»Ja. Würdest du uns den Weg zeigen, wenn es morgen früh hell geworden ist?«
»Gern.« »Ist er schwierig zu finden?«
»Wer den Ort nicht genau kennt, der reitet am Eingange zum Pueblo vorüber, ohne etwas zu bemerken. Der Flujo fließt durch ein Thal, welches dort von sehr steilen und sehr hohen Felsenwänden eingeschlossen ist. Auf der linken Seite des Flusses sind die Felsen ein klein wenig auseinandergetreten, und dadurch wurde ein enger Gang gebildet, welcher nach dem Pueblo führt.«
»Wir möchten die Bewohner desselben überraschen. Sie wissen zwar, daß wir kommen, aber nicht wann. Könntest du uns hinbringen, ohne daß wir unterwegs bemerkt werden?«
»Sehr leicht. Ich werde euch so leiten, daß kein Mensch euch sehen kann.«
»Ist das Pueblo groß?«
»Nein, aber außerordentlich fest und sicher. Kein Feind könnte es ersteigen, wenn die Bewohner sich verteidigen. Wenn man von dem Flusse aus durch den engen Weg geht, gelangt man in ein weites, rundes Loch, welches rings von Felsen umgeben ist, die so steil sind, daß kein Mensch hinangelangen kann. Der Boden des Loches ist grün; es stehen da viele Bäume, Sträucher und andere
Pflanzen. Da können die Pferde weiden, und da bauen die Yumaindianer ihre Kürbisse, Zwiebeln und andere Früchte, welche sie brauchen. Ganz vorn, gerade da, wo der Weg in das Loch mündet, ist das Pueblo an dem Felsen emporgebaut. Es ist schmal, aber sehr hoch, obgleich es nicht ganz bis zur Zinne der Felsen reicht. Da wohnte die weiße Squaw mit ihrem Yumahäuptlinge, und da wohnt sie jetzt wieder mit dem Weißen und seinem Vater.«
Das erzählte der Mann in aller Aufrichtigkeit. Es war klar, daß er uns nicht für Feinde der Bewohner des Pueblo hielt, sonst hätte er sich wohl gehütet, so offen mit uns zu sein. Am wenigsten aber hätte er uns die Oertlichkeit so genau beschrieben. Es war also meines Erachtens nach kein Grund vorhanden, Mißtrauen gegen ihn zu heben, und Winnetou war auch meiner Ansicht; das ersah ich aus seiner Miene, ohne daß ich ihn zu fragen und er es mir besonders zu sagen brauchte.
Und dennoch war ich von diesem Zuniindianer nicht vollständig befriedigt. Ich vermochte mir freilich nicht gleich zu sagen, warum; aber als ich länger darüber nachdachte und ihn weiter beobachtete, kam ich auf den Grund des Argwohnes, der trotz alledem in mir lag. Es war die große Freundlichkeit, welche er gegen uns zeigte. Der Indianer ist in jeder Beziehung zurückhaltend; ganz besonders aber zeigt er sich gegen Fremde erst dann wohlwollend, wenn er sie näher kennen gelernt hat. Von dem Zuni aber wurden wir wie alte, liebe Bekannte behandelt, und er war von einer geradezu erstaunlichen Aufrichtigkeit gegen uns. Er hatte mit der Jüdin und den Meltons gesprochen; sollten ihm diese denn wirklich nicht gesagt haben, daß von ihrem Hiersein möglichst niemand etwas erfahren solle?
Dazu kam noch ein Zweites. Sein Weib hatte das Haus verlassen und war nicht wiedergekommen. Draußen donnerte und blitzte es wieder, und der Regen strömte abermals, wie aus Schüsseln gegossen, herab. Was that die Frau in diesem Wetter draußen? Die Ursache, die sie im Freien hielt, mußte eine sehr wichtige sein, besonders da ihr Mann Arbeiten verrichtete, die sonst der Squaw obzuliegen pflegen.
Zu diesen Arbeiten gehörte auch die Speisung seiner Gäste. Er spendete uns aus seinem Vorrate ein geräuchertes Wildviertel, welches er für uns zerlegte, ohne aber mitzuessen. Als wir ihn dazu aufforderten, erklärte er, kurz vorher gegessen zu haben.
Das glaubte ich ihm nicht. Er hatte da oben auf dem Berge gestanden, im strömenden Regen, wie ein Wächter, der seinen Posten nicht verlassen darf. Als er uns gesehen hatte, war er heruntergekommen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto auffälliger kam mir dieser Umstand vor. Es war ja beinahe so, als ob er von da oben aus nach uns ausgeschaut hätte! Kurz und gut, ich nahm mir vor, vorsichtig zu sein. Ich trug infolgedessen die Gewehre, welche wir abgelegt hatten, in den einen Winkel und legte auch die Sättel da nieder. Als Winnetou dies sah, zog er seine Brauen ein ganz klein wenig empor. Das war nach seiner Weise gerade Soviel, als ob er zu mir gesagt hätte: »Warum das? Hegst du etwa Verdacht? Nun, da wollen wir uns freilich vorsehen.«
Der Zuni hatte auch Waffen, nämlich eine Flinte, welche aber nicht viel zu taugen schien, und einen Bogen mit Köcher und Pfeilen. Diese Gegenstände hingen an einem Pflocke, welcher in die Wand geschlagen war. Während wir aßen, hockte er nach Indianerart in unserer
Nähe und schien sich darüber zu freuen, daß es uns so vortrefflich schmeckte. Wir fragten ihn nach dem Wildreichtum der Gegend, und da klagte er über die Gilenno-Apatschen, welche oft herüberkämen und dann alles Wild vertilgten.
»Diese Hunde haben hier nichts zu suchen!« sagte er. »Warum bleiben sie nicht drüben auf dem Gebiete, welches ihnen niemand streitig macht! Ich hasse überhaupt alle Apatschen.«
»Alle! Warum? Man hat doch nie gehört, daß die Zunis Krieg gegen sie geführt haben!«
»Weil wir zu schwach gegen sie sind. Sie nehmen uns weg, was uns gehört, ohne daß wir uns wehren können. Sie sind alle Diebe und Räuber, welche man von der Erde vertilgen sollte!«
»Alle? Es giebt viele wackere und berühmte Männer unter ihnen!«
»Das glaube ich nicht. Mein Bruder mag mir doch einmal einen nennen!«
»Nun zum Beispiel Winnetou!«
»Schweig auch von diesem! Wenn ich euch morgen nach dem Pueblo bringe, werdet ihr von den dortigen Yumaindianern hören, was für ein räudiger Schakal er ist.«
»Ist er denn jemals ein Feind der Yumas gewesen?«
»Stets! Einmal aber hat er sie in so große Verluste gebracht, daß sie es ihm nie vergessen werden. Wehe ihm, wenn er einmal in ihre Hände fiele!«
»Große Verluste? Wie ist das gewesen?«
»Sie hatten eine Hazienda überfallen und kostbaren Raub davongetragen; um diesen hat er sie gebracht. Und dann standen ihre Krieger bei einem alten Bergwerke, in welchem fremde Bleichgesichter arbeiten sollten. An dem
Ertrage hatten auch die Yumas teil; Winnetou aber hat sie auch darum betrogen.«
»Wie ist das möglich? Er ist doch ein einzelner Mann. Wie kann er einem ganzen Stamme solchen Schaden zufügen?«
»Er war nicht allein, sondern es befand sich ein zweiter bei ihm, welcher noch viel, viel schlimmer ist als der Häuptling der Apatschen, ein Bleichgesicht, Old Shatterhand geheißen.«
»Hm, der Westmann! Da besinne ich mich. Wenn ich mich nicht irre, habe ich von dieser Angelegenheit gehört. War es nicht die Hazienda del Arroyo, und das Bergwerk hieß Almaden alto, um welche es sich damals handelte?«
»Hatten denn die Yumas Ursache, die Hazienda zu überfallen, auszurauben und in Brand zu stecken?« »Das - das weiß ich nicht,« antwortete er verlegen.
»Es ist nur die Raublust gewesen; ich weiß es gewiß. Und bei dem Bergwerke handelte es sich um ein noch größeres Verbrechen.«
»Das ist nicht wahr!«
»Doch! Man hatte eine große Anzahl von Bleichgesichtern ins Land gelockt und sperrte sie in das Quecksilberbergwerk ein. In demselben sollten sie als Gefangene ohne Lohn arbeiten, bis ein qualvoller Tod sie von ihren Leiden erlöste.«
»Was ging das Winnetou und Old Shatterhand an?«
»Die armen Menschen waren Landsleute von Old Shatterhand; darum errettete er sie.«
»Und trat dabei als Feind der Yumas auf! Wunderst du dich nun noch darüber, daß sie ihn und Winnetou hassen?«
»Ja, denn wenn ich mich recht erinnere, haben die beiden Männer dann Frieden mit den Yumas geschlossen.«