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Ich zog ihn auf seinen Sitz nieder und berichtete unsere Erlebnisse. Natürlich drängte es Mich, dabei die Thätigkeit Winnetous und des Englishman hervorzuheben. Man kann sich sehr leicht denken, mit welcher Aufmerksamkeit die Geschwister meiner Erzählung folgten. Ich wurde von hundert und wieder hundert Fragen, Ausrufen und dergleichen unterbrochen, sodaß es lange dauerte, bis ich fertig wurde. Endlich war ich mit meinem Berichte bei der gegenwärtigen Stunde angekommen und konnte mich an der Verwunderung weiden, welche die beiden erfüllte.

Der Bruder fiel mit überschwänglichen Ausdrücken des Lobes über mich her; ich wehrte ihn mit der Bemerkung ab:

»Sagen Sie das nicht mir, sondern Sir Emery und Winnetou, die Sie ja bald sehen werden. Die beiden haben alles Lob verdient, wenn es uns gelingen sollte, die Angelegenheit zum guten Ende zu bringen.«

Die Schwester gab mir stumm die Hand, sie sagte nichts, und das war mir lieber als die überlaute AnAnerkennung ihres Bruders. Dieser ging aufgeregt im Zimmer hin und her, brummte, schüttelte den Kopf, stieß unverständliche Worte aus, drohte mit den Fäusten, als ob er Melton vor sich habe, bis ich diesem Gebaren durch die Bemerkung ein Ende machte:

»Zanken Sie sich nicht mit der Luft, mein lieber Freund! Dadurch erreichen Sie nichts. Nun ich Ihnen alles erzählt habe, werde ich nach meinem Hotel gehen. Jedenfalls ist Emery schon dagewesen, oder noch da, uni zu berichten, wie es in Pleners Salon steht. Befindet sich Jonathan Melton noch dort, so entkommt er uns gewiß nicht wieder. Ist er aber schon fort, so reiten wir ihm morgen früh nach. Und was seinen Vater und seinen Oheim anbetrifft, so - hm, so möchte ich fast behaupten, daß sie hier sind, ja, daß ich sie sogar gesehen habe.« Und ich berichtete die Scene im Konzertsaal.

»Die beiden Männer trugen Sombreros?« meinte er nachdenklich. »Sagen Sie mir, von welcher Gestalt die beiden alten Meltons sind!«

»Lang und hager; die Höhe wird wohl bei beiden gleich sein.« »So habe ich sie wahrscheinlich vorhin, als ich kam, gesehen!« »Und wo?«

»Zwischen hier und dem ersten Hause, auf unserm Fußwege am Flusse.« »Ah! Sollten Sie es auf mich abgesehen haben?« »Schwerlich! Sie wissen ja nicht, daß Sie sich hier befinden.«

»Denken Sie das nicht! Die Meltons sind sehr erfahrene Westmänner. Nehmen wir an, daß sie mit den beiden Personen im Konzerte identisch sind. Sie haben mich gesehen und erkannt; sie haben sich sofort gesagt, daß ich nur ihretwegen hier bin; darum sind sie schleunigst fortgegangen.«

»Aber hierher? Sie konnten doch nicht wissen, daß Sie zu uns gehen würden!«

»Das ist richtig; aber sie sind auch nicht direkt von dort hierher gegangen, sondern sie haben sich in der Nähe des Konzertlokales versteckt, um zu erfahren, wo ich mich aufhalte, wo ich wohne. Sie haben gesehen, daß ich mit Ihrer Schwester den Weg nach hier eingeschlagen habe, sind uns gefolgt und wollen nun auf mich warten, wahrscheinlich um mich unschädlich zu machen. Wurden Sie von ihnen gesehen?«

»Natürlich! Ich mußte an ihnen vorüber. Und jetzt fällt mir ein, daß sie zu erschrecken schienen, als sie meine Schritte hinter sich hörten und sich nach mir umdrehten.«

»Es ist so hell draußen, daß man alles sehen kann. Haben Sie bemerkt, wie die beiden bewaffnet waren?«

»Nach Messern, Pistolen oder Revolvern habe ich nicht geschaut; ich war zu schnell an ihnen vorüber; aber Gewehre hatten sie in den Händen.«

»Das ist der sicherste Beweis, daß sie schießen wollen. Niemand schleppt jetzt Gewehre in der Stadt herum. Im Konzerte haben sie die Flinten nicht mitgehabt, folglich haben sie sich dieselben geholt, weil sie etwas vorhaben, wobei sie ihrer bedürfen. Und was sie vorhaben, das ersehe ich daraus, daß sie sich in der Nähe Ihrer Wohnung aufgestellt haben. Es gilt ohne allen Zweifel mir.«

Da bat Martha, indem sie schnell meine Hand ergriff:

»Um des Himmels willen, gehen Sie nicht fort! Sie müssen hier bleiben!«

»Das ist unmöglich, weil Winnetou und Emery auf mich warten.«

»Sie mögen warten bis morgen früh!«

»Bis dahin kann gar manches geschehen, wobei meine Gegenwart notwendig ist. Jedenfalls warten Sie schon jetzt mit Ungeduld auf mich. ich muß fort, wirklich fort.«

»Und ich lasse Sie nicht fort!« rief sie, indem sie sich auch meiner andern Hand bemächtigte. »Man will

Sie erschießen, bedenken Sie doch, was das heißt!«

»Das heißt, daß schon mancher Mann auf mich hat schießen wollen und auch wirklich geschossen hat, und Sie sehen mich trotzdem heil und gesund hier bei Ihnen.«

»Diesmal aber ist die Gefahr zu groß. Draußen stehen zwei Mörder, hören Sie, zwei Mörder!«

»Das wäre nur dann gefährlich, wenn ich es nicht wüßte. Nun ich aber davon unterrichtet bin, hat es gar kein Bedenken. Es sind zwei Fälle möglich, und in beiden giebt es keine Gefahr für mich. Der eine Fall ist, daß die Meltons annehmen, daß Sie mich von ihrer Gegenwart am Flusse benachrichtigen. Sie sind also fortgegangen, weil Ihr Hinterhalt unnütz ist, da ich gewarnt worden bin.«

»Und der andere Fall?«

»Sie befinden sich trotz der Begegnung noch draußen. Um mich zu überraschen, müssen sie sich verbergen; sie stecken also im Gebüsch des Ufers, ich aber werde mich ganz selbstverständlich hüten, diese Richtung einzuschlagen. Ich mache einen Umweg.«

»Das sehen sie, eilen Ihnen nach und schießen Sie nieder! Nein, Sie bleiben da; ich bitte, bitte!«

Ihre Bitte war dringend; ich sah, daß sie sich wirklich ängstigte, durfte aber nicht nachgeben; darum antwortete ich, indem ich meine Hände aus den ihrigen befreite:

»Versuchen Sie nicht, mich zu halten; ich muß fort, wirklich fort, denn - -«

Ich hielt mitten in der Rede inne, denn draußen fiel ein Schuß und gleich darauf ein zweiter. Dann rief eine Stimme:

»Da drüben war es! Drauf, auf die Strauchdiebe!«

Das war Emerys Stimme. Ich nahm die Lampe, drückte sie Franz Vogel in die Hand und sagte: »Leuchten Sie mir! Schnell, schnell! Ich muß fort!«

Martha wollte mich am Arme zurückhalten; ich riß mich aber los, und eilte aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Unten konnte ich die Thüre nicht öffnen, da ich den Mechanismus nicht kannte. Darum mußte ich warten, bis Vogel nachkam. Als ich dann draußen vor derselben stand und mich umblickte, konnte ich trotz der ungewöhnlichen Helligkeit nichts sehen. Droben an der Treppe stand Martha und rief herab:

»Bleiben Sie doch! Sie haben ja gehört, daß es Ernst ist!«

»Für mich nicht mehr. Für mich ist die Gefahr vorüber, denn die Kerle sind vertrieben worden, aber wenn ihre Schüsse getroffen haben, so ist es mir um meinen Winnetou leid.«

»Winnetou?« fragte Vogel. »Sie meinen, daß er hier gewesen ist?«

»Ja. Ich habe Bothwells Stimme erkannt; dieser hat nicht gewußt, daß ich hier bin; er kann es nur von Winnetou erfahren haben, und der hat ihn auf keinen Fall allein gehen lassen, sondern ihn ganz gewiß begleitet.«

»Und um Winnetou thut es Ihnen leid?«

»Ja, denn dieser ist's, der eine Kugel erhalten hat, falls nämlich wirklich einer getroffen wurde. Emery ist, wie ich aus seinem Ausrufe höre, den Attentätern nach; die Stimme des Apatschen aber haben wir nicht gehört; er muß - - ah, Gott sei Dank, da drüben kommen zwei Gestalten! Das macht mir das Herz so leicht, so leicht! Sie sind's; sie sind's, und keiner scheint verletzt zu sein!«

Die beiden kamen schnell über das freie Feld herübergelaufen. Winnetou und Emery waren es. Ich sprang ihnen in meiner Freude entgegen und fragte: