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»Wie seid ihr gefangen genommen worden?«

Ich erzählte es ihm in kurzen Worten, erklärte ihm auch den Verrat des Kolarasi und fügte hinzu: »Krüger-Bei ist im Zelte des Scheiks. Wo Emery steckt, werden wir bald erfahren.«

»Ich weiß es, denn ich sah, wohin man ihn schaffte. Er befindet sich auf der entgegengesetzten Seite des Lagers.«

»So schneide mich ab! Wir müssen uns beeilen, die beiden freizumachen.«

»Nein, das werden wir nicht, weil wir damit alles verderben würden. Die Uled Ayar dürfen nicht merken, daß ihr fort seid! Sie würden sofort annehmen, daß wir unsere Soldaten holen, und das würde sie zum sofortigen Aufbruche veranlassen. Also müßt ihr hier bleiben. Sieht das mein Bruder Old Shatterhand ein?«

»Ja. Aber dann muß ich darauf rechnen, daß unsere Soldaten ganz gewiß kommen!«

»Du darfst nicht bloß darauf rechnen, sondern du sollst sie selbst holen.«

»Aber ich darf doch nicht fort! Mein Wächter würde es bemerken und Lärm schlagen.«

»Er wird nichts bemerken, denn ich bleibe an deiner Stelle hier.«

»Winnetou!« hätte ich beinahe ganz laut ausgerufen. »Welch ein Opfer!«

»Es ist kein Opfer. Wenn ich allein gehe, kann ich nicht mit den Soldaten sprechen. Wenn du mitgehst, entdeckt man es, und der Fang gelingt uns nicht. Wenn aber ich hier bleibe und du gehst, ist es ganz sicher, daß wir sie fangen, denn du wirst sie noch während der Nacht einschließen, sodaß sie am Morgen nicht aus der Schlucht können. Für mich ist keine Spur von Gefahr dabei, daß ich hier bleibe.«

Er hatte recht. Man könnte mich wohl dafür, daß ich dieses sein Anerbieten annahm, verurteilen; aber wir kannten uns und wußten, daß wir uns aufeinander verlassen konnten.

»Gut, ich willige ein,« erklärte ich. »Bist du bei den Unserigen gewesen, seit wir gefangen genommen worden sind?«

»Nein; ich hatte keine Zeit dazu. Ich mußte vor allen Dingen dich heraus haben.« »Wie will ich sie finden, da ich nicht weiß, wo sie sind?«

»Wenn du gerade gegen Norden reitest, mußt du auf sie stoßen. Sie haben jedenfalls da, wo die Felsen aufhören, Halt gemacht.«

»Am südlichen Ende des Warr? Das denke ich auch. Du sprichst vom Reiten. Natürlich meinst du auf deinem Pferde?« »Ja. Wenn du aus der Schlucht kommst, gehst du tausend Schritte gegen Norden; da habe ich es angehobbelt. Meine Waffen hängen am Sattel; nur das Messer habe ich mit.«

»Das behältst du auch, um für alle Fälle etwas zur Verteidigung zu haben. Wie aber, wenn der Wächter hereinkommt und dich anspricht! - Du kannst ja nicht antworten!«

»Ich werde schnarchen, damit er denkt, ich schlafe.«

»Gut! Hoffentlich dauert es nicht lange, bis ich wieder da bin. Soll ich dir vielleicht ein Zeichen geben?« »Ja. Drei Schreie eines Geiers.«

»Gut! Also binde mich los! Dann fessele ich dich; aber so, daß du dir die Hände leicht frei machen kannst.«

Dies geschah; dann verabschiedete ich mich von dem Apatschen und kroch zum Zelte hinaus. Das war nicht schwer. Die Leinwand war mit Hilfe von Schnüren unten an der Erde an die Zeltstangen festgebunden. Winnetou hatte zwei Schnüre aufgelöst und die Leinwand so weit emporgehoben, daß er hatte ins Zelt kriechen können. Ich kam auf dieselbe Weise hinaus und band die Schnüre wieder fest. Ich war frei, ohne daß mein Wächter eine Ahnung davon hatte.

Nun, eigentlich frei war ich allerdings noch nicht, denn ich hatte erst noch einen großen Teil des Lagers zu durchschleichen; aber ich wußte doch, daß es niemanden gelingen werde, mich zu fangen.

Der junge Mond stand am Himmel, obgleich ich ihn hier in der tiefen Schlucht nicht sehen konnte. Es war ziemlich hell, doch sah ich keinen Menschen, der noch wach und munter war. Die Schläfer lagen in Gruppen, welche leicht zu vermeiden waren, beisammen. Ich kroch schlangengleich auf der Erde hin und hatte schon nach einer Viertelstunde die letzten Uled Ayar hinter mir. Da stand ich auf und lief.

Die Beduinen fühlten sich wirklich vollständig sicher. Sie hatten nicht einmal am Ausgange des Passes einen Wachtposten aufgestellt. Nun tausend Schritte nordwärts. Schon nach achthundert Schritten sah ich das Pferd, denn hier im Freien war es bedeutend heller, als drin in dem tiefen Engpasse. Ich stieg auf und ritt davon, indem ich mich erst jetzt vollständig sicher fühlen konnte, da ich ein Pferd und Winnetous vortreffliche Waffen hatte.

Nun ging es im Galoppe immer weiter nach Norden. Der Mond stand im Anfange des ersten Viertels, schien aber so hell, daß ich eine ziemlich weite Aussicht hatte. Nach einer Stunde erreichte ich die ersten Felsblöcke, welche den Beginn des Warr bedeuteten. Es galt, unser Lager zu finden, was hier zwischen den Felsen weit schwerer war, als auf der offenen Steppe. Ich nahm die Silberbüchse des Apatschen und gab einen Schuß ab, nach einer kleinen Weile einen zweiten. Als ich nun horchte, hörte ich nach vielleicht einer halben Minute zwei Schüsse als Antwort; sie fielen westlich von mir. Ich schlug diese Richtung ein und traf bald auf mehrere Soldaten. Als man im Lager meine Schüsse gehört hatte, war man der

Ansicht gewesen, daß Winnetou zurückkehre. Man hatte auch zweimal geschossen, um ihm die Richtung anzudeuten, und außerdem noch Leute ausgesandt, ihm entgegenzugehen. Sie erstaunten, an seiner Stelle mich zu sehen, doch unterließ ich es, ihnen Auskunft zu geben, denn meine Zeit war kostbarer, als daß ich sie damit hätte vergeuden mögen.

Im Lager wurde ich jubelnd empfangen. Ich fragte sofort nach dem Führer; er wurde gerufen und zeigte, als er kam, nicht eine Spur von Angst, oder auch nur Verlegenheit.

»Du weißt, wie wir gefangen genommen worden sind?« fragte ich ihn.

»Ja, o Herr. Ich war ja dabei.«

»Was mag wohl der Grund gewesen sein, daß gerade nur du entkamst?« »Daß ich auf dem Pferde sitzen geblieben war. Es trug mich schnell davon.« »Hm, ja! Was thatest du dann?« »Ich meldete eure Gefangennahme.« »Und dann?«

»Suchten wir euch im Warr.« »Warum denn da?«

Es war anzunehmen, daß die Uled Ayar sich mit euch in demselben verstecken würden.« »Und ihrer Spur folgtet ihr nicht?«

»Das wäre überflüssig gewesen, weil dein Freund, welcher Ben Asra heißt, dies schon that.«

»Ah, darum hieltet ihr es für überflüssig! Wenn einer ein gutes Werk thut, dürfen andere dasselbe nicht auch thun, weil es überflüssig ist. Du hast sonderbare Gründe. Aber der eigentliche Grund ist ein anderer. Wo hatten die Uled Ayar wohl gesteckt, als sie uns überfielen?«

»Hinter den Felsen.«

»Dort hatten sie auf uns gewartet. Sie mußten also wissen, daß wir kommen würden. Sie erfuhren es von einem, der es gewußt hat, daß du uns an das Wasser führen würdest. Wer hat es noch gewußt?«

»Niemand!«

»Ja, niemand außer dir. Folglich bist du es gewesen.«

»Ich? Allah, Allah! Welch ein Gedanke! Habe ich nicht bewiesen, daß ich treu bin! Bin ich nicht nach Tunis geritten, um Hilfe zu holen?«

»Du willst sagen, um den Uled Ayar noch mehr Soldaten in die Arme zu treiben! Wer war der Reiter, mit dem du gestern um Mitternacht in der Nähe unsers Lagers gesprochen hast?«

Diese Frage hatte er nicht erwartet. Er blieb vor Schreck stumm.

»Antworte!« befahl ich ihm.

»Herr, auf - auf eine - auf eine solche Frage - kann ich nicht antworten,« stotterte er. »Du kannst antworten! Wer war es?«

»Ich habe mit niemanden gesprochen. Ich habe das Lager nicht verlassen.«

»Lüge nicht! Du hast mit dem Kolarasi Kalaf Ben Urik gesprochen und mit ihm beredet, uns den Uled Ayar auszuliefern.« »Maschallah! Herr, sage mir, wer mich in dieser Weise verleumdet hat, damit ich ihn auf der Stelle niederschieße!«