vielleicht zwanzig Pferde und einige hundert Schafe weideten. Letztere waren jedenfalls bestimmt, ihr Fleisch zur Nahrung der Bewohner herzugeben. Aus dem Grase erhoben sich hohe Bäume, welche aber, von unserm Standorte aus betrachtet, wie kleine Gewächse erschienen.
»Wieder ein Thalkessel!« sagte Winnetou, der neben mir lag.
Der Apatsche hatte wohl Grund, diese Worte auszusprechen. Ja, wieder einmal so ein Thalkessel! Während unserer Kreuz- und Querzüge hatten solche Kessel wiederholt eine bedeutende Rolle für uns gespielt. Wie oft waren diese Oertlichkeiten für unsere Gegner verhängnisvoll geworden, während wir uns stets gehütet hatten, unsern Aufenthalt in einer derartigen Falle zu nehmen! Und wenn dies einmal nicht zu umgehen gewesen war, so hatten wir es fast immer zu bereuen gehabt.
Und der Kessel, welchen wir jetzt vor uns hatten, konnte denen, welche darin wohnten, zu einem wahren Gefängnisse werden, da es, wie wir deutlich sahen, nur einen einzigen Weg gab, auf dem sie ihn verlassen konnten, nämlich die schmale Felsenenge, von welcher die Squaw gesprochen hatte.
Der Kessel hatte eine beinahe kreisrunde Form, und seine Felsenwände stiegen gerade wie Mauern völlig lotrecht in die Höhe. Es gab da keinen Absatz oder Vorsprung, welcher zu erklimmen war, keinen Riß, in dem man in die Höhe klettern konnte. Das Ganze kam mir vor wie ein riesiger Bärenzwinger, der so gebaut ist, daß die Bewohner unten auf dem Boden bleiben müssen.
Wir lagen dem Eingange schräg gegenüber und sahen nun freilich, wie eng er war. Ein einzelner Reiter hatte eben Platz, hindurchzukommen. Neben dem Eingange, welcher hinaus zum Flujo blanco, zum Flüßchen führte, erhob sich der Bau, den die Jüdin ihr »Schloß« genannt hatte. Und sie hatte gar nicht so unrecht gehabt, dem Baue diese Bezeichnung zu geben.
Das Schloß war ein Pueblo, gerade so in terrassenförmig übereinander liegenden Stockwerken gebaut, wie es früher beschrieben worden ist. Man sah, daß sich in früheren Zeiten eine große Steinmasse vom Felsen losgelöst hatte und in die Tiefe gestürzt war; die Brocken derselben hatte man zum Baue des Pueblo verwendet. Dasselbe lehnte sich mit seiner hintern Seite eng an die Felsenwand und zählte acht sich deutlich von einander unterscheidende Stockwerke, welche ebensoviele Terrassen oder Plattformen bildeten, da jedes höher liegende immer ein Stück hinter dem nächst tiefern zurücktrat. Das Ganze glich einer regelmäßigen vierseitigen Pyramide, welche, senkrecht durchschnitten gedacht, mit der einen Hälfte im Freien lag, während die andere Hälfte in den Felsen hineingebaut zu sein schien. Acht Leitern lagen an, an jedem Stockwerke eine. Wenn auch nur die unterste weggenommen wurde, konnte kein Fremder den Bau ersteigen, der mit seinen übereinander liegenden Felsenstücken den Eindruck einer uneinnehmbaren Zwingburg machte.
Bei den Verhältnissen jener Zeit, in welcher das Pueblo errichtet wurde, hatte es seinen Zweck gewiß vollkommen erfüllt. Es war schon an und für sich uneinnehmbar gewesen, wozu dann noch der Umstand kam, daß es nicht draußen im Freien, sondern hier in der Verborgenheit lag, in die man nur durch den so überaus schmalen Eingang dringen konnte, den zu verteidigen einige wenige Männer genügten. Die Festung war nur durch Ueberrumpelung, nicht einmal durch Aushungern zu nehmen gewesen, denn wenn die Thalsohle gärtnerisch
verwertet gewesen war, so hatte sie an Gemüsen und Früchten gewiß so viel geliefert, wie die Bewohner zum Leben brauchten, und Wasser war auch mehr als genug da; es glänzte uns aus einem ziemlich großen Becken entgegen, welches kreisförmig in die Mitte des Erdgeschosses eingebaut worden war. Wahrscheinlich wurde es von einer unterirdischen Quelle gespeist.
Was uns am meisten interessierte, waren die Menschen, welche wir sahen. Vor dem schmalen Eingange lagerte eine Anzahl von Indianern, welche ihn, mit Gewehren bewaffnet, zu verteidigen hatten. Ihr Anführer - denn dies schien er zu sein - saß über ihnen auf der ersten Plattform des Pueblo, und zwar in schöner Gesellschaft, nämlich Jonathan Meltons und der Jüdin. Der erstere hatte ein Gewehr in der Hand.
»Siehst du, Sennor, daß es so ist, wie ich gesagt habe?« fragte mich die Indianerin. »Die Krieger am Eingange warten auf euch. Und die andern Krieger haben sich draußen am Flusse in Hinterhalt gelegt, um euch durch die Enge hereinzutreiben.«
»Wo ist der Vater des jungen Weißen, welcher da unten sitzt?«
»Draußen bei dem Hinterhalte. Er macht dort und sein Sohn hier den Anführer. Sie glauben, daß sie euch ganz gewiß fangen werden.«
Da meinte der Englishman:
»Wie schön könnten wir den Jonathan hier wegputzen! Soll ich ihm eine Kugel hinunterschicken?«
»Ja nicht!« antwortete ich. »Erstens wollen wir ihn doch lebendig haben und zweitens würdest du ihn wohl kaum treffen.«
»Oho! Meinst du, daß ich nicht schießen kann!«
»Pshaw! Du weißt, daß ich deine Fertigkeit kenne; aber ein Schuß von hier oben herab in die Tiefe ist allemal eine höchst unsichere Sache. Auch ich wage es nicht zu behaupten, daß ich ihn treffen würde.«
»Well! Und drittens?«
»Drittens würden wir durch den Schuß verraten, wo wir uns befinden, und uns damit den größten Schaden thun. Es könnte das ganze Gelingen unserer Absichten dadurch vollständig in Frage gestellt werden.«
»Gut, also nicht schießen. Aber was denn thun? Wollen wir hier hinabspringen, um den lieben Jonathan beim Schopfe zu nehmen?«
»Hinab? Vielleicht ja, wenn auch nicht springen. Schau hinüber zum Pueblo! Wie weit ist es wohl von hier oben, also von der Kante der Felswand, bis hinunter auf seine oberste Plattform?«
»Ich schätze wenigstens vierzig Ellen.«
»So weit ist es allerdings.«
»Willst du etwa eine so lange Leiter bauen?« lächelte er.
»Wenn du Witze machen willst, so sieh zu, daß sie geistreicher ausfallen!«
»Hm, ja, die Sache ist freilich ernst. In das Pueblo müssen wir unbedingt, und da es unmöglich ist, da vorn durch den Eingang hereinzukommen, so müssen wir freilich hier hinunter.«
»Von einer Unmöglichkeit will ich nicht gerade sprechen. Ich habe schon der Squaw erklärt, auf welche Weise wir uns den Zugang erzwingen könnten. Aber das Erzwingen setzt einen offenen Angriff voraus, und wenn wir auch wirklich den Thalkessel da unten unverletzt erreichten, so könnte man uns von den Terrassen des Pueblo aus ganz gemächlich wegputzen. Nein, ich meine, daß es auch möglich ist uns hereinzuschleichen, natürlich des Nachts. Da müßten wir aber die feindlichen Wachen leise überwältigen und wohl gar erstechen, und das möchte ich vermeiden. Es bleibt uns also doch nichts übrig, als von hier oben aus hinunter zu kommen.«
»Wohl mit Hilfe unserer Lassos?«
»Ja.«
»Du, das ist gefährlich, weil wir die Lassos gekauft haben. Hätten wir sie selbst gemacht, so wäre uns ihre Festigkeit garantiert; aber an gekauften Riemen sich in eine solche
Tiefe hinabzulassen, ist mehr als das Leben gewagt; man kann fast sicher sein, daß sie reißen.« »Sie werden halten, denn sie sind mit Fett getränkt und dann geräuchert worden.«
»Dennoch möchte ich mich ihnen nicht anvertrauen. Denkst du auch daran, daß sie bei der Tiefe ins Schwingen kommen müssen?«
»Ja. Ich werde dein Mißtrauen dadurch zerstreuen, daß ich mich zuerst herablasse; ich ziehe dann die Lassos unten straff an, so daß ihr herunterklettern könnt, ohne ins Schwingen zu geraten.«
»Well! Versuche es, und wenn es gelingt, will ich gern nachkommen. Doch frage vorher die Squaw, ob -«