»Sprich nicht vom Schießen, denn du selbst wirst es sein, der erschossen wird. Die Kriegsgesetze verlangen deinen Tod.«
»Herr, ich bin unschuldig! Ich weiß -«
»Schweig!« herrschte ich ihn an. »Du hast nach unserm Verschwinden als Führer die Nachforschungen geleitet, und mit Absicht nicht auf unsere Spuren geachtet. Der Kolarasi hat mir selbst gesagt, daß er mir dir im Bunde steht.«
»Der Schurke! Er ist -«
»Still! Du bist ein Verräter und wolltest uns alle ans Messer liefern. Entwaffnet den Halunken und bindet ihn! Der Herr der Heerscharen wird ihm morgen sein Urteil sprechen.«
Die Leute waren so erstaunt, den Unteroffizier, welcher bisher ein so großes Vertrauen genossen hatte, eines solchen Verbrechens angeklagt zu sehen, daß sie versäumten, meinen Befehl auszuführen. Dies machte er sich zunutze, indem er ausrief.
»Mein Urteil? Eher soll das deinige gesprochen werden, und zwar jetzt gleich, du verfluchter Giaur!«
Er zog sein Messer und wollte es mir in die Brust stoßen, um dann zu entrinnen. Ich hatte Winnetous Gewehr in der Hand, parierte mit demselben den Stoß und griff nach dem Verräter. Er huschte mir aber unter dem Arme weg und eilte davon, der Stelle zu, an welcher die Pferde standen. Die Anwesenden waren alle so perplex, daß es keinem einfiel, ihn zu verfolgen. Auch ich blieb stehen; aber ich legte die Silberbüchse zum Schusse an.
An dem Manne lag mir ganz und gar nichts. Er hätte immerhin entkommen mögen; aber es war mit Sicherheit anzunehmen, daß er sich direkt nach der Schlucht zu den Uled Ayar wenden würde und das mußte unbedingt verhindert werden. Die Felsblöcke verhinderten die Aussicht auf die Pferde; aber wenn er aufstieg, saß er so hoch, daß seine Gestalt über die Felsen ragen mußte. Darauf wartete ich. Das Schnauben eines Tieres war zu hören, dann Hufschlag. Er war aufgestiegen. Da drüben ritt er hin. Ich sah seinen Kopf und seine Schultern; ich zielte auf die rechte Schulter und drückte ab. Der Schuß krachte; ein Schrei ertönte, und der Reiter verschwand.
»Ich habe ihn vom Pferde geschossen,« sagte ich, indem ich das Gewehr absetzte. »Eilt hin, und holt ihn her zu mir!«
Viele rannten fort. Als sie ihn brachten, war er ohnmächtig.
»Der Hekim (* Militärarzt.) mag ihn verbinden; dann wird er gefesselt,« gebot ich. »Er darf nicht aus den Augen gelassen werden.«
»Warum fesseln?« ertönte da eine Stimme hinter mir. »Der Mann schien brav zu sein und hat sich gut geführt. Wer wird eines Verdachtes wegen einen Menschen erschießen!«
Diese Worte waren in englischer Sprache gesprochen worden, und als ich mich umdrehte, stand der falsche Hunter da. Der kam mir eben recht!
»Sie tadeln mich?« fragte ich ihn in derselben Sprache. »Dazu haben Sie kein Recht.«
»Haben Sie Beweise für die Schuld dieses Unteroffiziers?« »Ja.«
»So mußten Sie ihn anzeigen, damit er vor ein Kriegsgericht gestellt werde! Sie hatten auf alle Fälle kein Recht, auf ihn zu schießen!«
»Pshaw! Ich weiß stets, was ich thue. Ich werde das, was ich gethan habe und noch thun werde, vor Krüger-Bei verantworten. Wie kommt es, daß Sie sich eines Verräters so warm annehmen?«
»Es muß bewiesen werden, daß er einer ist!«
»Es ist schon erwiesen. Ich habe allerdings in letzter Zeit bemerkt, daß Sie eine ganz besondere Neigung zu diesem Manne gefaßt und sich besonders in heimlicher Weise viel mit ihm beschäftigt haben. Jetzt verteidigen Sie ihn, ohne dazu berufen worden zu sein. Können Sie mir den Grund dazu angeben?«
»Ich habe mich vor Ihnen nicht zu rechtfertigen! Was ich lasse oder was ich thue, das geht Sie gar nichts an!«
»So! Das ist Ihre Meinung; die meinige klingt aber anders. Soll ich Ihnen sagen, warum Sie eine ebenso heimliche wie innige Freundschaft mit diesem Verräter geschlossen haben?«
»Dies zu sagen, würde Ihnen wohl sehr schwer werden!«
»Kinderleicht! Er macht das Bindeglied zwischen Ihnen und dem Kolarasi Kalaf Ben Urik, den Sie befreien wollen.«
»Wenn es das ist, so bedaure ich es jetzt sehr, Sie in mein Vertrauen gezogen und ihnen soviel mitgeteilt zu haben!«
»Dann bedauern Sie vielleicht das noch mehr, was ich von andern außerdem noch weiß, daß Sie einen gewissen Thomas Melton kennen.«
»Tho - mas - Mel - ton!« stieß er silbenweise hervor.
Wenn es Tag gewesen wäre, hätte ich gewiß gesehen, daß er leichenblaß geworden war.
»Ja. Sie leugnen doch nicht, diesen Mann zu kennen, wenigstens von ihm gehört zu haben?«
Wenn ich diesen Namen brauchte und eine solche Frage aussprach, mußte ich allerdings etwas wissen. Daß ich aber alles wußte, hielt er natürlich für unmöglich. Abzuleugnen wäre ein großer Fehler gewesen; darum antwortete er:
»Es kann mir gar nicht einfallen, in Abrede zu stellen, daß ich diesen Namen gehört habe. Aber was geht das Sie an?«
»Nur sehr wenig, wie Sie gleich hören werden. Wissen Sie, wer Thomas Melton war?« »Ja, ein Westmann.«
»Und nebenbei ein falscher Spieler und ein Mörder.« »Mag sein; mich kümmert das nicht.«
»Das wundert mich, denn ich weiß, daß Sie die famose Geschichte vom Fort Uintah kennen.«
»Und Sie kennen sie auch?« fragte er unbedacht, denn er gab damit zu, daß er sie in Wirklichkeit kannte.
»Ein wenig,« fuhr ich fort. »Er hatte auch damals falsch gespielt und wurde ertappt; es kam zum Streite, und er erschoß infolgedessen einen Offizier und zwei Soldaten. War es nicht so?«
»Ich denke,« antwortete er mit scheinbarer Gleichgültigkeit.
»Dann tauchte er in Fort Edward auf, wie Sie wohl auch wissen?«
»Was fragen Sie nur! Ich habe nicht das mindeste Interesse an dem Manne!«
»Ich desto mehr. Und auch das Ihrige wird sich steigern, wenn ich Ihnen die Mitteilung mache, welche ich auf dem Herzen habe. Wenn ich mich nicht irre, wurde er dort als Gefangener eingeliefert, und zwar von einem Westmanne, welcher - welcher - hm, wie hieß er doch gleich?«
»Old Shatterhand!«
»Ja, richtig; jetzt fällt es mir ein! Old Shatterhand! War das nicht ein Schotte oder Irländer?« »Nein, sondern ein Deutscher, der überall seine schmutzige Hand im Spiele hatte.«
»Ja, ja, er mengte sich gern in alles! Dabei fällt mir etwas anderes ein, eine Geschichte, in welcher Old Shatterhand auch sein Wesen trieb. Hatte Thomas Melton nicht einen Bruder, welcher Harry hieß, und nach Mexiko, in die Sonora ging, um sich eine Besitzung zu erwerben?«
»Ich hörte davon.«
»Wurde er nicht auch von Old Shatterhand aus derselben vertrieben?« »Ja.«
»Und Thomas Melton hat einen Sohn, welcher Jonathan heißt?« »Alle Wetter! Wie kommen Sie auf den?«
»So, wie man eben aus Langerweile auf irgend etwas kommt. Jonathan Melton ging als Reisebegleiter nach Europa, und dann gar nach dem Orient?«
»Wo - wo - woher wissen - wissen Sie das?« fragte er stockend.
»Ich habe es ganz zufällig erfahren. Er ging als Begleiter mit einem Amerikaner, welcher - hm, wie hieß er doch nur gleich! Wissen Sie das nicht?«
»Nein.«
»Nicht? Das wundert mich außerordentlich, denn ich lasse mir auf der Stelle den Kopf abschlagen, wenn dieser Amerikaner nicht genau so hieß, wie Sie, nämlich Small Hunter. Ist's nicht so?«
»Ich weiß es nicht. Lassen Sie doch diese Fragen; sie sind mir zuwider!«
»Mir nicht, denn die Sache ist wirklich höchst inter- interessant. Und wissen Sie, was das Allerinteressanteste dabei ist?«
»Ich mag es nicht wissen!«
»O doch! Denn jetzt kommt die Hauptsache. Nämlich ich selbst habe damals eine Rolle, und zwar keine Nebenrolle, mitgespielt. Ich heiße nicht Jones, sondern Old Shatterhand.«