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»Ja, mit seinem Revolver.« »Nicht mit dem Eurigen?«

»Laßt die dummen Witze! Ich habe keinen. Ein tunesischer Kolarasi führt keine Revolver.«

»Aber wie konnte Euer Sohn mit einem Revolver umgehen? Er war doch verwundet und konnte infolgedessen die Hand nicht brauchen!«

»Da Ihr so klug seid und alles wißt, werdet Ihr doch wohl auch wissen, daß nur seine linke Hand verletzt war.«

»Ach so! Hoffentlich habt Ihr den Toten beerbt?«

Wieder sah er mich forschend an, um zu erraten, wo hinaus ich wolle, und als ich die Frage wiederholt hatte, antwortete er:

»Selbstverständlich, wenn Ihr nämlich meint, daß ich alles, was mein Sohn bei sich trug, zu mir genommen habe.«

»Das freut mich ungemein, denn ich möchte den Nachlaß gern einmal sehen. Da Ihr verhindert seid, in die

Taschen zu greifen, werde ich Euch der Mühe entheben, indem ich es an Eurer Stelle thue.« »Thut es!«

Diese Worte waren in zornigem Tone gesprochen, und doch klang auch, wie mir schien, ein gut Teil Hohn und Schadenfreude heraus. Ich leerte seine Taschen und untersuchte seinen Anzug auf das genaueste. Es konnte mir nichts verborgen bleiben, und doch fand ich nur Gegenstände, welche, wie sich herausstellte, ihm gehörten; es war nichts dabei, was das Eigentum Small Hunters gewesen war.

»Was macht Ihr denn für ein Gesicht, wertester Sir?« lachte er mich aus. »Könntet Ihr Euch jetzt im Spiegel sehen, so würdet Ihr darauf schwören, der geistreichste Mensch der Erde zu sein. Und ich Esel habe Euch stets für den größten Dummkopf gehalten! Ihr seht, wie man sich irren kann!«

Er hatte mir die Enttäuschung, welche ich fühlte, angesehen; ich nahm mich zusammen und sagte in einem Tone, welchem er meinen Mißmut nicht anhören konnte:

»Das ist also alles, was Ihr besitzt und was Euer Sohn besessen hat?«

»Ja,« nickte er mit freundlichem Grinsen.

»So bedaure ich Euch und ihn! Ein tunesischer

Kolarasi sollte doch kein so armer Teufel sein, und Euer Sohn scheint sich auch nicht viel erspart zu haben.«

»Erspart? Wo? Bei wem?« »Bei Small Hunter.«

»All divers!« fuhr er auf. »Small Hunter! Was wißt Ihr von Small Hunter?«

»Daß er ein angenehmer junger Master ist, der sich das Vergnügen macht, den Orient kennen zu lernen.« »Den Orient?«

»Ja. Und zwar reist er nicht allein, sondern hat einen Begleiter bei sich, welcher ein ebenso interessanter junger Mann ist. Wenn ich mich nicht irre, wird er Jonathan Melton genannt.«

»Ich verstehe nicht!«

»Es geht mir selbst fast so, daß ich mich nicht verstehe. Ich habe gemeint, daß die beiden, nämlich Small Hunter und Jonathan Melton, sich in Aegypten befinden, und nun erfahre ich hier zu meinem Erstaunen, daß der letztere hier gewesen ist und sich vor Euern Augen erschossen hat!«

Er musterte mich zum drittenmal mit einem seiner langen Blicke. Es schien ihm jetzt ein Licht aufzugehen, daß ich nicht zufällig hier sei, sondern mehr über seine Pläne wisse, als ihm lieb sein konnte.

»Könnt Ihr mir vielleicht eine Erklärung geben?« fragte ich.

»Denkt gefälligst selber nach!« stieß er hervor.

»Meint Ihr? Nun, ich will einmal Euern Rat befolgen. Indem ich dies thue und also nachdenke, komme ich auf die Euch jedenfalls sonderbar erscheinende Idee, daß Ihr Euch in der Person Eures Sohnes geirrt habt.«

»Ein Vater soll sich in der Person seines Sohnes irren!«

»Warum nicht? Nehmen wir zum Beispiel an, es liege eine große Aehnlichkeit vor. Das ist doch ein Fall, der nicht zu den Unmöglichkeiten gehört.«

Er horchte auf und brach dann ungestüm los:

»Verwünscht sei Euer Ziehen, Zerren und Dehnen! Ihr habt etwas auf dem Herzen! Ihr wollt mir irgend einen Hieb oder Stoß versetzen! Was zögert Ihr doch! Hervor damit!«

»Einen Hieb oder Stoß? Da irrt Ihr Euch. Ich spreche aus reiner Teilnahme zu Euch. Der beste Trost für Euch wäre nun freilich der Beweis, daß Ihr Euch vergeblich grämt, daß Euer Sohn nicht gestorben ist, sondern noch lebt.«

»Laßt mich mit Euern Romanen in Ruh'! Ich kann gar nicht begreifen, wie Ihr auf solche Gedanken kommt!«

»Wie? Auch das will ich Euch sagen. Wieviel Fußzehen hat wohl jeder Mensch?«

»Zehn natürlich!« grollte er heraus. »Ihr müßt wahrhaftig nicht recht im klaren sein, daß Ihr mir so dumme Fragen vorlegen könnt!«

Der Ton, in welchem er diese Worte aussprach, war mir ein sicherer Beweis, daß er den abweichenden Bau des Fußes bei Small Hunter nicht kannte. Darum fuhr ich weiter:

»Die Fragen sind gar nicht so verrückt, wie Ihr anzunehmen scheint. Es ist bekannt, daß Small Hunter an jedem Fuße sechs Zehen hat, oder vielmehr hatte.«

»Wie? Sechs Zehen?« fragte er ganz betroffen und indem er mich mit großen Augen ansah. Der Fall war ja von außerordentlicher Wichtigkeit für ihn.

»Ja, sechs an jedem Fuße! Und da er Euerm Jonathan so außerordentlich ähnlich sah und Ihr ihm nur ins Gesicht blicktet, aber nicht auf die Zehen, so habt Ihr Euch ganz unnützerweise über den Tod Eures Sohnes gehärmt. Ihr habt die Leiche selbst begraben. Ist es Euch denn dabei entgangen, daß sie zwölf Zehen hatte?«

Er stieß einen Fluch aus.

»Ja, sonderbar! Ihr habt nichts davon gewußt; den Uled Ayars aber ist dieser seltene Ueberfluß an Zehen recht wohl bekannt gewesen, denn sie haben den Toten unter sich nicht anders als Abu tnasch Sabi, "Vater der zwölf Zehen", genannt.«

Er drängte die Ausrufe des Erstaunens, des Zornes, welche ihm auf den Lippen schwebten, zurück und machte seinen Gefühlen nur durch ein Kopfschütteln Luft.

»Und nicht nur in dem Manne selbst habt Ihr Euch geirrt,« fuhr ich fort, »sondern auch in Beziehung auf den Tod, den er gestorben ist. Es liegt nämlich ganz bestimmt kein Selbstmord vor. Wir haben die Leiche ausgegraben und seciert. Die Kugel ist von links nach rechts unten durch das Herz gegangen und an der siebenten Rippe, da wo diese am Wirbel sitzt, stecken geblieben. Einen solchen Schuß kann ein

Selbstmörder nicht mit der Rechten, sondern nur mit der Linken gethan haben. Die linke Hand des Toten war aber in der Weise verletzt, daß er mit derselben keinen Revolver zu handhaben vermochte; folglich hat er sich nicht selbst getötet, sondern er ist von einem andern getötet, also ermordet worden.«

»Wer sollte ihn denn ermordet haben?«

»Der, welcher im betreffenden Augenblick bei ihm war.«

»Das war ich!«

»Ihr? Hm, Master Melton, das wirft freilich kein gutes Licht auf Euch!«

»Unsinn! Meint Ihr wirklich, daß ich im stande bin, meinen Sohn, meinen einzigen Sohn zu töten?«

»Er war nicht Euer Sohn!«

»Aber ich habe ihn dafür gehalten!«

»Habt Ihr? Wirklich? Vielleicht irrt Ihr Euch auch da! Aber selbst wenn es so wäre, würde ich Euch, da ich Euch kenne, unbedenklich auch einen Kindsmord zutrauen. Jedoch ihr erklärt mit sehr glaubhafter Miene, es nicht gethan zu haben, und da muß ich mich also nach einem andern umschauen, der es gewesen sein kann. Ich denke da an den Schreiber eines Briefes, welcher aus Tunis nach Aegypten gegangen ist. In diesem Briefe wurde Small Hunter angeblich von seinem Freunde, dem Advokaten Fred Murphy, eingeladen, nach Tunis zu kommen. Wißt Ihr vielleicht etwas von diesem Briefe?«

»Nein, nein, nein!« brüllte er mich förmlich an, vor Grimm und vor Verlegenheit.

»Oder kennt Ihr einen Juden Namens Musah Babuam, an welchen gewisse Schriftstücke adressiert werden sollten?«

»Nein, nein!«

»Oder den Pferdehändler Bu Marama im Dorfe Zaghuan, bei dem Euer Sohn bis zu Eurer Rückkehr heimlich logieren soll?«