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»Was heißt Glück und was Unglück? Man darf Glück nicht mit immerwährender Wonne und Unglück nicht mit einem fortgesetzten Seelenschmerze vergleichen. Fragen Sie mich aber, ob ich - zufrieden bin, dann antworte ich mit einem ja, wenn ich mich dazu - zwinge.«

Das Gespräch schien eine etwas peinliche Wendung zu nehmen; darum war es mir lieb, daß jetzt ihr Bruder kam. Er hatte ein Paket unter dem Arme, legte es auf den Tisch, deutete mit der Linken darauf, reichte mir die Rechte und sagte in frohem Tone:

»Herzlich willkommen, Herr Doktor! Wer hätte so etwas ahnen können! Ich war starr vor Erstaunen, aber auch vor Freude, als ich Sie erblickte. Nun wollen wir aber auch das Willkommen feiern. Dazu habe ich etwas mitgebracht. Raten Sie, was!«

»Wein jedenfalls?«

»Ja, aber was für welchen? Da, lesen Sie!« »Riedesheimer Berg!« las ich.

»Ja,« nickte er lachend, indem er mir die Flasche noch näher hielt. »Nun wundern Sie sich wohl?

»Nein, gar nicht. Ich ärgere mich vielmehr.«

»Worüber?«

»Weil er falsch ist.«

»Erst kosten, erst kosten!«

»Ist nicht nötig, denn sogar die Etikette ist gefälscht, denn der Ort heißt Rüdesheim, nicht aber Riedesheim.«

»Ah!« machte er enttäuscht, indem er die Etikette genauer betrachtete. »Das habe ich gar nicht bemerkt.«

»Ein famoser, orthographischer Schnitzer! Wenn die Etikette hier hüben gedruckt worden ist, wo mag dann da erst der Wein zusammengequirlt worden sein! Wieviel haben Sie für die Flasche bezahlt?«

»Fünfzehn Dollars.«

»Zwei Flaschen?« »Eine!«

»So! Da geht es noch. Es giebt Rüdesheimer, für welchen man sogar drüben an der Quelle weit mehr bezahlt. Die dreißig Dollars lassen sich verschmerzen. Also versuchen wir den famosen Rüdesheimer!«

Er hatte drei Gläser gefüllt. Wir stießen an und führten sie an den Mund. Die beiden Geschwister nahmen einen Schluck und machten dann unheimliche Gesichter. Ich trank aber gar nicht, denn ich hatte schon von dem Geruche genug. Das war ja der reine Essig- und Rosinenmoder! Wir setzten die Gläser auf den Tisch, und Franz Vogel schimpfte.

»Darüber lassen Sie sich ja keine grauen Haare wachsen!« sagte ich. »Ich bin nicht zu Ihnen gekommen, um zu trinken. Schütten Sie das Zeug weg, und setzen Sie sich! Wir haben von etwas Besserem zu sprechen.«

»Ja, von Ihren Erfolgen drüben in Aegypten!« meinte er, indem er mich in großer Spannung anblickte. »Die Aufgabe war zu schwer. Ich bin überzeugt, daß Sie nichts ausgerichtet haben. Es wäre ja dem klügsten

Menschen der Erde unmöglich, den Gesuchten auf die wenigen und nebelhaften Anhaltepunkte hin, welche es gab, zu finden.«

»Hm! Im Nebel rennen oft Leute ganz zufällig zusammen, welche sich bei reiner, klarer Luft wahrscheinlich nicht gesehen hätten!«

»Wie - was?! Sagen Sie so? Das läßt vermuten, daß Ihre Reise doch nicht ganz vergeblich gewesen ist?«

»Das läßt vermuten, daß ich Ihre Frau Schwester zu etwas zwingen werde, was ihr sehr zuwider zu sein scheint.«

»Zu was?«

»Sie behauptete vorhin, als Sie noch nicht hier waren, daß sie keine Lust habe, wieder Millionärin zu werden.« '

»Millionärin?! Ist es etwa das, wozu Sie sie zwingen wollen?« Aa. Ich nehme meine Worte in vollstem Ernste.«

»Das wäre ja mehr als erstaunlich, mehr als wunderbar!« rief er aus, indem er von seinem Sitze aufsprang.

Auch seine Schwester richtete ihre Blicke in größer Spannung auf mein Gesicht, sagte aber nichts.

»Es ist gar nichts Wunderbares an der Sache,« fuhr ich fort. »Wunderbar könnte man nur das eine nennen, daß sie noch immer nicht zu Ende ist.«

»So sagen Sie schnell, wie war es denn eigentlich? Sie waren damals der Ansicht, daß der Reisebegleiter von Small Hunter ein Betrüger sei und Jonathan Melton heiße.«

»So ist es.«

»Haben Sie ihn getroffen?«

»Ja, und Small Hunter auch, den einen tot und den andern lebend.« »Welcher war es, der lebte?« »Melton; Small Hunter ist tot.«

»Mein Himmel! So sind wir die Erben des riesigen Vermögens!«

»Der Millionen!« fügte ich hinzu.

Er legte sich die Hände auf den Kopf und rief aus:

»Wer das glauben könnte! Welche Freude! Schon um unserer Eltern willen! Jetzt fühle ich es, daß man vor Freude vom Schlage getroffen, oder gar wahnsinnig werden kann. Kommen Sie, kommen Sie; ich muß Sie umarmen, Sie einziger, einziger Mensch!«

Er wollte mich von meinem Stuhle aufziehen. Ich wehrte ab und versuchte, seine freudige Aufregung dadurch zu dämpfen, daß ich ihn bat:

»Mäßigen Sie sich! Die Angelegenheit ist noch nicht bei dem Punkte angelangt, an welchem sie stehen müßte, wenn Sie Grund hätten, vor Freude wahnsinnig zu werden. Ja, es ist richtig, daß Sie die Erben sind; aber das Vermögen ist leider nicht mehr da. Jonathan Melton hat es.«

»O Himmel! Dann hat es ihm der Rechtsanwalt Fred Murphy übergeben?«

»Derselbe,« entgegnete ich und erzählte ihm den Zusammenhang.

»So muß Melton das Geld augenblicklich herausgeben! Wo steckt der Halunke? Ich reise sofort von hier ab, um ihn aufzusuchen und zur Zurückgabe zu zwingen!«

Er nahm bei diesen Worten eine so drohende Stellung an, und machte dabei ein so grimmiges Gesicht, daß es Melton, wenn er es gesehen hätte, sicherlich angst geworden wäre.

»Nun!« fuhr er fort, als ich nicht augenblicklich antwortete. »Wo steckt dieser Mensch?«

»Hier in Albuquerque,« antwortete ich ruhig.

»Was? Hier - in - Albuquerque?«

Ja. Begreifen Sie das nicht? Ich bin doch ausgezogen, den Menschen zu entlarven; ich bin seiner Spur gefolgt; also ist doch, wenn ich mich hier befinde, nicht allzu schwer zu denken, daß seine Spur mich hierher geführt hat.«

»Ah, so! Das ist freilich richtig! Also hier ist er, hier! Ich werde - -«

»Halt!« unterbrach ich ihn, weil er sich schon nach der Thür wendete. »Warten Sie noch ein Weilchen! Er steht nämlich nicht draußen auf der Treppe, um Ihnen gemütlich in die Arme zu laufen. Ich wollte vorhin sagen: er ist entweder hier oder wenigstens hier gewesen, und zwar vor ganz kurzer Zeit, vor längstens zwei Tagen.«

»Da sind wir ja schon länger hier! Und haben keine Ahnung von seiner Anwesenheit! Und Sie wissen nicht, ob er noch hier, oder schon wieder fort ist? Konnten Sie denn nicht erfahren, wo er seinen Aufenthalt hier nehmen wollte?«

»Ich habe es erfahren. Wahrscheinlich ist er in Pleners SaIon abgestiegen.«

»Pleners Salon! Da bin ich täglich mehreremal gewesen! Vielleicht habe ich mit ihm sogar an einem Tische gesessen!«

»Die Möglichkeit ist allerdings vorhanden.«

»Und nichts davon gewußt! Aber daran bin doch ich nicht schuld, denn ich bin ohne alle Ahnung gewesen! Sie, Sie, Sie tragen die Schuld! Haben Sie sich denn nicht sofort, als Sie hier ankamen, nach ihm erkundigt?«

»Erkundigt? Fällt mir nicht ein! Ich will sehr gern die Schuld auf mich nehmen, vorsichtig gewesen zu sein. Konnte ich mich bei ihm sehen lassen? Wenn er mich bemerkte, machte er sich heimlich von dannen.«

»Das ist freilich wahr; entschuldigen Sie! Die Millionen machen mich ganz verwirrt.«

»Sammeln Sie sich! Sie können überzeugt sein, daß von mir keine Vorsichts- oder sonst irgendwo gebotene Maßregel versäumt worden ist. Dieser Mensch hat es uns sehr schwer gemacht; er ist uns immer wieder entwischt, nicht etwa, weil wir große Fehler begangen hätten, sondern weil er viel Glück gehabt hat. Setzen Sie sich wieder ruhig her, und lassen Sie sich erzählen!«