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»Also,« fragte ich, »woran dachtest du vorhin, als mir dein Gesicht so auffiel?«

»An ein Kunststück, welches ich einigemale gesehen und dann auch nachgemacht habe. Es heißt "Der gefesselte Hexenmeister", und ich kam auf den Gedanken, ob es vielleicht möglich sei, es hier an den Mann zu bringen.«

»Hm! Bilde dir nicht ein, die Leute hier durch irgend einen Hokuspokus zu täuschen!«

»Es ist nicht ein Hokuspokus, sondern es handelt sich um zwei Kunstgriffe, die keinem Weißen und noch viel weniger einem Indianer auffallen würden.«

»Muß es gezeigt werden, oder kann man es nach der bloßen Beschreibung begreifen?«

»Zeigen ist besser, hier aber nicht möglich. Der Hexenmeister läßt sich mit einem Riemen oder Bande, einer Schnur die Hände auf dem Rücken zusammenbinden und ist dann imstande, sich der Fessel jeden Augenblick zu entledigen.«

»Aber es kann leicht bemerkt werden?«

»Nein, sondern sehr schwer. Die Hauptsache ist, daß man sich den Riemen erst selbst auf das linke Handgelenk legen darf.«

»Das würde vielleicht nicht auffallen; man will dem Roten, der einen bindet, behilflich sein. Weiter!«

»Paß auf! Man faßt den Riemen in der Mitte, legt das eine Ende über das linke Handgelenk und läßt es um dasselbe knoten. Während der, welcher fesselt, den Riemen fest anzieht, zieht man am andern Ende selbst auch mit, scheinbar, um den Knoten und die Schlinge doppelt fest zu machen, in Wahrheit aber wird der Knoten umgezogen, das heißt, er wird auf dem Riemen beweglich, läßt sich auf demselben hin und her schieben. Dies ist für den, der bindet, und auch für die Zuschauer vollständig unbemerkbar. Darauf hält man beide Hände auf den Rücken, um das andere Ende um das Gelenk der rechten Hand zu legen und zu binden. Dabei faßt man den rechten Rockärmel an, als wolle man ihn zur Seite halten, damit die betreffende Person besser binden kann. Dadurch werden die Hände mehr voneinander entfernt, und man behält Raum zum Aufziehen der Schlinge, während man zugleich Gelegenheit bekommt, den Riemen während des Bindens schroff anzuziehen. Nun kann sich jedermann, ohne das Geringste zu bemerken, von der Festigkeit der Fessel überzeugen, und doch ist es nun möglich, durch Aufschieben des einen oder andern umgezogenen Knotens bald die rechte und bald die linke Hand nach Belieben frei zu machen; man kann sie auch wieder fesseln und die Knoten zu jeder Zeit untersuchen lassen. Vermagst du dich hineinzudenken?«

»Sehr leicht. Ich halte es für möglich, daß wir dem Kunststücke unsere Rettung verdanken.«

»Ja, ich habe vorhin, als wir wieder gebunden wurden, gut aufgepaßt. Ich bin genau so gebunden, wie es Voraussetzung des Kunststückes ist. Wenn man uns die Hände vielleicht zum Abendessen frei giebt und sie dann wieder auf den Rücken fesselt, denke ich, es nicht schwer fertig zu bringen, daß man sie in meiner Weise fesselt; du nicht auch?«

»Hm! Ich bin freilich überzeugt, die so einfache Hexerei auch fertig zu bringen, doch nur so, wie man es beim ersten Versuche kann; hier aber, wo es sich um Freiheit und Leben handelt, gehört mehr Uebung

dazu; ich werde den Versuch also dir überlassen.«

»Warum? Wenn wir auch Winnetou das Kunststück erklären, können wir uns alle drei zu gleicher Zeit und im passenden Augenblick schnell frei machen. Handeln wir dann, so sind wir verschwunden, ehe man nur daran denkt, uns festzuhalten.«

»Das klingt zwar verlockend, ist aber nicht so leicht, wie du denkst. Erstens, wie wollen wir Winnetou eine solche Erklärung geben, ohne daß unsere Wächter sie auch mit hören? Er versteht ja nur wenig deutsch, und englisch wieder verstehen sie, wenigstens genug, um zu wissen, wovon wir sprechen.«

»Das ist freilich wahr!«

»Und zweitens ist doch die Hauptsache, daß der Umstand nicht auffällt, daß man selbst den ersten Griff bei der Fesselung thut. Bei nur einem wird es jedenfalls übersehen; thun wir aber alle drei den Griff, so muß es nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern vielmehr Verdacht erregen. Ich bin also ganz dafür, daß nur du das Kunststück unternimmst.«

»Was wird aber dann mit euch?«

»Müssen sehen. Es wäre ein Messer vonnöten; man hat uns aber die unserigen mit den übrigen Waffen abgenommen.«

»Was das betrifft, so habe ich eins, ein kleines Einschlagemesserchen mit Nagelfeile; ich pflege es in der in- inneren Westentasche zu tragen. Man wird uns jedenfalls die Taschen leeren, doch denke ich, daß man das Innentäschchen nicht finden wird.«

»Das paßt ganz vortrefflich. Bekommst du die Hände frei und hast das Messerchen, so kannst du deine Fußschlingen und dann auch unsere Fesseln durchschneiden.«

»Well, sollte mich freuen! Ganz abgesehen von der Größe der Gefahr, in welcher wir uns befinden, wünsche ich herzlich, daß die Befreiung durch mich kommen dürfe, da ich es bin, der die Schuld an unserer Gefangenschaft trägt.«

»Hast du denn, als sie kamen, nichts gehört?«

»Nicht einen Hauch, obwohl ich wirklich scharf und unausgesetzt aufgepaßt hatte. Ich besitze aber leider nicht so empfindliche Ohren wie du und Winnetou. Du kannst dir denken, welche Vorwürfe ich mir mache!«

»Das laß sein! Es ist nicht ungeschehen zu machen, und hätte einer von uns andern Wache gestanden, wäre die Ueberrumpelung auch keine Unmöglichkeit gewesen.«

»Du hast aber selbst gehört, daß sie gewartet haben, bis die Reihe an mich gekommen ist.«

»Das geht mich nichts an. Wir sind gefangen und wollen wieder loskommen. Durch Vorwürfe aber erlangen wir die Freiheit keineswegs.«

Winnetou saß neben uns, verstand nur wenig von dem, was wir sprachen, doch war zu hoffen, daß wir ihm die nötige Mitteilung würden machen können, Zunächst geschah, was wir vorhin vorausgesetzt hatten: Nach dem Essen wurden unsere Taschen untersucht und geleert. Man nahm uns alles ab, doch blieb glücklicherweise Emerys kleines Messerchen unentdeckt.

Dann wurden wir wieder auf die Pferde gebunden, und man brach nach dem Thale des Todes auf.

Damals, als ich mit Winnetou die Komantschen dorthin verfolgte, war das Thal nicht ihr Ziel; sie zogen hin und her, um uns irre zu führen und von ihrer Spur abzubringen; darum dauerte es mehrere Tage, ehe unser Rachewerk in jenem Thale zum Abschlusse kam. Heute aber wollte man direkt nach demselben und konnte es in sieben oder acht Stunden recht gut erreichen.

Die Komantschen waren weit besser beritten, als wir, sie hatten sogar einige Pferde, welche man ausgezeichnet nennen konnte. Der Ritt ging durch eine Art von Furt über den Canadian und dann auf der andern Seite nordwärts. Am Flusse gab es Bäume und Gras. Bald hörten die ersteren auf, und als wir uns dann weiter vom Wasser entfernten, verschwand auch das letztere nach und nach.

Das Todesthal hatte seinen Namen nicht etwa dem Umstande zu verdanken, daß wir dort den Häuptling erschossen und begraben hatten, sondern weil es in einer wie ausgestorbenen Gegend lag. »Starke Hand« hatte es damals aufgesucht, wohl um sich in der Einsamkeit vor uns versteckt zu halten.

Das Thal hatte die Form und Gestalt eines eingesunkenen Kraters. Die Wände stiegen steil an und bestanden aus festem Gestein. Es gab nur einen Weg, um zu Pferde in den Kessel hinabzukommen; zu Fuße konnte man wohl auch an andern Stellen kletternd hinab- und hinaufgelangen. Die Thalsohle bildete einen Kreis, dessen Umfang man in einer halben Stunde abgehen konnte.