»Nein, nein!« unterbrach ich ihn. »Die Frau darf nichts davon wissen, daß wir hier herab wollen. Ich glaube zwar, daß sie es ehrlich mit uns meint, aber es ist auf alle Fälle besser, wenn sie nichts erfährt. Sie kann, selbst wenn sie entschlossen ist, nichts zu verraten, sich doch ihrem Manne oder einem andern Yuma gegenüber verschnappen.«
»Dann ist es gut, daß wir jetzt deutsch gesprochen haben. Wo mag der Apatsche hingegangen sein?«
Winnetou war nämlich nach rechts hin zwischen den
Büschen verschwunden. Ich ahnte seine Absicht und antwortete also:
»Es ist wirklich sonderbar, mit welcher Uebereinstimmung Winnetou und ich bei solchen Angelegenheiten zu denken pflegen. Ich bin überzeugt, er ist da hinüber, um, gerade über dem Pueblo liegend, hinabzuschauen und dabei zu überlegen, wie wir hinunterkommen könnten.«
Ich hatte das Richtige getroffen. Winnetou kehrte nach kurzer Zeit zurück und sagte:
»Es giebt nur einen Weg, der uns ohne Blutvergießen zum Ziele führt. Wir müssen uns auf die Plattform hinunterlassen.«
Er bediente sich bei diesen Worten der Siouxsprache aus demselben Grunde, der uns veranlaßt hatte, deutsch zu sprechen.
»Meinst du, daß unsere Lassos dazu ausreichen?« fragte ich ihn. »Ja.«
»Und daß sie nicht zerreißen?«
»Sie werden festhalten. Unsere drei Lassos sind so lang, daß sie, wenn wir sie zusammenbinden, bis hinunter auf die oberste Plattform des Pueblo reichen werden.«
»Wie aber befestigen wir sie oben?«
»Es steht ein Baum hart am Rande, dessen Wurzeln so fest sind, daß er uns halten wird. Hoffentlich stimmt mein Bruder meinem Vorschlage bei, heute abend hinunter zu klettern?« »Ja; ich stand ja im Begriffe dir denselben Vorschlag zu machen. Was thun wir aber bis zu der Zeit, in welcher wir ihn ausführen können?«
»Kann sich mein Bruder die Frage nicht selbst beantworten?«
»Vielleicht. Es gilt vor allen Dingen dafür zu sorgen, daß die Feinde nicht erraten, war wir zu thun beabsichtigen.«
Winnetou nickte mir einverstanden zu und sagte:
»Ja, wir müssen ihre Aufmerksamkeit von hier oben ablenken. Wie denkt mein Bruder, daß das am besten geschehen kann?«
»Wir müssen sie zu der Ansicht bringen, daß wir sie unten am Flusse angreifen werden.«
»Richtig! Sie müssen glauben, daß wir uns durch die Enge an das Pueblo schleichen wollen. Um diese Absicht zu erreichen, müssen wir hinab zu ihnen.«
»Jetzt schon?« fragte Emery.
»Ja,« antwortete der Apatsche. »Sie sollen und müssen uns doch sehen, oder wenigstens müßten sie bemerken, daß wir uns da unten aufhalten.«
»Das ist aber viel zu gefährlich. Wenn wir uns ihnen zeigen, werden sie uns einfach wegschießen.«
»Das können sie nur dann, wenn wir ihnen so nahe kämen, daß uns ihre Kugeln erreichen könnten. Das werden wir aber nicht thun.«
»Es liegt ja ein Teil von ihnen im Hinterhalte; diese Leute müssen uns kommen sehen, während wir nicht wissen, wo sie stecken; wir können ihnen also geradezu in die Hände laufen.«
»Nein, denn wir haben Augen und auch Ohren. Und vielleicht weiß die Frau, wo der Hinterhalt zu suchen ist.«
Als wir uns darauf bei ihr erkundigten, antwortete sie:
»Wenn ihr wieder mit nach unserm Hause zurückkehrt und der Fährte folgt, welche da gemacht worden ist, damit ihr sie leichter sehen Sollt, so kommt ihr an einen kleinen Bach, welcher sich in den Flujo blanco ergießt. Dort wollten sie sich trennen. Die eine Abteilung wollte am Flujo abwärts nach dem Pueblo gehen, und die andere sollte dem Bache soweit folgen, daß sie von euch nicht gesehen werden kann; sie liegt zwischen Büschen versteckt.«
»Und wartet wahrscheinlich jetzt mit Schmerzen auf uns,« fügte ich hinzu; »denn die erste Abteilung ist am Pueblo angekommen; wir sehen die Krieger da unten liegen. Wollen wir die Herrschaften noch länger auf uns warten lassen?«
»Nein, wir reiten jetzt hinunter nach dem Flusse,« meinte Winnetou. Und sich zu der Frau wendend, fuhr er fort:
»Meine Schwester wird es ehrlich mit uns meinen?«
»Ja,« antwortete sie einfach und mit einem Gesicht, dem man es ansah, daß sie die Wahrheit sagte.
»Da sollst du belohnt werden. Wenn wir die beiden weißen Männer durch List und ohne Kampf in die Hände bekommen, so geben wir dir noch mehr Gold, als du schon erhalten hast. Werden wir aber durch dich verraten, so wird die erste Kugel, welche wir abschießen, dich treffen. Das glaube mir! Wir belohnen gern; wir wissen aber auch zu bestrafen!«
»Ich will heimlich fort von hier, aber den Meinen nicht schaden. Ihr wollt sie nicht töten, sondern schonen, und ihr gebt mir Gold, daß ich leichter nach der Sonora kommen kann; darum habe ich euch freiwillig gesagt, was ihr wissen wolltet, und werde euch nicht verraten.«
»So mag meine Schwester jetzt nach ihrem Hause zurückkehren.«
Sie wollte der Aufforderung folgen, aber wir wußten doch noch etwas nicht, was von großer Wichtigkeit war; selbst der sonst so umsichtige Winnetou hatte vergessen, sich darnach zu erkundigen; darum fragte ich sie:
»Du kennst wohl die Räume des Pueblo genau?« »Alle.«
»Weißt du, wo die weiße Squaw wohnt, welche mit dem Wagen angekommen ist?« »In der ersten Etage des Pueblo.« »Wo ist der Eingang zu ihr?«
»Auf der zweiten Terrasse von unten. Es ist ein Loch, durch welches eine Leiter hinunterführt. Das Loch befindet sich in der Mitte der Plattform.«
»Also in der ersten Etage. Da wohnen die Indianer wohl unter ihr in dem Erdgeschosse?« »Nein,«
»Zu was wird dasselbe benutzt?«
»Zur Aufbewahrung der Vorräte, des Maises und der andern Früchte und Gemüse, die im Thale erbaut werden. Auch ist der Brunnen dort.«
»Ich sehe ihn. Es ist eine Cisterne?«
»Nein; das Wasser kommt vom Flusse hereingelaufen.«
»So steht die kleine Wasserfläche, welche wir von hier aus sehen, also mit dem Flujo blanco in Verbindung?«
»Ja. Das Wasser versiecht nie, weil der Fluß nie ganz austrocknet.« »Wo wohnen denn nun die Deinen, die Yumaindianer?« Art den oberen Etagen.«
»Und weißt du vielleicht, wo sich die beiden Weißen aufhalten, der Vater und der Sohn, die wir haben
wollen?«
»Der Sohn wohnt in der ersten Etage.« »Und der Vater? Wo wohnt der?« »In der Etage über seinem Sohne.«
»Wie kann die weiße Squaw sich hier in der Wildnis wohl fühlen? Es muß ihr doch alles fehlen, was eine Weiße nötig hat, um zufrieden zu sein!«
»Es fehlt ihr nichts, denn der Häuptling hat alles, was sie wünschte, damals angeschafft. Es war sehr schwer, die vielen Sachen durch die Wildnis herbeizuschaffen; aber sie hatte ihn so verblendet, daß ihm keine Anstrengung für sie zu groß erschien. Unsere Männer waren immer nach Prescott oder Santa Fe unterwegs, um zu holen, was sie sich bestellte.«
»Besaß denn euer Häuptling den Reichtum, welcher nötig war, so außerordentliche Wünsche zu erfüllen?«
»Darnach darfst du mich nicht fragen, denn ich kann nicht darüber sprechen. Kein roter Mann und keine rote Squaw wird sagen, wo das Gold und Silber liegt, welches die Weißen so gern haben wollen.«
»Gut! Ich weiß nun alles, was ich wissen wollte. Du kannst heimkehren. Aber vergiß ja nicht, was Winnetou dir gesagt hat. Bist du unehrlich, so bekommst du eine Kugel; bist du aber treu, so wirst du noch mehr Gold von uns erhalten.«
»Wann, Sennor?«
»Sobald wir die beiden Weißen in unsern Händen haben.« »Und wo?«
»In deinem Hause. Höchst wahrscheinlich kommen wir daran vorüber, wenn wir diese Gegend verlassen.« »So bitte ich euch, es ja niemand sehen zu lassen, wenn ihr mir etwas gebt.«