Dies geschah. Ja, er hatte an jedem Fuße sechs, anstatt einer kleinen deren zwei, die beide ganz richtig ausgebildet waren, nur daß der zweiten der Nagel fehlte. Sonst fanden wir am ganzen Körper nichts, kein Mal, kein sonstiges Zeichen, welches zur Feststellung der Persönlichkeit hätte dienen können.
Damit hatten wir unserer Pflicht nach ihrer, sozusagen kriminellen Seite hin genügt; es galt nun, den Toten zu begraben, was mit größerer Sorgfalt geschah, als Melton es gethan hatte. Wir gaben den aufgeschichteten Steinen die Gestalt eines Kreuzes und beteten dann leise für das ewige Heil des Toten, der so ohne alle Vorbereitung aus dem 1 eben geschieden war.
Dann aber drang der Scheik sofort darauf, daß wir uns reinigen mußten. Es geschah dies in der Weise, daß wir uns Hände und Gesicht mit Sand wuschen, wobei er mit leiser Stimme einige kurze Gebete murmelte.
Dann sagte er:
»Nun seid ihr wieder rein, und niemand braucht sich zu scheuen, euch zu berühren. Kehren wir jetzt nach dem Lager zurück!«
»Warte noch!« bat ich. »Der Ort und das Grab liegt auf dem Gebiete, welches den Uled Ayars gehört, deren oberster Scheik du bist. Kannst du uns versprechen, daß die Stätte von euch geachtet und nicht beschädigt wird?«
»Ich schwöre es euch bei Allah und dem Propheten zu! Doch warum bist du so besorgt um das Grab eines Mannes, der für dich ein Fremder gewesen ist?«
»Weil es möglich ist, daß es später noch einmal geöffnet werden muß. Ihr vergegenwärtigt euch doch alles, was ihr hier gesehen habt?«
»Ja.«
»Wir müssen eine Schrift darüber aufsetzen, welche drüben in Amerika gerichtliche Geltung hat. Du als Scheik des Stammes, welchem der Ort gehört, mußt sie unterschreiben, wir als Zeugen auch, und wenn der Herr der Heerscharen seinen Namen daruntersetzt, so ist alles geschehen, was unter den hiesigen und gegenwärtigen Verhältnissen geschehen kann. Für jetzt aber muß ich dich, Mubir Ben Safa, bitten, mir eine wichtige Frage zu beantworten: Wo sind die Sachen, welche diesem Toten gehörten?«
»Sein Pferd befindet sich mit bei unsern Pferden. Seine Waffen hatte der Kolarasi zu sich genommen; aber als er selbst gebunden in seinem Zelte lag, habe ich sie mir holen lassen. Ich werde sie euch zeigen, und ihr könnt sie haben.«
»Und das sonstige Eigentum? Der Tote hat doch jedenfalls noch viele andere Gegenstände besessen, wie Ringe, eine Uhr, verschiedene Dinge, welche zu einer Reise hierher notwendig waren, vor allen Dingen seine Beglaubigungen. An der Leiche aber haben wir nichts von alledem gefunden. Natürlich hat der Kolarasi ihm die Sachen auch alle abgenommen?«
»Das weiß ich nicht!«
»Nicht? fragte ich erstaunt, ja fast betroffen. »Du mußt es doch wissen. Du hast ihm doch jedenfalls alles abgenommen, was er bei sich hatte?«
»Seine Waffen habe ich, denn er ist jetzt gefangen und darf sie also nicht besitzen, aber was sich in seinen Taschen befand, ist ihm geblieben. Ich habe streng verboten, ihm irgend etwas davon zu nehmen.«
»Warum?«
»Infolge der Uebereinkunft, welche ich mit ihm abschloß, ehe er sich uns ergab. Ich mußte versprechen, daß sein Eigentum nicht angetastet werde.«
»So hat er auch alles, was dem Toten gehörte, noch bei sich stecken?«
»Jedenfalls, denn ich bin überzeugt, daß keiner meiner Krieger sich daran vergriffen hat.«
»Gut, werde nachsehen! Gehen wir!«
»Ja, gehen wir! Was ihr mit dem Kolarasi und seinem Eigentume macht, kann mich nicht kümmern; ich habe ihm nur mein Versprechen zu halten, und dabei war nicht gesagt, daß ich ihn gegen euch in Schutz nehmen soll. Seit ich ihn euch vorhin ausgeliefert habe, könnt ihr mit ihm machen, was ihr wollt, und ich habe nicht mehr mit ihm zu sprechen oder zu verkehren.«
Nach diesen Worten handelte er. Als wir aus der Schlucht kamen und das Lager erreichten, trennte er sich von uns. Es konnte uns gar nicht auffallen, daß er nicht Lust hatte, sich vor einem Manne sehen zu lassen, der sein Verbündeter gegen uns gewesen war. Krüger-Bei wurde von einigen militärischen Obliegenheiten in Anspruch genommen; wir übrigen drei suchten Melton auf. Er war streng gefesselt und außerdem an einen in die Erde gerannten Pfahl gebunden. Zwei Soldaten hielten bei ihm Wache. Er wendete, als er uns kommen sah, den Kopf zur Seite, zum Zeichen, daß er nichts von uns wissen wolle.
»Master Melton,« sagte ich, »wir kommen, um einige Fragen an Euch zu richten. Ich denke, Ihr werdet so klug sein, sie uns zu beantworten.«
Er sagte nichts, sah uns auch nicht an. Ich fuhr fort:
»Die erste Frage ist: Wer war der Fremde, der sich von Tunis bis hierher bei Euch befand?« Er antwortete nicht. Da gebot ich einem der Soldaten:
»Hole den Bastonnadschi! Er mag dem Manne die verlorene Sprache wiedergeben.« Da wendete Melton sein Gesicht schnell herum und schrie mich an:
»Wage es nicht, mich schlagen zu lassen! Ich bin nicht so ohnmächtig, wie du denkst! Heute mir und morgen dir! Merke dir das!«
»Pshaw, macht Euch doch nicht lächerlich! Es sollte Euch wohl schwer werden, die Macht zu entfalten, mit welcher Ihr mir droht. Uebrigens, habt Ihr Euch den Mann schon angesehen, welcher da neben mir steht?«
Er stieß einen häßlichen Fluch aus.
»Jedenfalls habt Ihr von Winnetou, dem Häuptling der Apatschen, gehört?« fuhr ich fort. Er wiederholte seinen Fluch.
»Daß wir beide uns bei Euch befinden, mag Euch an die Rechnung erinnern, welche Ihr drüben in den Staaten noch auszugleichen habt. Von ihr sprechen wir wohl später; jetzt aber ersuche ich Euch allen Ernstes, unsere Fragen zu beantworten. Seht, da kommt der Bastonnadschi mit seinen Gehilfen! Ich gebe Euch mein Wort, daß Euch jede Weigerung, zu sprechen, auf jede nackte Sohle zehn Hiebe eintragen wird. Also, wer war der Fremde, nach welchem ich soeben fragte?«
Er warf einen langen Blick in mein Gesicht, als ob er alle meine Gedanken erraten und durchschauen wolle, und antwortete dann:
»Was habt Ihr denn nach diesem Manne zu fragen!« »Ich interessiere mich für ihn.«
»Fangen wollt Ihr mich, fangen! Ich kenne Euch! Wer weiß, was für Absichten und Pläne Ihr jetzt in Euerm Schädel stecken habt!« »Das will ich Euch gern sagen. ich habe die feste Absicht, Euch peitschen zu lassen, wenn Ihr nicht endlich antwortet. Also, wer ist der Fremde?«
Der Bastonnadschi stand meines Winkes gewärtig; darum zog Melton es doch vor, zu antworten: »Er ist mein Sohn.«
»Euer Sohn? Ah! Das ist doch sonderbar! Habt Ihr ihn bei den Uled Ayars nicht als Euern Freund ausgegeben?«
»Ist ein Sohn kein Freund? Mußten die Wilden alles wissen?«
»Hm! Es kommt allerdings ganz auf Euch an, wie Ihr Euern Sohn nennen wollt. Aber er ist plötzlich fort. Wo steckt er jetzt?«
»Verstellt Euch nicht! Ihr wißt es doch, daß er gestorben ist. Die Beduinen werden es Euch gesagt haben.« »Wie aber ist Euer Sohn denn auf den unglücklichen Gedanken gekommen, sich das Leben zu nehmen?« »Melancholie, Lebensüberdruß!«
»Und dieses Selbstmordes wegen kommt Euer Sohn von Amerika herüber nach Tunis? Er hat Euch den Gefallen thun wollen, dabei zu sein? Da scheint es, er hat eine ungeheuer zärtliche Liebe zu Euch gehegt!«
»Spottet nur! Kann ich dafür, daß solche Melancholiker auf so dumme Gedanken kommen!«
»Ihr scheint Euch aber nicht viel daraus zu machen; wenigstens ist Euch keine Betrübnis anzusehen. Aber dennoch nehme ich Anteil an diesem traurigen Falle. Ich hörte, daß er sich in Eurer Gegenwart erschossen hat?«