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»Der Herr der Heerscharen befindet sich an der Stelle des Pascha hier; was er thut, wird dieser gutheißen, und ich bin überzeugt, daß Krüger-Bei meinen Forderungen und Bedingungen seine Einwilligung nicht versagen wird.«

»Effendi, ich achte deine Worte, aber noch lieber wäre es mir, wenn ich sie auch aus dem Munde des Herrn der Heerscharen vernehmen könnte.«

»Gut, das sollst du. Schicke ihn her, damit ich mit ihm reden kann.«

»Willst du nicht lieber zu ihm gehen, mit mir kommen? Du könntest da erst mit ihm und dann auch in unserer Dschemma sprechen. Wenn du meinen Aeltesten alles erklärst, wird es einen bessern und tiefern Eindruck machen, als wenn ich es bin, der ihnen so große und so schöne Versprechungen bringt und solche Vorteile verheißt, an die sie kaum zu glauben vermögen.«

»Giebst du mir freies Geleite?«

»Ja. Du hast es mir auch gegeben.«

»Und ich kann mich auf dich verlassen?«

»Wie auf dich selbst. Ich schwöre dir beim Barte des Propheten, bei dem meinigen und bei der Seligkeit aller meiner Vorfahren, daß du frei und ganz nach deinem Belieben kommen oder gehen kannst!«

»Ich glaube dir und hoffe, daß deine Krieger diesen deinen Schwur respektieren werden.«

»Sie werden es!«

»Dennoch könnte es einen oder einige geben, welche dies nicht thun. Für diesen Fall sage ich dir, daß, wenn von eurer Seite ein einziger Schuß fällt oder wenn ein einziger von euch die Hand feindselig nach mir ausstrecken sollte, ich augenblicklich das Zeichen zum Beginn des Kampfes geben würde. Gleich unsere erste Salve würde euch dreihundert Kugeln bringen.«

»Das wird nicht geschehen; ich versichere es dir!«

Trotz dieser Versicherung gab ich, so daß er es hörte, den Befehl, daß die Soldaten, sobald ein Schuß fallen würde, augenblicklich in der Schlucht vordringen sollten. Ich war überzeugt, daß in diesem Falle auch die andern Abteilungen von uns die Feindseligkeiten sofort beginnen würden. Dann brach der Scheik auf, und

ich begleitete ihn.

Als wir die Uled Ayar erreichten, waren es sehr feindselige Blicke, welche von allen Seiten auf mich geworfen wurden. Der Scheik suchte eine erhöhte Stelle, von welcher aus er von allen gesehen wurde und rief den sich Zusammendrängenden zu:

»Hört, ihr Männer, was ich euch zu sagen habe. Der fremde Effendi, Kara Ben Nemsi genannt, bringt uns den Frieden, bringt uns Reichtum und bringt uns

Ehre. Er bietet uns Gaben, über welche ihr euch freuen werdet wie die Lämmer, wenn sie frische Weide finden. Ich habe ihm freies Geleite versprochen; er kann unangefochten wieder gehen, sobald es ihm beliebt. Er ist wie ich, und ich bin, wie er. Mein Blut ist sein Blut, und seine Ehre ist die meinige. Er steht unter meinem Schutze und ebenso auch unter dem eurigen. Die Dschemma mag zusammentreten, um zu erfahren, welche Freude und welches Glück uns widerfahren wird!«

Diese Worte brachten einen außerordentlichen Eindruck hervor. Die vorher so finstern und drohenden Gesichter wurden freundlicher; es entstand eine allgemeine Bewegung, ein Rauschen von fragenden und antwortenden Stimmen. Da klang eine derselben über alle andern hinweg:

»Halt! Das kann ich nicht zugeben! Der Giaur war unser Gefangener und ist uns entflohen. Wer darf ihm da freies Geleit erteilen! Ich fordere, daß man ihn auf der Stelle wieder in Fesseln legt!«

Der Sprecher drängte sich herbei; es war der Kolarasi Thomas Melton. Sein rot und blau und grün angeschwollenes Gesicht bot einen widerlichen Anblick. Die Geschwulst war eine Folge der Fußtritte, welche Emery ihm gestern versetzt hatte. Er stellte sich vor mich hin und fuhr, zu dem Scheik gewendet, fort:

»Ich habe dir bereits gesagt, daß dieser Mann mir gehört!«

»Was du sagst und behauptest, geht mich nichts an,« antwortete dieser. »Der Effendi steht unter meinem Schutze.«

Ich war auf irgend eine schnelle That des Kolarasi gefaßt und hielt Winnetous Silberbüchse, welche ich mitgenommen hatte, zur Abwehr bereit, doch so unauffällig wie möglich.

»Unter deinem Schutze?« fragte er ergrimmt. »Wie kommst du dazu, meinen Todfeind in Schutz zu nehmen!«

»Er bringt uns Glück und Segen. Wir werden Frieden mit dem Pascha schließen.« »Frieden? Und wo bleib ich? Was wird aus unsern Vereinbarungen?«

»Die gelten nicht mehr. Du siehst, daß wir von allen Seiten eingeschlossen sind. Wir haben nur zwischen dem Frieden und dem Tode zu wählen.«

»Ah! Und da greift ihr Feiglinge nach dem Frieden! Und der deutsche Hund soll mir nicht ausgeantwortet werden?«

»Nein. Er ist der Beschützte!« »So beschütze ihn, wenn du kannst!«

Er zog mit einer gedankenschnellen Bewegung sein Messer; es blitzte gegen meine Brust, aber noch ehe es dieselbe erreichte, rannte ich ihm den Gewehrkolben unter das Kinn, daß sein Kopf in das Genick knickte und er selbst in einem weiten Bogen zur Erde flog. Da blieb er liegen; ein Blutstrom entquoll seinem Munde.

»Effendi, ich danke dir für diesen Stoß!« sagte der Scheik. »Du hast mit demselben das tödliche Messer von dir abgewehrt. Hätte es dich getroffen, so wäre mein Eid, mit dem ich dir Sicherheit verhieß, gebrochen gewesen und zu einem Meineide geworden, und das hätte mein graues Haupt mit ewiger, unauslöschlicher Schande bedeckt. Ist er tot?«

Diese Frage galt einigen Uled Ayar, welche sich zu Melton niedergebückt hatten. »Er bewegt sich nicht, scheint aber nicht tot zu sein,« lautete die Antwort.

»So bindet ihm die Hände und Füße, damit er bei seinem Erwachen nicht etwa noch größeren Schaden ververursachen kann! Du aber, 0 Effendina, magst die Güte haben, in mein Zelt zu treten, wo du den Herrn der Heerscharen finden wirst!«

Ich folgte der Aufforderung und fand Krüger-Bei an einen Pfahl befestigt.

»Ihnen hier, Ihnen!« rief er mir erfreut entgegen. »Ich denke, daß Sie ebenso wie ich mit Fesseln angebunden gewesen sind!«

»Wie Sie sehen, bin ich frei und werde auch Sie gleich losbinden.«

»Gott sei Dank! So sind Sie wohl gar nicht gefangen und gefesselt zu betrachten gewesen?«

»O doch! Ich war ebenso wie Sie gefangen, bin aber entflohen.« Und ich erzählte ihm schnell das Notwendigste, nachdem ich ihn losgebunden hatte. Er hörte mir mit großer Spannung zu, und die Spannung verdoppelte sich, als ich ihm die Vorschläge, welche ich dem Scheik gemacht hatte, und deren Gründe auseinandersetzte. Als ich geendet hatte, rief er aus:

»Maschallah! Was sind Sie für ein Mensch!«

»Wie meinen Sie das? Stimmen Sie mir bei oder nicht?«

»Sowohl ja, niemals nein!«

»Das freut mich. Ich war überzeugt, ganz in Ihrem Sinne gehandelt zu haben. Sie verlangen also von den Uled Ayar nicht mehr, als ich von ihnen gefordert habe und gewähren ihnen alles, was ich ihnen versprochen habe?«

»Ja und Amen.«

»Gut, so kommen Sie heraus! Draußen werden die Aeltesten beisammensitzen und auf mich warten. Oder wollen Sie zu ihnen sprechen?«

»Um meines Ranges willen, weil ich des Paschas Vertretung habe, will ich lieber selbst zu ihnen reden.«

»Ich stimme Ihnen bei. Sie befinden sich an Stelle des Paschas von Tunis hier, und es macht also einen tiefern Eindruck, wenn Sie selbst zu der Dschemma sprechen. Ich kann Sie j a erinnern, wenn Sie etwas auslassen sollten.«

Wir traten aus dem Zelte, vor welchem die Alten in einem Kreise saßen. Sie zeigten keine Spur von Erstaunen darüber, daß ich den Herrn der Heerscharen losgebunden hatte, und machten ihm bereitwillig Platz, als er sich anschickte, in die Mitte ihres Kreises zu treten. Den Kolarasi Melton sah ich nicht; er war fortgeschafft worden.