»Du wunderst dich über sie? Du willst den Roten doch nichts thun! Ja, wenn wir sie erschießen wollten oder dürften, so hätte es doch einen Zweck, hier in der Hitze herumzuklettern und unter Lebensgefahr herumzuschleichen. Wenn ihnen aber nichts geschehen soll, so können wir sie nur erschrecken und müssen sie dann laufen lassen.« »Ja, sie, aber einen andern nicht, den alten Melton. Den werden wir fassen, falls es möglich ist; dann haben wir heut abend nur noch seinen Sohn zu ergreifen. Bist du nun zufriedengestellt?«
»Wenn es so ist, ja. Daß es dem alten Melton gelte, davon habt ihr nichts gesagt.«
»Weil es sich von selbst verstand. Nun aber weiter, sonst werden die Kerle ungeduldig und sind imstande, ihr Versteck zu verlassen.«
Wir schlichen weiter, jetzt nicht mehr gehend, sondern auf dem Boden kriechend; jeder Augenblick konnte uns die Gesuchten zeigen.
»Uff!« hörte ich da auf einmal den Apatschen im Tone des Erstaunens sagen.
Er war uns einige Schritte voran, hatte sich erhoben, stand an einem dichten Strauche und deutete daran vorüber nach dem lichten Platze, der vor ihm lag. Wir huschten zu ihm hin und wurden von gleicher Verwunderung oder vielmehr Enttäuschung ergriffen. Das Gras des Platzes war niedergetreten; hier hatten die Yumas gesteckt, aber keiner von ihnen war zu sehen.
»Fort!« meinte Winnetou.
»Ja, wenn es nämlich keine Finte ist,« warnte ich. »Es ist möglich, daß sie unser Kommen bemerkt und sich nur zurückgezogen haben, um uns mit ihren Kugeln zu empfangen.«
»Wollen sehen,« meinte der Apatsche. »Meine Brüder mögen hier ein wenig warten.«
Er ging eine Strecke zurück, sprang dann über den Bach und kam dann auf der andern Seite wieder herangekrochen. Dort gab es so viel Gesträuch und Gestrüpp, daß die Yumas, falls sie vor uns steckten, ihn nicht sehen konnten. Er kam wie eine Schlange drüben vorüber und verschwand dann auf ungefähr zehn Minuten. Dann kehrte er zurück. Er ging dabei aufrecht, ein Zeichen, daß er keinen Feind gesehen hatte.
»Fort,« rief er uns schon von weitem zu. »Ueber den Fluß. Ich konnte ihre Spuren sehen, bis sie im Wasser verschwanden.«
»Fatal!« zankte da Emery. »Sie sind jedenfalls hinauf nach dem Pueblo, weil ihnen die Geduld ausgegangen ist. Mit der Ergreifung des alten Melton ist es also nichts.«
»Wenn es nur das wäre, wollte ich es loben!« meinte ich.
»Nur das? Was weiter könnte den geschehen sein?«
»Sie sind über den Fluß; wenn sie da unsere Fährte sehen, so ---«
»Alle Wetter, ja! Dann sind sie derselben nach. Sie werden also am Ufer abwärts gehen, das Ufer ersteigen und, gerade so wie wir, nach dem Bache kommen. Wir brauchen also nur hier sitzen zu bleiben und sie in Empfang zu nehmen! Glücklicher konnte man sich das ja gar nicht lenken!«
»Ich bin nicht so froh wie du. Ja, wenn sie unsere Spur gesehen haben, so sind sie ihr gewiß gefolgt; aber es fragt sich nur, wie! Wenn sie rückwärts gegangen, woher wir gekommen sind, so müssen sie Vogel und unsere Pferde finden.«
»Das wäre das größte Pech, welches wir haben könnten!« »Mehr als Pech! Wir müssen schnell weiter, um zu erfahren, wohin sie sich gewendet haben.«
Wir eilten den Bach hinab und an den Fluß. Schnell ging es durch das seichte Wasser, und da sähen wir denn auf dem Boden, da wo der Hohlweg in den Fluß mündete, viel mehr Spuren, als wir vorhin gesehen hatten. Ich betrachtete sie, konnte aber nicht klug werden; Emery ging es ebenso, und auch Winnetou schüttelte den Kopf. Er betrachtete die Eindrücke, maß sie mit den Fingern aus, schüttelte wieder den Kopf und sagte endlich:
»Vielleicht sind die Yumas schon wieder zurück. Meine Brüder mögen mir schnell zu unseren Pferden folgen!«
Wir rannten den Hohlweg hinauf. Oben angekommen, wo es Gras gab, sahen wir zu unserem Schrecken allerdings, daß die Yumas hier gewesen waren; sie hatten unsere Fährte gesehen und waren ihr gefolgt, aber leider nicht vorwärts, wohin wir gegangen, sondern zurück, woher wir gekommen waren. Jetzt gab es einen Dauerlauf nach den Büschen, wo wir Vogel mit unsern Pferden gelassen hatten. Es fiel uns nicht ein, vorsichtig zu sein; es galt unserm Gefährten und unsern Pferden. Wir brachen laut, wie gehetztes Wild, durch die Büsche, die Gewehre in der Hand, um sofort zuschlagen oder schießen zu können.
Jetzt waren wir da - - aber unsere Pferde waren fort und Vogel mit ihnen. Der Rasen war nicht zerstampft, keine Spur eines Kampfes war zu sehen. Unser berühmter Violinvirtuos war ganz regelrecht überrumpelt worden. Die Spuren gingen von hier aus in einem Bogen zurück nach dem Hohlwege. Wir so erfahrenen, wir klugen, wir überklugen Menschen hatten eine ganz armselige, eine ganz beschämende Schlappe erhalten.
Emery hätte vor Wut platzen mögen; er fuhr uns an:
»Da steht ihr nun und starrt einander an! Wo ist denn der alte Melton, den ihr fangen wolltet? Wäret ihr mir gefolgt, so ständen wir nicht da wie Schuljungen, die Prügel bekommen haben!«
»Hat mein Bruder Emery noch keinen Fehler gemacht?« fragte Winnetou in seiner ruhigen Weise.
»Genug, genug!« antwortete der Englishmann in possierlicher Aufrichtigkeit. »Aber wir dürfen uns hier nicht aufhalten; wir müssen fort; wir müssen ihn befreien; kommt also rasch, kommt!«
Er rannte fort. Als er aber sah, daß wir ihm nur langsam folgten, blieb er stehen und rief uns zu:
»So kommt doch nur, kommt! Es ist keine Zeit zu verlieren!«
»Wohin denn?« fragte ich. »Nach dem Pueblo?«
Nach dem - - ah, du meinst, daß sie ihn dorthin geschleppt haben? Dann geht es freilich nicht so schnell, wie ich dachte!«
»Gewiß können wir nicht jetzt, am hellen Tage, hin und die Festung erstürmen. Wir würden uns doch nur die Köpfe einrennen.«
»Was aber thun wir bis zur Nacht?«
»Warten - weiter nichts.«
»So kommt! Wir wollen wieder nach dem Rande über dem Pueblo, wo wir heut abend hinab wollen. Von dort aus können wir sehen, was sie mit unsern Pferden und mit Vogel machen!« »Und wenn die Yumas nach uns suchen, finden sie auch diese Spur, kommen uns nach und vereiteln unser Rettungswerk! Dann bekommen wir nicht nur die beiden Meltons nicht, sondern auch Vogel ist verloren -von unseren Pferden gar nicht zu reden.«
»Aber wo wollen wir sonst die lange Zeit zubringen?!«
»Ich werde es euch zeigen,« sagte Winnetou. »Meine Brüder mögen mir folgen!«
Er schritt voran, nach dem Hohlwege zu, und setzte sich, als er bei demselben angekommen war, hinter den Büschen nieder.
»Ist es meinen Brüdern so recht, hier zu sitzen?« fragte er.
»Mir nicht!« antwortete Emery mürrisch. »Da sitzen wir den Feinden ja gerade vor der Nase!«
»Das ist doch das einzig richtige,« erklärte ich ihm. »Weil die Yumas ganz bestimmt wieder hier herkommen werden, sobald sie Vogel nach dem Pueblo gebracht haben.«
»Werden sich hüten!«
»Wenigstens werden die Meltons einen oder einige Kundschafter senden, um zu erfahren, wo wir sind und was wir thun.«
»Und wenn die Kerle kommen! Was dann?«
»Wir schicken sie nach dem Pueblo zurück und lassen die Meltons grüßen. Auf diesem Wege erlangen wir die Sicherheit, daß unserm Gefährten kein Leid geschieht.«
»Hm, ja; das will ich gelten lassen. Der arme Teufel befindet sich in einer Gefahr, die gar nicht größer sein kann!«
»So gar groß ist sie nicht! So lange wir noch da sind, braucht er nichts zu fürchten.« »Oho! Denke doch an die Erbschaft!« »Nun? Weiter!«
»Wenn er ihnen das sagt, bringen sie ihn auf der Stelle um!« »Er wird doch nicht so dumm sein, ihnen das zu sagen!«