitzunehmen. Ich habe mich mit Absicht umzingeln lassen; ich habe mit voller Ueberlegung dem Scheik der Uled Ayar meine Soldaten zugeführt; ich habe durch meinen Boten Krüger-Bei mit seinen drei Schwadronen herbeigelockt. Die Soldaten gehören dem Scheik; der Pascha mag sie auslösen. Krüger-Bei gehört mir und soll mir für seine Freiheit eine tüchtige Summe bezahlen. Hier steht ein Engländer, und bei Euern Truppen befindet sich ein Amerikaner. Beide müssen mir Lösegeld bezahlen. Und in Euch habe ich durch Zufall den allerwertvollsten Fang gemacht; aber Ihr sollt mir kein Geld einbringen, sondern Ihr werdet sterben - und wie! Alles was Ihr an mir und meinem Bruder verübt habt, wird nun mit einem Male über Euch kommen. Und wißt ihr, warum ich Euch dies alles mit solcher Aufrichtigkeit sage?«
»Nein. Ich finde Eure Offenherzigkeit geradezu unbegreiflich.«
»Um Euch zu beweisen, daß ich meiner Sache voll- vollständig sicher bin. Es giebt keinen Gedanken an Rettung für Euch.«
»Dann aber auch für diesen Engländer und jenen Amerikaner nicht, noch weniger für Krüger-Bei.«
»Wieso?«
»Sobald Ihr das bare Lösegeld oder die Wechsel in den Händen habt, werdet Ihr sie töten oder töten lassen, um nicht von ihnen verraten zu werden.«
»Seht, wie klug Ihr plötzlich geworden seid!« grinste er mich an. »Was ich thun oder mit ihnen vereinbaren werde, braucht Ihr nicht zu wissen; das ist meine und ihre Sache. Was sie mir zahlen sollen, ist nur ein hübsches Reisegeld. Drüben werde ich dann Geld in Masse finden; dafür ist gesorgt.«
»Wohl durch eine Erbschaft?« entfuhr es mir halb unfreiwillig und doch auch halb mit Bedacht.
Er lachte mir heiter ins Gesicht und antwortete, ohne zu ahnen, daß ich alles wußte:
»Ja, durch eine Erbschaft, werter Sir! Und nun soll es genug sein mit meiner Aufrichtigkeit. Der Oberst mag bei dem Scheik bleiben; Ihr aber und der Englishman geht mit nach meinem Zelte, wo ich euch so sorgfältig und sicher aufbewahren werde, daß Ihr erstaunen werdet, wie fest meine Riemen und Stricke sind. Nur noch ein Wort zum Scheik.«
Er wendete sich an diesen:
»Krüger-Bei gehört dir einstweilen. Verwahre mir ihn gut! Diese beiden aber nehme ich mit zu mir; sie sind mein Eigentum ebenso wie der Oberst, den ich dir einstweilen lasse, damit du mit ihm über die Bedingungen sprechen kannst, unter denen du seine Soldaten freigeben wirst.«
Emery hatte an meiner Seite gestanden und jedes
Wort des Halunken gehört. Dieser nahm jetzt mit der einen Hand ihn und mit der andern Hand mich beim Arme, um uns fortzuführen; da aber forderte ihn der Scheik auf:
»Halt! Du scheinst mit den beiden Männern fertig zu sein, ich aber bin es noch nicht mit dir.«
Das Gesicht des Sprechers hatte einen finstern, fast möchte ich sagen drohenden Ausdruck angenommen. Ich ahnte, er werde es nicht zugeben, daß wir von dem Amerikaner fortgeführt würden, und dies konnte uns nur lieb sein. Für unser Leben war ich zwar keineswegs schon jetzt besorgt, aber es stand fest, daß wir bei ihm mehr auszustehen haben würden, als dann, wenn der Scheik uns bei sich behielt. Um unser Leben hatte ich aus zwei Gründen keine Angst. Ich konnte mich zwar auf Krüger-Bei nicht verlassen, glaubte aber annehmen zu dürfen, daß ich mit Emery gewiß eine Art finden würde, uns zu befreien. Und selbst wenn mich diese Hoffnung getäuscht hätte, so war Winnetou da, auf den ich mich verlassen konnte.
War dieser wirklich da? Ich hoffte es, ja, ich hätte darauf schwören mögen, so genau kannte ich diesen besten und bewährtesten aller meiner Freunde und Genossen. Ich war vollständig überzeugt, daß er der weiße Punkt, den ich gesehen hatte, gewesen war und konnte leicht von dem, was ich an seiner Stelle thun würde, auf das schließen, was er that. Unsere beiderseitigen Ansichten und Gedanken pflegten in solchen Lagen stets dieselben zu sein.
Er hatte unbedingt wahrgenommen, daß wir in den Engpaß einbogen, welcher den Berg in zwei Hälften, eine östliche und eine westliche durchschnitt. Winnetou kam, wie wir, von Westen her; jedenfalls hielt er diesen Paß für ebenso bedeutsam, wie ich ihn, als ich ihn bemerkte, gleich gehalten hatte. Er mußte sehen, wer sich in demselben befand und was in demselben vorging, und hatte auf alle Fälle zu diesem Zwecke seine Richtung geändert und unsere Spur verlassen, um hinauf auf den Berg zu reiten und von der Höhe herab in den Paß herabzublicken. Es war mir, als ob ich ihn dort sehen müsse, wenn ich meinen Blick nach oben richtete. Ich that dies, und wirklich, kaum hob ich das Gesicht empor, so richtete sich da oben, ganz an der Kante des lotrecht abfallenden Felsens, eine Gestalt auf, machte einige augenfällige Armbewegungen und ließ sich dann schnell wieder niederfallen. Er schien in dieser Höhe nur die Größe eines Knaben zu haben, aber ich habe ihn dennoch erkannt. Er war es und hatte mir durch seine Bewegung ein Zeichen gegeben, daß sein Adlerauge uns sah und alles beobachtete. Ich war nun vollständig beruhigt; ich wußte, daß er trotz aller Gefahr, die es für ihn dabei gab, kommen werde, um uns zu befreien. Er blieb ganz bestimmt so lange da, bis er sah, wohin wir geschafft wurden.