Er verbeugte sich ebenfalls und antwortete:
»Ich grüße dich! Du hast mir freies Geleit geboten und wirst dein Versprechen halten?«
»Ja. Du kannst gehen, sobald du willst, denn ich bringe dir den Frieden.« »Dafür willst du Steuern!«
»Nein.«
»Nicht?« fragte er erstaunt. »Seid ihr nicht deshalb als Feinde zu uns gekommen, um uns das, was uns von unsern Herden übriggeblieben ist, vollends zu nehmen?«
»Ihr habt Mohammed es Sadok Pascha versprochen, die Kopfsteuer zu zahlen, aber nicht Wort gehalten. Es ist sein Recht, das, was ihr ihm verweigert, mit Gewalt zu nehmen; ihr werdet also zahlen müssen; aber ich bin nicht dein Feind, sondern dein Freund und will dir sagen, wie du die Steuer bezahlen kannst, ohne daß du ein einziges Haar eurer Herden anzurühren und wegzugeben brauchst.«
»Allah ist groß und barmherzig! Wenn deine Worte wahr sind, so bist du allerdings mein Freund und nicht ein Feind von uns!«
»Ich habe die Wahrheit gesprochen. Habe die Güte, dich zu mir zu setzen, so wirst du hören, welchen Vorschlag ich dir zu machen habe.«
»Deine Rede duftet wie Balsam. Die Erde, auf welcher du sitzest, soll auch meinen Gliedern Ruhe geben.«
Es wurden zwei Gebetsteppiche nebeneinander gelegt; er setzte sich auf den einen, ich mich auf den andern. Der Beduine überstürzt nichts. Unsere Würde erforderte, zunächst eine Pause zu machen. Während derselben musterte ich die Schlucht mit allem, was sie enthielt; er aber verwendete kein Auge von mir und begann endlich:
»Der Herr der Heerscharen hat mir gestern von dir erzählt, Effendi. Ich habe erfahren, was du erlebt und gethan hast; aber er hat mir nicht gesagt, daß du auch ein Meister in der Zauberei bist.«
»Wieso?«
»Du lagst gefesselt und angebunden in deinem Zelte. Dein Wächter ist in dieser Nacht zwölfmal in demselben gewesen und hat dich und deine Fesseln betastet, um zu wissen, daß du noch vorhanden seiest. Nur ganz kurze Zeit vor dem Morgengebete war er zum letztenmale bei dir. Und jetzt sitzest du hier und redest zu mir als freier Mann! Ist das nicht Zauber?«
»Nein. Hat der Wächter denn gewußt, daß ich es war, den er bewachte?«
Dieser Zauber war sehr leicht zu erklären. Ich hatte Winnetou die Hände nicht fest zusammengebunden. Als er mein Zeichen hörte, hatte er die Fesseln abgestreift, sich vom Pfahle losgemacht und in seiner unvergleichlichen Weise aus dem Lager geschlichen. Jedenfalls befand er sich jetzt vorn am Eingange der Schlucht bei der ersten Schwadron. Da ich es nicht für nötig hielt, dem Scheik diese Erklärung mitzuteilen, ließ ich ihn bei seinem Wunderglauben und sagte:
»Du magst daraus ersehen, daß es besser gewesen wäre, - wenn du mir schon gestern dein Ohr gegönnt hättest. Ist jemand von euch von den Schüssen unserer Soldaten verwundet oder getötet worden?«
»Nein.«
»Das ist gut! Ich hatte Befehl gegeben, in die Luft zu schießen. Erst wenn meine Unterredung mit dir vergeblich sein sollte, werden wir euch unsere Kugeln geben. Doch hoffe ich, daß du uns nicht zwingen wirst, die Frauen und Kinder deines Stammes zu Witwen und Waisen zu machen. Wie steht ihr euch mit den Uled Ayun?«
»Wir haben Blutrache mit diesen Hunden!«
»Wie viele Männer haben sie euch getötet?« »Dreizehn! Allah sende die Ayun in die Hölle!« »Sind sie ärmer oder reicher als ihr?«
»Reicher. Schon früher waren sie reicher; aber nun wir unsere Herden verloren haben, ist der Unterschied noch viel größer als vorher, denn sie haben keine Verluste gehabt. Sie weiden ihre Tiere im Wadi Silliana, in welchem es nie an Wasser mangelt.«
»Wie bist du dazu gekommen, mit dem Kolarasi Kalaf Ben Urik einen Vertrag abzuschließen?« »Er bot mir denselben an, als wir ihn umzingelt hatten.« »Konnte er sich denn nicht anders retten?«
»O doch! Seine Soldaten hatten viel bessere Waffen als wir. Sie hätten sich durchschlagen können und dabei gewiß sehr viele von uns getötet. Er aber zog es vor, einen Vertrag mit mir abzuschließen und sich dann zu ergeben. Ich sollte die Soldaten bekommen, welche er bei sich hatte, und auch die, welche er noch herbeilocken wollte.«
»Und was verlangte er dafür?«
»Seine Freiheit und den Herrn der Heerscharen, den er zwingen wollte, ihm ein großes Lösegeld zu bezahlen.«
»Du weißt nicht, mit was für einem Menschen du den Vertrag abgeschlossen hast!« »Er ist ein Ischariot; das habe ich dir schon gesagt.«
»Und er ist noch mehr. Ich werde dir später von ihm erzählen; jetzt ist die Zeit dazu zu kurz und zu wichtig, denn ich möchte auch einen Vertrag mit dir abschließen, aber einen viel bessern, der dich nicht in Widerstreit mit deinen Pflichten bringt und dir auch die Rache des Pascha nicht zuziehen wird.«
»So sprich! Ich lausche deinen Worten, o Effendi.«
»Zunächst will ich dir sagen, was ich von dir verlange, nämlich die Freiheit des Herrn der Heerscharen und des Engländers, welche sich noch bei dir befinden. Sodann die Auslieferung des Kolarasi und endlich den vollen Betrag der Kopfsteuer, welche wir eintreiben sollen.«
»Effendi, das letztere kann ich dir nicht leisten; es ist unmöglich!«
»Warte nur! Ich will dir doch auch sagen, was du von uns erhältst, wenn du in meine Forderungen einwilligest. Du erhältst vierzehnhundert Kamelstuten oder deren Wert.«
Er sah mich mit weit geöffneten Augen an, schüttelte den Kopf und sagte dann:
Ach kann unmöglich richtig gehört haben, Effendina, und bitte dich also, es noch einmal zu sagen!« »Gern! Du sollst vierzehnhundert Kamelstuten oder deren Wert bekommen.«
»Aber wofür? Bedenke, Effendina, daß ich gar keine Forderungen an euch stellen kann.«
»Ja. Du magst daraus ersehen, daß es viel besser ist, einen Christen als einen Moslem zum Gegner zu haben. Was dir noch unerklärlich ist, werde ich dir erklären. Es giebt bei euch ein junges Weib, welches Elatheh heißt?«
»Ja. Sie ist der Liebling des ganzen Stammes. Aber Allah hat sie mit den Augen ihres Kindes betrübt, denn ihr Söhnchen ist blind geboren. Darum ist sie mit einem ehrwürdigen Greise nach einem heiligen Orte gepilgert, um Allah zu bitten, die Augen des Kindes sehend zu machen. Sie wird nun bald heimkehren.«
»Sie ist bei mir. Sie fiel unterwegs den Uled Ayun in die Hände, welche den Greis töteten und die Frau bis an den Kopf in die Erde eingruben.«
»Allah 'l Allah! Schon wieder ein Mord! Das ist der vierzehnte! Das viele Blut schreit um Rache bis zum Himmel hinauf. Und die Hunde verschonen nicht ein Weib, welches sich auf der Wallfahrt befindet! Welch eine Qual, und welch ein Tod! Bis an den Kopf eingegraben! Da kommen die Geier und hacken die Augen aus!«
»Fast wäre es so geworden; aber Allah hatte Erbarmen mit der Frau. Er führte mich zu ihr, und ich habe sie ausgegraben. Vorher aber habe ich etwas gethan, worüber du dich freuen wirst: Ich habe Farad el Aswad gefangen genommen.«
»Farad el Aswad? Wer heißt denn noch so? Denn den Scheik der Uled Ayun kannst du doch nicht meinen!«
»Warum nicht?«
»Weil dies für mich die größte der Wonnen wäre, und Wonnen giebt es für mich nicht mehr. Und auch weil dieser Scheik nicht ein Mann ist, der sich so leicht gefangen nehmen läßt.«
»Pah! So hältst du ihn für einen tapfern Mann? Ich habe ihn freilich ganz anders gesehen. Ich hatte nur zwei Männer bei mir, Wir drei haben den Scheik Farad el Aswad nebst dreizehn Ayuns gefangen genommen, ohne daß sie es wagten, sich zu wehren. Und doch hatten sie ihre Waffen bei sich und saßen auf vortrefflichen Pferden.«
Da fuhr er von dem Gebetsteppiche auf und jubelte:
»O Allah, Allah, ich danke dir! Das macht alles wieder gut! Daß diese Hunde ergriffen worden sind, ist Himmelslust für meine Seele; aber daß es ihrer vierzehn waren, die sich von drei Personen festnehmen ließen, das verlängert mein Leben um mehrere Jahre! Welche Schande - welche Schande! Du mußt mir erzählen, wie das gekommen ist, Effendina. Vorher aber sag mir, was du mit den Hunden gemacht hast, als sie in deine Hände gefallen waren! Hast du sie getötet?«