Выбрать главу

Eigentlich hatte er recht; das mußte sich der Scheik auch sagen, und daher erklärte ich mir die Ruhe, mit welcher der letztere die Beleidigung hinnahm. Ich sollte mich aber leider später überzeugen, daß ein anderer Grund vorlag. Aber hätte der Scheik jetzt auch antworten wollen, so wäre er doch nicht dazu gekommen, denn als Melton seine letzten Worte gesprochen hatte, fuhr Krüger-Bei ihn zornig an:

»Das wagst du zu sagen, Halunke? Du wagst, von schandbarer Lüge und ehrlosem Verrate zu sprechen? Wer ist ein Lügner und wer ein Verräter? Du wirfst dem Scheik vor, als Verbündeter schlecht an dir gehandelt zu haben. Was aber bin ich, ich dir gewesen? Etwa nur ein Verbündeter? Ich war dein Gönner, dein Beschützer, dein Freund; ich habe wie ein Vater an dir gehandelt. Und wie hast du es mir nun vergolten! Du hast mich von Tunis hierher gelockt, damit man mich gefangen nehmen solle, was ja auch geschehen ist.«

»Das ist eine Lüge!« verteidigte sich der Angeschuldigte in frechster Weise.

»Hund, willst du mich zu alledem auch noch zu einem Lügner machen!«

»Dich nicht, sondern denjenigen, welcher dir das weisgemacht hat, was du jetzt sagtest.«

»Das wäre hier mein Freund Kara Ben Nemsi? Den nennst du einen Lügner? Höre, du Sohn, Enkel und Urenkel von Vorfahren, welche alle in der Hölle wohnen, wie auch du in derselben braten wirst, das ist eine Gottlosigkeit, welche ich fast nicht begreifen kann. Deine ganze Seele ist aus Lügen zusammengesetzt! Wie konnte Allah es zugeben, daß ich einen solchen Menschen beschützte! Ich werde dich aufhängen lassen. Schafft den Judas fort!«

»Halt!« bat ich. »Wenn du ihn als deinen Gefangenen betrachtest, so muß ich geltend machen, daß ich frühere Rechte habe.«

»Die sind aber nicht größer als die meinigen!«

»Das mag sein; aber ich habe ihn noch wegen wichtiger Dinge vorzunehmen!« »Das werde ich nicht verhindern.«

»Gut! Dann bitte ich dich aber, ihn so fest binden und so gut bewachen zu lassen, daß er uns vollständig sicher ist.«

»Habe keine Sorge! Der Hund soll mir nicht entgehen; darauf kannst du dich verlassen! Schnürt ihn fest und bindet ihn dann an einen Pfahl!«

Der Befehl wurde dem alten Sallam gegeben, und dieser beeilte sich, ihn auszuführen. Dabei sagte nun Scheik Mubir Ben Safa zu Krüger-Bei:

»Herr, du hast recht, wenn du den Hund als Ischariot bezeichnest; auch ich habe ihn schon so genannt.«

»Hattest auch du Veranlassung dazu? Ist er auch gegen dich nicht ehrlich gewesen?«

»Mich hat er nicht betrügen können, obwohl ich nicht sagen mag, daß er mich nicht noch betrogen hätte. Aber er hat dich verraten, dich in meine Hände geliefert. Du warst mein Feind; du kamst, uns zu bekriegen; darum bin ich auf den Vorschlag, den er mir machte, dich zu fangen, eingegangen. Das war mir von großem Nutzen, der mich aber nicht verhindern konnte, ihn für einen Judas Ischariot zu halten und aus tiefstem Herzen zu verachten. Aber er hat noch an einem anderen ebenso oder gar noch schlimmer gehandelt.«

»An wem?«

»An seinem Begleiter.«

Da fiel ich schnell ein:

»Dieser ist es, nach welchem ich fragen muß. Ich kenne ihn und fürchte nur zu sehr, daß seine Reise hierher für ihn verhängnisvoll geworden ist. Wo befindet er sich?«

»Dort in der Schlucht.«

»In der Schlucht? Himmel! Kein Mensch ist mehr in derselben, wenigstens kein lebender! So ist er tot?« »Ja.«

»Ermordet?!« »Ich denke es.« »Von dem Kolarasi?« »Natürlich!« »Wie hieß der Mann?«

»Seinen eigentlichen Namen kenne ich nicht. Der Kolarasi nannte ihn seinen Freund; er sprach ihn stets "mein Freund" an.«

»Aber ihr müßt ihn doch bei irgend einem Namen genannt haben!«

»Das haben wir. Wie du weißt, besitzen wir die Gewohnheit, fremde Leute, welche wir nicht kennen oder deren Namen wir schwer auszusprechen vermögen, nach irgend einer Eigenschaft, durch welche sie sich vor andern auszeichnen, zu benennen. Wir haben diesem jungen Fremdlinge auch einen solchen Namen gegeben, Abu tnasch Ssabil (* Vater der zwölf Zehen.).«

»Aus welchem Grunde? Hatte er etwa zwölf Zehen an seinen Füßen, was ja bei manchen Menschen vorgekommen ist?«

»Ja. Wir umzingelten die Soldaten bei den Ruinen, in deren Nähe eine Quelle liegt. Die Soldaten wurden natürlich als Gefangene betrachtet, der Kolarasi aber und sein Freund waren frei. Der letztere trank an der Quelle und wusch sich dann das Gesicht, die Hände und die Füße, und dabei hat einer unserer Leute bemerkt, daß er an jedem Fuße sechs Zehen hatte.«

»Das ist mir von großem Interesse; das kann von höchster Wichtigkeit werden! Ich sage jetzt, was selbst mein Freund, der Herr der Heerscharen, noch nicht weiß, daß ich gekommen bin, den "Vater der zwölf

Zehen" vom Tode zu erretten.«

»Wie?« fragte Krüger-Bei. »Du wußtest, daß er ermordet werden sollte?«

»Ich ahnte es. Es handelte sich um einen verbrecherischen Plan, welcher ebenso raffiniert wie eigenartig ins Werk gestellt worden ist. Hört!«

Ich erzählte dem Herrn der Heerscharen und dem Scheik, was sie zu wissen brauchten. Der erstere rief, als ich fertig war:

»Welch eine That, welche Berechnung, welche bodenlose Schlechtigkeit! Hättest du eher gesprochen, so hätten wir uns beeilt und wären eher hier angekommen. Da wäre der "Vater der zwölf Zehen" noch nicht tot gewesen!«

»Glaube das nicht! Wir haben uns beeilt und hätten gar nicht schneller reiten können. Und wäre es uns möglich gewesen, einen Tag früher hier zu sein, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß dadurch der arme Small Hunter am Leben geblieben wäre.«

»Dennoch behaupte ich, daß du hättest reden sollen!«

»Ich durfte nicht. Wenn ich dich in die Angelegenheit einweihen wollte, so mußte ich dir doch sagen, daß der Kolarasi ein Verbrecher, ein entsprungener Mörder sei? Nicht?«

»Allerdings.«

»Er war aber dein Liebling. Erinnerst du dich unsers Gespräches im Bardo? Ich fing an, von ihm zu sprechen; ich klopfte bei dir an; aber bei dem ersten Worte, mit welchem ich dein Vertrauen zu dem Kolarasi zu erschüttern versuchte, wurdest du zornig, nahmst mir das Wort und schnittest mir das weitere in einer Weise ab, welche mich augenblicklich zum Schweigen brachte.«

»Du hättest dennoch nicht schweigen sollen. Du bist mein Freund, und ich hätte dich doch vielleicht angehört!«

»Nein, denn deine Erregung war zu groß. Und wenn du mich angehört hättest, so wäre es mir dadurch doch nicht gelungen, dir dein Vertrauen zu diesem Menschen zu nehmen. Ja, ich behaupte sogar, daß es für mein Unternehmen gefährlich war, dich dennoch ins Vertrauen zu ziehen.«

Er senkte den Kopf, schwieg eine Weile und sagte dann:

»Die Aufrichtigkeit zwingt mich, einzugestehen, daß ich wahrscheinlich etwas gethan hätte, was dir hinderlich gewesen wäre. Ich gebe ja zu, daß ich für den Halunken eingenommen war.«

»Du bist also bereit, mein Gewissen zu beruhigen?«

»Ja. Du hast nichts gethan und nichts unterlassen, wodurch das, was nun geschehen ist, geändert worden wäre.«

»Ich danke dir! Und nun, o Scheik, sage uns, was du über den Tod des "Vaters der zwölf Zehen" weißt. Wurde er von dem Kolarasi schlecht behandelt?«

»O nein! Derselbe war sehr freundlich mit ihm. Das lag ja in dem Plane, den er gegen ihn hegte; er mußte ihn sicher machen. Wir lagerten in der Schlucht. Vorgestern nach dem Abendgebete gingen beide aus dem

Lager fort bis an eine Stelle, welche zwischen den gefangenen Soldaten und den Pferden lag. Da hörten wir einen Schuß, keinen starken, sondern einen schwachen, wie er aus den winzigen fremden Pistolen kommt, welche man drehen kann; sie haben sechs Kugeln, aber nur einen Lauf. Dann kehrte der Kolarasi in das Lager zurück und brachte mir die Nachricht, daß sein Freund sich soeben erschossen habe.«