Natürlich waren alle Uled Ayar äußerst gespannt auf das Resultat der Versammlung, von welcher Krieg und Frieden, Tod und Leben abhing. Sie hatten sich neugierig in die Nähe zusammengezogen, hielten sich aber in respektvoller Entfernung. Bei den Beduinen wird einer Dschemma die größte Ehrerbietung erwiesen, und mancher junge Civilisations-Fant könnte von diesen ungebildeten Leuten lernen, wie man das Alter zu achten und zu ehren hat.
Die Rede des Herrn der Heerscharen war ein Meisterstück wie immer, wenn er sich seiner deutschen Muttersprache nicht bediente. Er bestätigte alles, was ich dem Scheik versprochen hatte, und wollte, als er zu Ende war, sich zurückziehen, um der Dschemma Zeit zur Beratung zu lassen; da aber erhob sich der Scheik und sagte:
»Deine Worte, o Herr, waren wie Rosen, deren Duft das Herz verjüngt. Du willst dich entfernen, damit wir uns beraten mögen? Das ist nicht nötig. Wozu ist eine Beratung notwendig, da du uns Bedingungen stellst, die wir durch dieselbe weder erleichtern noch verbessern können? Ich stimme jedem deiner Worte bei und fordere alle meine Gefährten auf, dasselbe zu thun. Wer ein Wort dagegen zu sagen hat, mag seine Stimme erheben!«
Keiner folgte der Aufforderung, und so fuhr er fort:
»Und wer mit dem, was der Herr der Heerscharen gesagt hat, einverstanden ist, der stehe auf!« Nicht einer blieb sitzen.
Darauf bestieg der Scheik einen hohen Stein, von welchem aus er von allen Uled Ayar gesehen werden konnte, und verkündete denselben mit weithin schallender Stimme, welches Uebereinkommen jetzt getroffen worden war und nun mit der nötigen Feierlichkeit besiegelt werden sollte. Darob erhob sich ein lauter, allgemeiner Jubel. Und als der Scheik darauf zu mir kam, mir die Hände drückte und mit ebenso lauter Stimme wie vorhin sagte, daß der frohe Ausgang dieses vorher so gefährlichen Streites nur mir zu verdanken sei, so folgten alle, welche zur Dschemma gehörten, seinem Beispiele, und dann drängten sich noch viele andere herbei, um dasselbe zu thun. Ich hatte. mehrere Hundert Hände zu drücken, und die vorher mir so feindlichen Gesichter und Augen hatten jetzt einen ganz andern Ausdruck angenommen.
Das allererste, was ich nun that, war natürlich, Emery zu befreien. Er hatte den Lärm, die lauten Stimmen gehört und daraus geschlossen, daß etwas Wichtiges im Werke sei; aber daß dies ein Friedensschluß sein werde, welcher seine augenblickliche Befreiung zur Folge habe, das war ihm nicht in den Sinn gekommen. Um so größer war sein Erstaunen und seine Freude, als ich in das Zelt, in dem er steckte, trat, um ihn loszubinden.
Das war die erste Folge unsers Friedensschlusses; die zweite war, daß wir unsere Waffen und alles, was man uns abgenommen hatte, wieder bekamen; es fehlte nicht der unbedeutendste Gegenstand.
Nun ließ ich mir sagen, wo der Kolarasi zu finden sei. Man hatte ihn in sein Zelt geschafft und ihn dort angebunden, so wie wir vorher angebunden gewesen waren. Als ich hineinkam, sah ich, daß er die Augen offen hatte; er schloß sie aber sogleich und stellte sich, um Spottreden zu entgehen, ohnmächtig. Er hatte Blut gespuckt, und zwei Zähne, welche in demselben lagen, bewiesen, daß mein Kolbenstoß nicht gerade die Wirkung einer Liebkosung gehabt hatte. ich überzeugte mich, daß er sich nicht befreien konnte, und ging fort.
Es wurde ausgemacht, daß die Uled Ayar die Schlucht verlassen sollten, um draußen vor derselben ihr Lager aufzuschlagen. Vorher aber mußte der Friedensschluß förmlich vollzogen werden, was unter dem Absingen der heiligen Fathha und anderer Gebete zu geschehen hatte. Dabei genügte die Anwesenheit Krüger-Beis und Emerys. Ich zog es vor, mich dieser langweiligen Handlung zu entziehen, und begab mich also zu meinen Soldaten, um ihnen das Uebereinkommen mitzuteilen.
Dann setzte ich mich zu Pferde und ritt, dieses Mal nicht um den Berg herum, sondern geraden Weges durch die Schlucht und durch die Schar unserer bisherigen Feinde, nach der Nordseite des Passes, wo die erste Schwadron aufgestellt war. Die Leute wunderten sich nicht wenig, als sie mich dieses Weges, gerade von den Feinden her, kommen sahen. Natürlich nahmen sie die Kunde, welche ich ihnen brachte, auch mit Freude auf. Sie waren zwar überzeugt gewesen, daß wir unbedingt siegen würden, aber falls es zum Kampfe gekommen wäre, hätte es auch auf unserer Seite Tote und Verwundete gegeben, und da war es auf alle Fälle besser, daß ein Kampf hatte vermieden werden können.
Wie schon gesagt, hatte ich angenommen, daß Winne- Winnetou sich bei dieser Abteilung befand, und dies traf zu. Noch ehe ich bei meinem Kommen den Mund öffnen konnte, trat er mir entgegen und fragte.
»Mein Bruder hat mit den Kriegern der Uled Ayar Friede geschlossen?«
»Ja. Es ist so gut gegangen, wie ich es nur denken konnte; es hat keinen Tropfen Blutes gekostet, und das habe ich nur dir allein, meinem besten Freunde und Bruder, zu verdanken. Du hast viel gewagt, indem du dich an meiner Stelle gefangen legtest.«
»Winnetou hat keinen Dank verdient, denn mein Bruder Scharlieh hätte ganz dasselbe für mich gethan. Auch war keine Gefahr dabei; ich war nicht festgebunden und konnte also in jedem Augenblicke fort. Was ist mit Thomas Melton, dem Mörder und Verräter, geworden?«
»Er liegt gefesselt in seinem Zelte. Die Uled Ayar werden den Engpaß verlassen und hier außerhalb desselben ihr Lager aufschlagen. Wir lagern uns ganz in ihrer Nähe und wollen alle unsere Truppen zusammenrufen.«
Der Kolarasi dieser Schwadron sandte Boten aus, und eine halbe Stunde später war unsere ganze Kavallerie an der Nordseite des Berges vor der Schlucht versammelt. Die gefangen gewesene Schwadron Meltons bekam später von den Beduinen ihre Pferde und ihre Waffen wieder.
Es war vier Uhr nach arabischer Zeit, nach abendländischer ungefähr zehn Uhr vormittags, als die Zeremonien des Friedensschlusses vorüber waren; die Uled Ayar kamen, ihren Scheik, Krüger-Bei und Emery an der Spitze, aus dem Engpasse geritten und wurden von drei Salven einer Abteilung unserer Kavallerie begrüßt; auch sie schossen zur Erwiderung ihre Gewehre ab, unregelmäßig und jeder nach Belieben, wie es ihre Gewohnheit ist. Emery hatte dafür gesorgt, daß der Kolarasi
Melton mitgebracht wurde. Da dieser sich jetzt nicht mehr bewußtlos stellen konnte, nahm er eine andere Maske vor, wie man gleich sehen wird. Er sah schrecklich aus. War sein Gesicht schon durch die Fußtritte Emerys verschimpfiert worden, so kamen jetzt die Folgen meines Kolbenhiebes dazu. Dieser hatte zwar den Kiefer nicht verletzt, sondern nur den Verlust einiger Zähne herbeigeführt, aber die untere Hälfte war doch jetzt ebenso sehr oder noch viel mehr als vorher schon die obere geschwollen. Auch die Zunge schien in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein, denn das Sprechen fiel ihm schwer; das hörte ich sehr bald, denn er wurde zu mir geführt und mir von dem Scheik nun förmlich übergeben, wie unsere Friedensbedingungen das mit sich brachten. Der Scheik that dies in einigen kurzen Worten. Als Melton dies hörte, fuhr er ihn grimmig an:
»Was? Du lieferst mich diesen Menschen aus?« »Ich muß,« antwortete der Beduine. »Es war das eine Bedingung des Friedensschlusses.«
»Aber du hast mir vorher die Freiheit versprochen! Als ich mich und meine Truppen dir übergab, machte ich die Bedingung, daß ich nicht gefangen, sondern frei sein sollte. Hältst du so dein Wort? Wenn du dies nicht thust, bist du ein schandbarer Lügner, ein ehrloser Verräter, der seinen Verbündeten mit Undank lohnt!«