»Nein. Ein Christ darf selbst seinen ärgsten Feind nicht töten; die Rache ist allein Gottes. Sie leben noch, sind gefesselt und befinden sich bei mir.«
»Sie leben noch und sind bei dir! Was wirst du mit ihnen thun? Sag es mir - sag es mir schnell!« Er zitterte fast vor Verlangen, meine Antwort zu hören.
»Ich übergebe sie dir.«
Kaum hatte ich diese vier Wörtchen ausgesprochen, so sank er wieder nieder, vor mir auf die Kniee, ergriff meine Hände und fragte, vor Aufregung fast brüllend:
»Ist das wahr - ist das wahr? Ist das dein fester Wille?«
»Ja, ich liefere sie aus; aber natürlich nur dann, wenn du die Bedingungen erfüllst, welche ich vorhin gestellt habe.«
»Ich erfülle sie - ich erfülle sie! 0 Allah, o Muhammed! Wir bekommen vierzehn Uled Ayuns, vierzehn Ayuns, und der Scheik ist selbst dabei! Wir können unsere Rache sättigen! Sie müssen ihr Leben hergeben! Ihr Blut wird fließen -«
»Halt!« fiel ich ihm in die begeisterte Rede. »Ihr Leben darf nicht gefährdet werden; das muß ich unbedingt verlangen!«
»Wie?« fragte er ganz betroffen. »Wir haben vierzehn Morde zu rächen, bekommen vierzehn Todfeinde in die Hände und sollen uns doch nicht an ihnen rächen? Das ist unmöglich! So etwas würde noch niemals geschehen sein, und alle Einwohner des Landes würden uns verlachen und uns für Menschen halten, welche keine Ehre besitzen und sich Mord und Beleidigung gefallen lassen.«
»Nein, das wird niemand von euch sagen, denn man wird erfahren, daß ihr wegen des Blutpreises darauf verzichtet habt, das Blut eurer Feinde zu vergießen.«
»Effendi, das ist eine Bedingung, auf die wir wohl schwerlich eingehen können!« »Nicht? Dann bekommt ihr die Uled Ayuns auf keinen Fall.«
»Du vergissest, daß dann auch die Wünsche, welche du ausgesprochen hast, nicht erfüllt werden!«
»Ich vergesse nichts. Aber du hast vergessen, daß ihr euch in unserer Gewalt befindet. Dreihundert Soldaten stehen vorn und hinten an diesem Passe. Ihr könnt also nicht heraus. Und hundert Mann halten da oben auf der Höhe. Ihr könnt sie mit euern Kugeln nicht erreichen; die oben werden einen nach dem andern von euch wegputzen, ohne daß ihr dies zu verhindern vermögt. Ich brauche nur ein einziges Zeichen zu geben, so krachen hinter und über euch alle Gewehre. Was wollt oder könnt ihr dagegen thun?«
Er blickte eine kleine Weile finster vor sich nieder und antwortete dann:
»Nichts, gar nichts! Wir sind unvorsichtig gewesen; wir hätten nicht hier in der Schlucht bleiben sollen.«
»Ja, ihr wolltet uns in derselben fangen und steckt nun selbst in dieser Falle, aus welcher ihr gegen unsern Willen nicht zu entkommen vermögt. Ich habe auch nicht lange Zeit, gegen deine Bedenken mit unnützen Redensarten anzukämpfen. Ich gebe dir also fünf Minuten Zeit, dich zu entscheiden. Also merke wohclass="underline" Ich verlange den Engländer und den Herrn der Heerscharen frei; dazu gebt ihr alles heraus, was den beiden und mir abgenommen worden ist. Ferner verlange ich die Auslieferung des Kolarasi Kalaf Ben Urik.Dafür übergebe ich euch die vierzehn Uled Ayun unter der Bedingung, daß ihr auf die Zahlung des Blutpreises eingeht. Und außerdem laß ich euch aus der Schlucht heraus und sorge für einen guten Friedensschluß zwischen euch und dem Pascha.«
»Dem wir aber die Kopfsteuer bezahlen müssen?«
»Allerdings. Ich gebe ihm recht, daß er auf dieselbe nicht verzichten will, denn sie gehört zu seinem Einkommen, von welchem er leben muß. Er ist kein Beduine, der von seinen Herden lebt.«
»Aber sie ist doch für uns zu hoch! Unsere Herden müssen sich erst erholen.«
»Du vergißt wieder etwas, nämlich den Blutpreis von vierzehnhundert Kamelstuten, von welchem ihr die Steuer bezahlen könnt.«
»Allah ist groß! Vierzehnhundert Kamelstuten! Das ist freilich viel mehr, als wir an den Pascha zu zahlen haben. Wir würden eine ganze Menge von diesen Tieren übrig behalten und mit denselben unsere gelichteten Herden vermehren können!«
»Ja. Du siehst, wie gut ich es mit euch meine. Und da die Frau, welche Elatheh heißt, der Liebling eures Stammes ist, so soll sie für die Angst und Qual, welche sie ausgestanden hat, entschädigt werden. Sie ist arm, ich aber habe ihr versprochen, sie wohlhabend zu machen. Die Uled Ayun sollen ihr auch hundert Kamelstuten geben.«
»Effendi, deine Güte ist groß, und deine Hände werden zum Segen für jeden, den sie berühren! Aber das würden fünfzehnhundert Stuten sein; das ist eine ungeheure Zahl!«
»Für die Uled Ayun nicht zu viel, denn sie sind reich.«
»Aber dies Opfer wird ihren Reichtum außerordentlich vermindern!«
»Das will ich eben! Sie verlieren, ihr aber gewinnt an Macht.«
»Das ist richtig; aber eben darum bezweifle ich, daß sie auf einen so hohen Preis eingehen werden.«
»Sie müssen, denn sie haben nur die Wahl zwischen ihm oder dem Tode, und jedermann giebt lieber sein ganzes Eigentum als sein Leben her. Ich werde den Unterhändler zwischen euch und ihnen machen, und du kannst dich darauf verlassen, daß ich um keine einzige Stute herabgehen werde.«
»So werden sie ja sagen, aber nicht Wort halten!«
»Wie kommst du auf diesen Gedanken, der doch ganz unbegründet ist? Die vierzehn Uled Ayun werden jedenfalls nicht eher freigelassen, als bis die Diyeh ohne allen Abzug bei euch eingegangen ist.«
»Da kennst du diese Leute nicht. Sie werden die Zahlung hinausschieben, sich während derselben rüsten und dann über uns herfallen, um die Gefangenen zu befreien und dann nichts zu bezahlen.«
»Nein, das werden sie nicht, denn sie müssen sich sagen, daß es ihnen nicht gelingen würde, die Gefangenen zu befreien. Letztere befinden sich doch als Geißeln in euern Händen, und ihr würdet sie selbstverständlich eher töten, als sie euch abnehmen lassen.«
»Das ist freilich richtig.«
»Und außerdem mußt du an einen Umstand denken, den du zu übersehen scheinst. Ich verhelfe Euch zu dem außerordentlich hohen Blutpreise, damit ihr die Steuer bezahlen könnt. Wir gehen mit unsern Truppen nicht eher fort, als bis dieselbe entrichtet ist. Wir werden also warten, bis die Uled Ayun die Diyeh bezahlt haben. Bis zu dieser Zeit sind wir bei euch, sind eure Gäste, welche unter Umständen mit und für euch kämpfen werden. Es liegt in unserm Interesse, den Uled Ayun nur eine kurze Zahlungsfrist zu geben; sie werden also keine Zeit finden, sich zu einem Angriffe zu rüsten. Und wenn sie trotz alledem so thöricht
wären, euch überfallen zu wollen, so würden wir mit unsern Truppen im Kampfe an eurer
Seite stehen. Dann würden die Ayun vernichtet oder doch wenigstens so geschwächt, daß sie für lange Jahre an keine Feindseligkeit gegen euch mehr denken könnten.«
»Effendi, was du da vorbringst, giebt mir die Gewißheit, daß du es gut und ehrlich mit uns meinst, und daß diese für uns so wichtige Angelegenheit auch wirklich so verläuft, wie du denkst und sagst.«
»Du gehst also auf meine Bedingungen ein?«
»Ich für meinen Teil, ja. Aber du kennst unsere Sitten und Gewohnheiten und wirst also wissen, daß ich nicht die Macht habe, solch hochwichtige Frage allein zu entscheiden. Ich muß vorher die Dschemma, die Versammlung der Aeltesten, zusammenrufen. Und du? Hast denn du die Macht der Entscheidung? Du bist ein Fremder hier im Lande, und dies ist doch eine Angelegenheit des Pascha.«