»Keine Sorge! Wir werden dich für den Nutzen, den wir von dir haben, doch nicht in Schaden bringen?«
Sie stieg wieder auf ihr ungesatteltes Pferd und ritt davon. Wir setzten uns auch auf. Sie verschwand nach Nordosten, denn dies war die Richtung, in welcher ihr Haus lag. Wenn man von dort aus nach dem Flujo blanco wollte, mußte man sich gerade westlich wenden; wir mußten also, um von dem Punkte, an welchem wir uns befanden, dorthin zu gelangen, nordwestlich reiten. Wie weit, das war nicht schwer zu berechnen, da wir wußten, wieviel Zeit wir gebraucht hatten, um hierher zu kommen. Von dem Hause bis an den Flujo waren zwei Reitstunden; wir brauchten jedenfalls kaum die Hälfte der Zeit, zumal wir unsere Pferde schnell laufen ließen.
Nach drei Viertelstunden erreichten wir die Fährte, welche die Yumas für uns so deutlich zurückgelassen hatten, und alle Anzeichen verrieten, daß der Fluß jetzt nahe war. Da erkundigte sich Emery bei dem Apatschen:
»Was habt ihr denn nun eigentlich vor? Ihr wollt euch den Yumas zeigen. Aber wo und in welcher Weise das geschehen Soll, davon habe ich noch kein Wort gehört.«
Mein Bruder hat es noch nicht gehört, weil er nicht darnach gefragt hat. Wir werden den Hinterhalt aufsuchen, in welchem die zweite Abteilung steckt und auf uns lauert.«
Offen aufsuchen?« »Nein, heimlich.«
»Aber ich denke, sie sollen euch sehen; da dürft ihr doch nicht heimlich vorgehen!«
»Ja, sie sollen uns sehen, aber erst dann, wenn wir bei ihnen sind.«
»Ah! Also angeschlichen! Da können wir aber unmöglich die Pferde mitnehmen!«
»Nein. Wir lassen sie zurück. Unser Bruder Vogel wird bei ihnen bleiben; er könnte ja überhaupt nicht mit uns gehen, weil er das Anschleichen nicht versteht und uns nur schaden würde.«
»So müssen wir vor allen Dingen ein gutes Versteck für ihn und die Pferde suchen, damit er uns nicht etwa gar samt ihnen abhanden kommt.«
Ein solcher Ort war bald gefunden, eine weit ausgestreckte Gruppe von Büschen, welche wir rechts von uns erblickten. Dorthin ritten wir, stiegen ab, versteckten da unsere Pferde und gaben Vogel alle Anweisungen, welche wir unter den gegenwärtigen Verhältnissen für nötig hielten. Er sah es gar nicht gern, daß wie ihn nicht mitnahmen, mußte aber doch zugeben, daß er zu dem, was wir vor hatten, nicht das nötige Geschick besaß und uns wenigstens keinen Vorteil bringen konnte.
Als wir ihn in guter Sicherheit wußten, kehrten wir nach der Spur der Yumas zurück und folgten ihr weiter. Das geschah von jetzt an so vorsichtig wir möglich, da anzunehmen war, daß sie uns, weil wir nicht gekommen waren, aus lauter Ungeduld einen Kundschafter entgegengeschickt hatten. Wir nahmen uns jeden einzelnen Baum oder Busch zur Deckung und verließen ihn nicht eher, als bis wir uns überzeugt hatten, daß sich kein Feind vor uns befand.
Auf diese Weise kamen wir nach einiger Zeit in die Nähe des tiefen Felsenthales, welches der Flujo in die Hochebene eingeschnitten hatte. Das Thal bildete einen Canon, auf welchen wir uns senkrecht zubewegten; das heißt, die Linie, in welcher er verlief, bildete mit derjenigen, der wir folgten, zwei rechte Winkel.
Plötzlich senkte sich das Terrain abwärts. Es war wie eine Art schmaler Hohlweg, welcher hinunter zum Flusse führte. Wir stiegen ihn nicht hinab, denn Winnetou, der an alles dachte, sagte:
»Ehe wir dem hohlen Wege folgen, müssen wir erst sehen, wohin er führt. Gehen wir also seitwärts von ihm weiter, bis wir den Rand des Canons erreichen.«
Das geschah. Bald kamen wir auf der hohen Felsenkante an, von der aus wir hinab zum Flusse blicken konnten. Wir sahen die Stelle, an welcher der Hohlweg auf ihn mündete. Der Stelle gegenüber am andern Ufer befand sich die Mündung eines Baches, jedenfalls desselben, von welchem die Squaw gesprochen hatte. Er kam zwischen den Felsen herausgeflossen und ließ zwischen diesen und sich so viel Platz, daß man längs seiner Ufer gehen und auch reiten konnte. Emery deutete in diese Richtung und sagte:
»Also da drin steckt der Hinterhalt! Wie wollen wir hinankommen, ohne bemerkt zu werden? Wenn wir am Bache aufwärts gehen, müssen uns die Kerle kommen sehen!«
»Müssen wir daran aufwärts gehen?« fragte ich ihn. »Es muß doch einen andern Weg geben, und wenn er nicht hier zu finden ist, so werden wir ihn uns anderswo suchen.«
»Ah! Du willst den Roten von hinten kommen?«
»Ja. Sie erwarten, daß wir ihnen bachaufwärts folgen, nicht aber, daß wir von drüben her bachabwärts kommen; wir werden sie also wahrscheinlich überrumpeln.«
»Dann müssen wir aber über den Fluß hinüber, über den Canon, über die Felsen, ohne daß wir fliegen können!«
»Können wir nicht fliegen, so steigen wir. Kommt jetzt zum Hohlwege! Wir kennen nun das Terrain, und ich denke, daß wir unsern Zweck erreichen werden.«
Wir gingen also die kurze Strecke bis zum Hohlwege zurück und stiegen denselben hinab, natürlich mit der Vorsicht, die in solchen Verhältnissen geboten war. Unten am Flusse angekommen, sahen wir, daß die Spur der Yumas sich teilte; die eine Hälfte war aufwärts geritten, die andere über den Fluß und den Bach hinaufgegangen. Das hätten wir gesehen, auch wenn wir nicht von der
Squaw unterrichtet gewesen wären. Wie die beiden Meltons uns eine solche Blindheit hatten zutrauen können, war mir geradezu unbegreiflich. Jedem Menschen wäre die Spur aufgefallen, und nun erst einem Winnetou!
Auch wir gingen über den Fluß, folgten aber nicht etwa dem Bache, weil da oben die Yumas auf uns warteten, sondern schritten dem Flujo blanco entlang abwärts weiter, bis wir eine passable Stelle des Ufers fanden, wo wir hinaufstiegen. Nun standen wir auf der Hochebene jenseits des Flusses und gingen auf derselben weiter, schräg links nach dem tiefen Bette des Baches zu, wo wir auch bald eine Stelle fanden, wo wir hinuntersteigen konnten.
Die Yumas erwarteten uns von links her, am Bache aufwärts kommend; wir aber befanden uns nun rechts von ihnen und schlichen uns abwärts auf sie zu. Das geschah natürlich mit noch viel größerer Vorsicht, als wir bisher angewendet hatten. Emery schien noch immer nicht im klaren über die Absicht zu sein, die Winnetou und ich verfolgten. Als wir einmal an einer gutgedeckten Stelle anhielten, fragte er mich: »War es denn eigentlich notwendig, diese Anstrengung zu machen, Charley?«
»Ja,« antwortete ich. »Die Yumas erwarten, daß wir kommen. Kämen wir nicht, so würden sie uns suchen; sie fänden unsere Fährte, die nach dem Pueblo führt, und wenn es ihnen auch wahrscheinlich nicht gelänge, uns zu überfallen, so wäre unsere Absicht doch verraten und mit Sicherheit darauf zu rechnen, daß man uns empfangen würde, wenn wir uns abends an den Lassos in den Thalkessel hinabließen.«
»Hm, mag so sein; aber wir konnten uns an einem andern Ort verstecken, um den Abend abzuwarten!«
»Hätte nichts gefruchtet, Emery. Wir müssen sie irre machen; sie müssen denken, daß wir durch die Flußenge nach dem Pueblo wollen. Und dann, denke doch, wie hübsch wir sie täuschen! Sie schauen und horchen den Bach hinunter, weil sie denken, daß wir am Flusse aufwärts gehen oder, wenn wir die zweite Fährte entdecken sollten, am Bache hinauf kommen; in beiden Fällen würden wir ihnen gerade in die Arme laufen. Nun aber befinden wir uns über ihnen und kommen von einer Seite, von der sie uns nicht erwarten.«
»Nun, und dann, was haben wir davon?«
»Was wir davon haben?« fragte ich erstaunt. »Welche Frage?«