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»Gab er einen Grund an?«

»Ja. Er sagte, sein Freund habe es aus Schwermut, aus Trübsinn, aus Lebensüberdruß gethan.« »Habt ihr eine Spur dieser Schwermut an ihm bemerkt?«

»Nein. Er hatte die wenigen Tage über, welche er bei uns war, stets ein heiteres Gesicht und brachte uns durch seine Reden, die oft scherzhaft waren, gern zum Lachen.«

»Das stimmt freilich mit dem angeblichen Trübsinn nicht zusammen!«

»Der Kolarasi behauptete aber, daß sein Freund schon lange Zeit des Lebens überdrüssig gewesen sei und schon einige Selbstmordversuche gemacht habe; das sei auch der Grund, daß er ihn so wenig aus den Augen lasse.«

»Weiter! Was thatet ihr bei der Nachricht von dem angeblichen Selbstmorde?«

»Ich ließ eine Palmenfaserfackel anzünden; dann begaben wir uns nach der Stelle, an welcher der Tote lag.«

»War er wirklich tot? Hast du dich selbst davon überzeugt?«

»Nein, weil wir nach unserm Glauben durch die Berührung einer Leiche verunreinigt werden. Hätte der Tote zu uns gehört, so wäre es etwas anderes gewesen; aber er war ein Fremdling, warum sollten wir da unsere Hände an ihm beflecken?«

»Hm! Er wurde begraben?«

4a, von dem Kolarasi.«

»Es half ihm niemand dabei?«

»Niemand, eben der Verunreinigung wegen. Auch hat er keinen Menschen um Hilfe dabei gebeten.« »Wann war das?«

»Gestern. Als man euch als Gefangene zu mir brachte, erschien doch der Kolarasi bei euch und mir. Er kam von dem Grabe; er war noch nicht fertig mit demselben und hat es dann später vollendet, als wir euch in die Zelte gesteckt hatten.«

»Sahst du die Wunde, welche die Kugel gemacht hat?«

»Ja. Das tödliche Metall ist in das Herz gedrungen. Hältst du solche Nebendinge für wichtig, daß du mich nach denselben fragst?«

»Für außerordentlich wichtig. lch muß das Grab sofort aufsuchen und bitte dich, mich zu begleiten.«

Er war natürlich dazu bereit, nachdem er vorher in Betreff des zu errichtenden Lagers einige notwendige Anordnungen gegeben hatte. Krüger-Bei, Winnetou und Emery gingen mit. Unterwegs erkundigte ich mich noch bei ihm:

»Ging nicht aus deinen Worten vorhin hervor, daß du nicht an einen Selbstmord glaubst?«

»Ich zweifle allerdings an demselben, weil es mir unmöglich erscheint, daß der "Vater der zwölf Zehen" so lebensüberdrüssig gewesen ist, daß er sich selbst den Tod gegeben hat. Und sodann ist der Kolarasi ein Mensch, dem man alles zutrauen kann. Er bewachte den Fremden förmlich; es war ganz so, als ob derselbe sein Gefangener sei.«

Als wir während dieses Gespräches den großen Teil der Schlucht durchschritten hatten, zeigte uns der Scheik die Stelle, an welcher sich das Grab befand. Von einem Grabe im eigentlichen Sinne war freilich keine Rede; es bestand nicht aus einer Grube, sondern aus einem Steinhaufen, mit welchem die Leiche zugedeckt worden war. Melton hatte sich die Arbeit leicht gemacht. Der Stein- Steinhaufen war nicht hoch; wir hatten ihn in einigen Minuten entfernt. Da lag der Tote. Sein Anblick machte den Eindruck, den ich erwartet hatte.

»Heavens!« rief Emery aus. »Welch eine Aehnlichkeit!« »Uff!« meinte Winnetou, ohne aber noch ein Wort hinzuzufügen.

»Maschallah, Gottes Wunder!« ließ sich der Herr der Heerscharen vernehmen. »Das ist ja der Mann, den du von Tunis mitgenommen hast!«

»Du findest die Aehnlichkeit also groß?«

»So groß, wie ich sie niemals für möglich gehalten hätte!«

»Sie ist es ja, welche das Gelingen des Planes dieser Menschen allein möglich machen konnte! Durchsuchen wir zunächst die Kleider sehr genau!«

Ich hatte schon manchen Toten gesehen; dieser aber machte einen ganz besondern Eindruck auf mich, und nicht etwa allein infolge der Umstände, die ihm das Leben gekostet hatten, sondern auch wegen des Ausdruckes, den sein Gesicht zeigte. Es lächelte so friedlich, ich möchte sagen, so selig, als ob er schlafe und ein glücklicher Traum durch seine Seele gehe. Er sah so wenig wie ein Toter aus, daß ich mich wirklich erst mit den Händen überzeugen mußte, um zu glauben, daß er nicht mehr lebe.

In seinen Kleidern und Taschen fand sich nicht der geringste Gegenstand. Aber bei der Untersuchung derselben fiel mir auf, daß seine linke Hand verbunden war.

»Was ist das?« fragte ich den Scheik. »Weißt du vielleicht, weshalb er den Verband angelegt hat?«

»Natürlich weiß ich es. Er ist verwundet worden von einer Kugel. Als wir eure Reiter umzingelten, geschah dies so schnell und vollständig, und der Kolarasi dachte so wenig an eine Verteidigung, daß von unserer Seite nur ein einziger Schuß gefallen ist. Und die Kugel hat den Fremden getroffen, der gar nicht unser Feind war, sondern nur hierher gelockt worden ist. Sie hat ihm das vordere Glied des linken Daumens halb weggerissen, sodaß es vollends mit dem Messer entfernt werden mußte.«

»Ah? Das muß ich sehen.«

Ich wickelte die Binde, welche aus dem Stück eines Kopftuches bestand, ab und überzeugte mich, daß

allerdings die Spitze des Daumens fehlte. Da trat Winnetou näher heran, besah sich die Wunde und sagte:

»Mein Bruder mag nun das Herz entblößen!«

Ich that es. Ja, gerade da, wo das Herz lag, war die Revolverkugel eingedrungen; sie hatte schnelle und auch saubere Arbeit gemacht, denn die Wunde und ihre Umgebung war so rein, als ob sie abgewaschen worden wäre. Auch an der Kleidung war kein Blutflecken zu sehen.

Winnetou legte den Finger auf die Stelle, wo die Kugel eingedrungen war, drückte einigemal darauf und meinte dann:

»Wird mir mein Bruder Scharlieh erlauben, die Kugel und ihren Weg zu suchen?« »Natürlich! Komm her!«

Ich machte ihm an der Leiche Platz; er zog sein Messer und begann die traurige Arbeit, vor welcher ich mich zwar gescheut, die ich aber doch auch vorgenommen hätte. Nämlich ich wußte, was er dachte; ich hatte denselben Gedanken wie er. Es sollte Selbstmord vorliegen; dieser hätte nur mit der Rechten vorgenommen werden können, da es dem jetzt Toten unmöglich gewesen wäre, mit der verletzten und verbundenen linken Hand zu schießen.

Es kam also darauf an, welcher Richtung die Kugel im Körper gefolgt war, woraus sich dann schließen ließ, ob ein Schuß mit der rechten Hand als Thatsache angenommen werden könne.

Winnetou war ein erfahrener und außerordentlich geschickter Chirurg. Er operierte mit seinem langen, starken und scheinbar ungefügen Bowiemesser so zart, so vorsichtig, wie ein studierter Arzt es mit den feinsten Instrumenten nicht besser hätte machen können. Das ging freilich langsam; erst nach einer halben Stunde kannten wir den Weg, den die Kugel eingeschlagen hatte; sie saß hinten an der letzten rechten wahren Rippe. Der etwas abwärts gehende Schuß konnte also unmöglich mit der rechten Hand abgegeben worden sein. Der Apatsche richtete sich auf, hielt uns seine Hand mit der Kugel entgegen und sagte nur das eine Wort:

»Mord!«

»Well!« stimmte Emery bei. »Hier liegt kein Selbstmord vor. Eine solche Richtung nimmt die Kugel nur, wenn mit der linken Hand geschossen wird, und mit dieser hat Small Hunter unmöglich schießen können.«

»Also ist Melton der Mörder!« fügte ich hinzu. »Das habe ich sogleich gedacht, und ihr seid wohl alle derselben Meinung gewesen. Es ist eine traurige Arbeit, der wir uns hier zu unterziehen haben. Es schaudert mich; aber wir dürfen uns ihr nicht entziehen. Es muß unbedingt festgestellt werden, wer der Tote ist. Ziehen wir ihm die Schuhe aus; wir müssen die Zehen sehen!«