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Es dauerte fast eine Viertelstunde, ehe sie wiederkam. Ihre Wangen waren bleich; in ihren Augen glänzte ein drohendes Licht; sie befand sich in großer Aufregung, gab sich aber Mühe, dies nicht merken zu lassen.

»Sennor, Sie haben den Teil des Gespräches gehört, welcher da im Nebenzimmer stattfand?« fragte sie mich.

Ihre Stimme zitterte. Sie mußte sich sehr anstrengen, ihren Zorn zurückzuhalten. »Ja«, antwortete ich ruhig. »So haben Sie also gelauscht!«

»Fällt mir nicht ein. Sie waren so gütig, mit dem Manne nebenan zu sprechen, und nur ein vollständig Tauber hätte da nichts hören können.«

»Gut, ich war unvorsichtig. Aber Sie haben mich belogen! Sie nannten sich Old Firefoot!« »Steht es mir nicht frei, mir einen Kriegsnamen zu geben, der mir gefällt und beliebt?«

»Aber Sie sind Old Shatterhand!«

»Man nennt mich allerdings auch bei diesem Namen.« »Warum haben Sie ihn mir nicht genannt?« »Weil ich keinen triftigen Grund dazu hatte.«

»Sie haben mich getäuscht. Wissen Sie, wie ich das nenne? Eine Dame in dieser Weise zu hintergehen, das ist -«

»Bitte, schweigen Sie!« unterbrach ich sie schnell. »Ich dulde von Ihnen kein beleidigendes Wort. Sie sind die Braut eines Schwindlers. Was hindert mich, Sie der Polizei zu übergeben?«

»Wer oder was Sie hindert? Das werde ich Ihnen gleich zeigen. Warten Sie nur einen Augenblick. Ich habe vorher dem Boten nur ein Trinkgeld zu geben, und meine Börse liegt im Schlafzimmer. Dann sollen Sie hören, was ich Ihnen zu sagen habe!«

Sie verließ das Boudoir durch eine mir und dem Diwan gegenüberliegende Thür. Ich hörte ein leises Geräusch, als ob ein Riegel vorgeschoben werde. Schnell huschte ich nach der Thür und klinkte; sie öffnete sich nicht. Nun eilte ich leisen Schrittes durch das Boudoir zurück und hinaus in das Nebenzimmer. Auch dieses war von außen verschlossen. Da die Jüdin durch dasselbe zu mir zurückgekehrt war, mußte die Indianerin, ihre Dienerin, den Schlüssel im Schlosse umgedreht haben.

»Ah, sie hat dich gefangen, um auszureißen!« lachte ich mir selbst zu. »Sehr gut! Sie mag gehen!«

Ich öffnete ein Fenster und sah hinaus, doch so, daß ich von unten nicht gesehen werden konnte. Kaum waren fünf Minuten vergangen, so kam sie unten aus der Thür. Sie hatte in größter Eile Toilette gemacht, und jedenfalls all ihr Geld und ihre Wertsachen zu sich gesteckt. Ihre Gestalt war in einen grauen Regenmantel gehüllt; ein einfacher Hut saß auf ihrem Kopfe. Hinter ihr kam eine Indianerin, welche eine Tasche in der Hand hatte, und dann folgte ein schwarzbärtiger Mann, der einen kleinen Koffer trug. Das war jedenfalls der Bote, mit dem sie gesprochen hatte. Die drei hoben die Köpfe, um zu den Fenstern emporzublicken; ich zog den meinigen schnell zurück. Als ich dann wieder hinaussah, waren sie schon weit fort; ich sah sie eiligen Schrittes unter den Passanten verschwinden.

Ein anderer als ich hätte vielleicht die Thüren ausgesprengt, um ihnen augenblicklich zu folgen; mir aber fiel dies nicht ein; sie, nämlich die Jüdin, war mir sicher, obwohl ich mir sagte, daß sie New-Orleans augenblicklich verlassen werde.

Ich probierte zunächst noch einmal die Thüren; sie waren wirklich verschlossen. Dann sah ich mich genauer, als es bis jetzt geschehen war, in den beiden Zimmern um, die für mich offen waren. Auf einem kleinen Tischchen im Boudoir lag ein Photographiealbum. Ich öffnete es und schlug die einzelnen Bilder um. Wahrhaftig, da steckte Jonathan Meltons Lichtbild im Visitenformat. Und dabei lag ein zusammengefalteter Zettel. Ich war keineswegs so diskret, ihn liegen zu lassen, sondern ich las ihn. Da stand in kalligraphisch schönen Buchstaben geschrieben:

»Ich erkläre hiermit durch die Unterschrift meines Namens, daß ich Mrs. Silverhill die Ehe versprochen habe. Small Hunter.«

Wer die in Beziehung auf Eheversprechungen so strengen Gesetze der Vereinigten Staaten kennt, der weiß, was zwei oder drei solche Zeilen zu bedeuten haben. Ja, der sonst so kalt und gefühllos berechnende Mann befand sich vollständig in ihren Fesseln, und ich war überzeugt, daß ich ihn, wenn nicht in Albuquerque, so doch in ihrem »Schlosse« treffen würde.

Ich durchsuchte die beiden Zimmer weiter, fand aber nichts, was mir dienlich sein konnte. Die Photographie und den Zettel steckte ich zu mir und untersuchte dann die Schlösser der beiden Thüren. Man brauchte kein Einbrecher zu sein, um das eine öffnen zu können. Nachdem ich einen kleinen Stift aus dem Drücker gezogen hatte, konnte ich den letzteren entfernen. Ich hatte in dem Necessaire ein kleines Messer gesehen, dessen Spitze ich abbrach, worauf es mir als Schraubenzieher diente, mit dessen Hilfe ich die vier kleinen Schrauben entfernte, welche das Schloß festhielten; dann konnte ich dieses abnehmen; die Thür war offen, und ich trat in den Korridor, mit dessen Thür ich ganz ebenso verfahren konnte.

Nun ging ich hinab ins Parterre zu der Witwe und teilte derselben soviel mit, wie ich für nötig hielt. Sie war zunächst ganz betroffen über die fluchtmäßige Entfernung der Jüdin, setzte aber meiner Verabschiedung keine Schwierigkeiten in den Weg. Ich ging, aber nicht etwa schon zu Emery und Winnetou, sondern die Straße abwärts nach dem Hinterhause, welches der Advokat mir als die Wohnung seines »Bureauvorstandes« bezeichnet hatte. Der Wirt sollte mich bei seiner Rückkehr von seinem mehr als zweideutigen Ausgange in seiner Stube finden. Ich war der Jüdin nicht gefolgt, weil ich sicher gewesen war, von ihm mehr zu erfahren, als was ich hätte sehen und beobachten können.

Eine Inschrift über den Fenstern des Parterres verriet mir, daß er Jeffers hieß und alte Goldsachen und Uhren zu verkaufen hatte. Die Thür war von innen verriegelt; auf mein Klopfen öffnete eine Frau.

»Mr. Jeffers daheim?«

»Nein. Was wollt Ihr?«

»Ein Armband oder so etwas als Geschenk für eine Dame.«

»Wie hoch vielleicht im Preise?«

»Ich gehe bis zehn oder fünfzehn Dollars.«

»Kommt herein, Sir; mein Mann muß gleich wiederkommen.«

Hätte ich eine niedrigere Summe genannt, so wäre ich von ihr fortgeschickt worden, um später wieder vorzusprechen. Ich trat in einen kleinen Vorsaal, in welchem es zwei Thüren gab; die eine führte in einige Hinterstuben, wo ich bedient werden Sollte; die andere ging jedenfalls in die vordern Zimmer, welche Harry Melton bewohnt hatte.

Die Frau war sauber gekleidet und machte den Eindruck von Willenlosigkeit und Niedergeschlagenheit. Ich mußte wohl drei Viertelstunden warten, ehe ihr Mann nach Hause kam. Sie öffnete ihm und sagte ihm draußen, was ich kaufen wollte. Er kam in die Stube und führte mich in einen kleinen Nebenraum, in welchem sich seine Kostbarkeiten befanden.

»Also ein Armband wollt Ihr, Sir,« meinte er.

»Ich möchte Euch hier die Granaten empfehlen; es giebt auch eine Broche dazu. Sie stehen wunderbar, besonders zu blond.«

»Mrs. Silverhill ist leider nicht blond,« bemerkte ich.

Er ließ die Hand, mit der er mir das Armband entgegenhielt, sinken und fragte rasch.

»Mrs. Silverhill? Kennt Ihr eine Dame dieses Namens?« »Natürlich! Das Geschenk soll ja für sie sein! Wundert Ihr Euch darüber?«

»Nein, gar nicht! Wo wohnt Mrs. Silverhill, Sir?«

»Auf dieser Straße, nur einige Häuser weiter aufwärts.«