Nachdem wir den verschobenen Thürvorhang wieder zugezogen hatten, versahen sich auch die andern drei mit ihren Gewehren. Ich setzte mich wieder an das Feuer. Emery und Winnetou folgten meinem Beispiele; Vogel aber sagte in ängstlichem Tone:
»Um des Himmels willen, setzen Sie sich doch nicht wieder dorthin!«
»Warum nicht?« fragte ich.
»Weil man dort von den Kugeln, die durch die Thür kommen, getroffen wird! Die Feinde schleichen sich an die Thür und sehen unter dem Vorhange herein.«
»Das gerade ist's, was wir wollen.«
»Daß sie dann schießen?«
»Dazu kommen sie nicht. Wir sind schneller als sie. Wenn wir uns hinter die Wand versteckten, könnten sie uns nicht sehen und würden also auch nicht zu schießen versuchen; wir kämen also um das Vergnügen, ihnen eine Lehre zu geben. Setzen Sie sich nur getrost mit her! Sie haben nichts zu fürchten. Sie können sich auf unsere Augen verlassen, nur müssen Sie sich hüten, selbst auch die Thür zu beobachten. Die Kerle da draußen würden dies bemerken. Blicken Sie also überall hin, nur nicht nach der Thür!«
»Aber wenn sie nun auf den Gedanken kommen, das Haus zu stürmen?«
»Wie wollen sie das anfangen?«
»Indem sie sich plötzlich zur Thür hereinstürzen.«
»Das werden sie bleiben lassen! Sie wissen genau, daß in diesem Falle alle unsere Gewehre auf sie gerichtet sein würden. Dem Schnellfeuer meines Stutzens entkäme keiner von ihnen. Sie sind auch gar nicht so zahlreich, daß sie sich nicht zu schonen brauchten.«
Er setzte sich nieder, mit dem Rücken nach der Thür gerichtet, zog aber von Zeit zu Zeit ganz unwillkürlich die Schultern in die Höhe; es war ihm jedenfalls ganz so zu Mute, als ob er jeden Augenblick von draußen eine Kugel zu erwarten habe. Wir unterhielten uns mit Absicht laut, um die draußen über unsere Wachsamkeit zu täuschen. Scheinbar uns gar nicht um den Fellvorhang bekümmernd, hatten wir denselben aber dennoch scharf im Auge. Er wurde zuweilen von dem draußen gehenden Winde hin und her bewegt; das machte unsere Beobachtung natürlich schwer.
Da sah ich zwischen seinem untern Rande und dem Erdboden die Mündung eines Gewehres erscheinen; sie wurde höchstens zwei Zoll weit hereingesteckt; da flog aber auch schon die Silberbüchse an Winnetous Wange; sein Schuß krachte und draußen erscholl ein Schrei. Die Gewehrmündung wurde zurückgezogen.
»Der das versucht hat, kommt nicht wieder,« lachte Emery. »Die Kerle sind wirklich Prügel wert! Uns hier fangen zu wollen!«
»Meinen Sie, daß ihnen dies nicht gelingt?« fragte Vogel.
»Keine Rede davon! Wir brauchen uns nur an die Thür zu legen und das Feuer ausgehen zu lassen, daß sie uns nicht sehen können, so putzen wir einen nach dem andern von ihnen weg.«
»Noch besser ist's, wir steigen auf das Dach,« bemerkte ich. »Da haben wir Aussicht nach allen Seiten.«
Winnetou nickte. Die Decke war nicht mehr als fünf Ellen hoch. Man konnte, um die unserigen zu schonen, mit der Flinte des Indianers ein Loch hineinstoßen. Doch mußten wir vorher das Feuer ausgehen lassen, sonst hätte dasselbe zum Loch hinausgeleuchtet und unsere Absicht verraten. Als es nicht mehr brannte, nahm Emery die Flinte von der Wand und begann zu arbeiten. Winnetou sollte ihm helfen, ihn ablösen. Ich
ging zur Thür, um etwaige Ueberraschungen fernzuhalten.
Ich lag auf dem Boden und schob den Kopf langsam zwischen der Mauer und dem Ledervorhange hinaus. Vor der Thür war niemand. Ich blickte nach rechts, an der äußeren Mauer hin - niemand war zu sehen! Nach links - - ah, da kam einer geschlichen, langsam, leise, nach echter Indianerweise. Ich wartete, bis er nur noch drei Fuß von der Thür entfernt war, fuhr dann blitzschnell hinaus, nahm ihn mit der linken Hand bei der Brust, gab ihm mit der Rechten acht, zehn, zwölf schallende Ohrfeigen rechts und links und schleuderte ihn dann weit fort, wo er zu Boden flog. Es war ein Indianer; er hatte sein Gewehr, welches er in der Hand hielt, fallen lassen; ich hob es auf und nahm es mit ins Haus. Der Mann kam gewiß auch nicht sogleich wieder. Hätte es sich nicht um mehr gehandelt, so wäre mir die Ohrfeigenscene höchst spaßhaft erschienen. Uebrigens hatte es aufgehört, zu regnen, und der Himmel begann, sich wieder aufzuklären. Nach kurzer Zeit war in der
Decke ein so großes Loch entstanden, daß wir durchsteigen konnten. Wir drei andern kamen von Emerys Schultern leicht auf das Dach, und der letztere wurde dann heraufgezogen. Natürlich standen wir nicht aufrecht da oben, sondern bewegten uns nur kriechend, sonst wären wir beim Scheine der jetzt wieder sichtbaren Sterne bemerkt worden. Wir verteilten uns. Ich nahm die vordere, Winnetou die hintere, Emery die rechte und Vogel die linke Giebelseite des Hauses.
Als ich mich vor die Kante geschoben hatte und da hinabblickte, sah ich fast gerade unter mir zwei Kerle stehen. Um ihnen nicht lebensgefährlich zu werden, schickte ich ihnen nur zwei Revolverschüsse hinab. Sie schrieen vor Schreck über den unerwarteten Angriff laut auf und rannten eiligst davon. Auf der hintern Seite fiel jetzt ein Schuß aus Winnetous Silberbüchse, und dann ertönte seine sonore Stimme durch die Nacht:
»Fort von den Pferden, sonst trifft der nächste Schuß gerade in den Kopf!«
Da hinten lag nämlich am Hause der eingefriedigte Platz, auf welchem wir unsere Pferde untergebracht hatten. Eben als der Apatsche seine Wache begann, hatte man sie fortschaffen wollen. Auch auf den beiden andern Seiten wurde geschossen. Die Kerle schlichen eben um das ganze Haus herum; nun aber zogen sie sich so weit wie möglich von demselben zurück. Ihre Absicht, sich unser zu bemächtigen, war schmählich mißglückt. Es wagte sich keiner mehr heran, und als es Tag geworden war, ließ sich kein Mensch in der weiten Umgebung sehen.
Wir stiegen wieder hinab. Da lag die Frau noch da, wo sie gestern abend gelegen hatte. Sie schien mit keiner großen Zuneigung an ihrem Manne zu hangen. Winnetou ging zu ihr hin und fragte:
»Warum ist meine rote Schwester nicht hinaus zu ihrem Manne gegangen?«
»Weil sie nichts mehr von ihm wissen will,« antwortete sie. »Sennores, schenkt mir ein wenig Geld, damit ich zu meinem Stamme zurückkehren kann!«
»Du willst nach der Sonora hinab?« fragte ich erstaunt.
»Ja, Sennor.«
»Und wahrscheinlich ganz allein den weiten Weg mitten zwischen so viele fremde Stämme hindurch!« »Ich fürchte die Stämme nicht. Eine arme Squaw hat keinen Feind.«
»Das ist wahr. Kein Krieger wird dir ein Leid thun. Warum aber willst du denn fort von deinem Manne?« »Weil er mich gezwungen hat, unsern Stamm zu verlassen und mit hierher zu gehen. Ich habe die Eltern
und Brüder daheim, und hier sterbe ich vor Sehnsucht langsam hin.» »Ist dein Mann nicht freundlich mit dir?« »Er ist ein böser Mensch. Ich hasse ihn!«
»Gut! Wir werden dir soviel geben, daß du unterwegs überall bezahlen kannst, was du brauchst.«
Ich gab ihr, so viel ich konnte, Emery leistete das Zehnfache; Vogel spendete einige Dollars, und Winnetou langte ein Goldkorn aus seinem Gürtel, um es ihr zu schenken. Da rief sie aus:
»Sennores, ich danke euch! Ihr solltet hier euer Verderben finden und übt doch Barmherzigkeit an mir. Wie freue ich mich, daß der Anschlag gegen euch nicht gelungen ist!«
»Welche Absicht hatte man denn eigentlich?« erkundigte ich mich.
»Ihr solltet hier bei uns schlafen und im Schlafe ergriffen werden.«
»Von wem stammt der Plan?«
»Von den beiden Weißen, welche Vater und Sohn sind. Der Sohn kam zuerst mit der weißen Squaw hier an; er hat euch für tot gehalten; dann kam sein Vater und erzählte, ihr befändet euch hart hinter ihm und hättet seinen Bruder ermordet und ausgeraubt. Da mußten wir auf den Berg steigen, um nach euch auszuschauen und euch einzuladen, in unser Haus zu kommen. Als ihr angekommen waret, mußte ich trotz des Wetters nach dem Flujo blanco reiten, um die beiden Sennores dort zu benachrichtigen. Sie ritten sofort mit mir und nahmen alle ihre Krieger mit.«