»Was verlangt Winnetou von uns?«
»Unsere Pferde, den jungen Mann, von dem ich eben sprach, und die beiden Weißen, welche bei der Squaw im Pueblo wohnen.«
»Das ist sehr viel verlangt! Und was bietet uns Winnetou dafür?« »Alles! Das Leben!«
Man sah es dem Yuma an, daß er einen großen Respekt vor Winnetou hatte, dennoch zuckte es ironisch um seine dünnen Lippen, als er hierauf antwortete:
»Wenn man uns das Leben nehmen will, werden wir es auch zu verteidigen wissen. Oder meint der
Häuptling der Apatschen, daß ihn keine Kugel trifft?«
»Ja. Hier bei euch bin ich vor jeder Kugel sicher; ich weiß das so genau, weil ich euch kenne. Also du weißt, was ich verlange: Den Vater und seinen Sohn, die bei euch wohnen; den jungen Weißen, den ihr ergriffen habt, und unsere Pferde.«
»Und was wird geschehen, wenn unsere Krieger nicht in deine Forderungen willigen?«
»Das sage ich nicht; aber ihr werdet es bald erfahren. Jetzt kannst du gehen. Wir bleiben noch hier, bis die Sonne zehn Hände breit vom westlichen Horizonte entfernt ist. Habt ihr dann noch nicht geantwortet, so entscheidet der Tomahawk zwischen uns, und wir kommen in der Dunkelheit am Flusse hinauf, schießen jeden weg, der uns im Wege liegt, dringen in euer Pueblo ein und holen uns alles, was ihr uns verweigert. Dann werden eure Frauen und Kinder ein Heulen und Schreien beginnen über den Tod, der ihre Männer und Väter hinweggerafft hat!«
»Winnetou ist ein großer Krieger; aber die Yumas sind keine Mäuse, welche furchtsam aus ihren Löchern fliehen, wenn sie den Feind kommen hören!«
»Ihr werdet ihn gar nicht hören. Er wird mitten unter euch sein, ehe ihr es denkt.« »So haben wir unsere Messer, sie ihm ins Herz zu stoßen!«
»Das könnt ihr nicht, weil ihr ihn gar nicht sehen werdet. Mein Bruder mag jetzt gehen und in sein Pueblo zurückkehren, um uns Antwort zu bringen. Je eher wir dieselbe bekommen, desto besser wird es für die Yumas sein.«
»Darf ich mein Gewehr mitnehmen?«
»Nein. Ein Gefangener bekommt seine Waffen erst dann, wenn Friede geschlossen ist, nicht eher.«
Der Yuma stand auf und verschwand stolzen Schrittes und erhobenen Hauptes im Hohlwege. Sein Stolz ließ nicht zu, uns merken zu lassen, wie froh er war, uns so heiler Haut entkommen zu sein. Als er fort war, fragte Emery:
»Ist mein Bruder Winnetou vielleicht der Ansicht, daß die Yumas uns aus Angst die drei Personen und unsere Pferde ausantworten werden?«
»Nein,« antwortete der Apatsche; »aber Winnetou weiß genau, wie es nun kommen wird.« »Ich bin wirklich neugierig, dies zu hören!«
»Der Yumakrieger ist ausgesandt worden, zu erkunden, wo wir uns befinden, aber nicht etwa, weil man uns angreifen will, denn nun, da unser Gefährte gefangen worden ist, weiß man, daß wir doppelt vorsichtig sein werden. Er kehrt jetzt zurück und erzählt den Meltons, wo er uns getroffen hat, daß wir ihn überwältigt und was ich ihm alles aufgetragen habe. Was von mir verlangt worden ist, werden wir nicht bekommen, sondern man wird uns anderes anbieten.«
»Was?«
»Den Gefangenen und unsere Pferde. Außerdem wird man dem ersteren einen Teil der Erbschaft versprechen und dafür verlangen, daß wir uns entfernen und nie wieder etwas gegen die beiden Meltons vornehmen. Meine Brüder glauben nicht, was ich sage? Sie werden bald erfahren, daß ich recht habe, daß
ich mich nicht irre. Wir werden nicht lange zu warten haben, bis eine Botin kommt.« »Eine Botin?« fragte Emery erstaunt.
»Ja. Die Meltons werden sich hüten, selber zu kommen, und was sie uns zu sagen haben, das können sie keinem Yuma anvertrauen; da giebt es nur eine Person, welche sie senden können, und das ist die weiße Squaw, von der sie wohl auch glauben, daß wir uns von ihrem schönen Gesicht betrügen lassen werden.«
Ich hatte alle Achtung vor dem Scharfsinne des Apatschen; wie oft war ich von der Untrüglichkeit seines Instinktes förmlich betroffen worden; jetzt aber war ich doch der Ansicht, daß er zu viel behaupte, gab aber dem Gedanken keine Worte. Er schien zu ahnen, was ich dachte, denn er sagte zwar auch nichts, aber sein Auge ruhte mit jenem, ich möchte sagen, überlegen lächelnden Ausdrucke auf mir, den ich immer an ihm beobachtet hatte, wenn er seiner Sache sicher, ich aber anderer Meinung gewesen war und sich seine Behauptung dann doch bewahrheitet hatte.
Wir warteten wohl über eine Stunde lang. Wir lagerten jetzt so, daß wir alle drei in den Hohlweg blicken konnten. Da sahen wir einen Roten kommen; es war der Yuma, mit welchem wir vorhin gesprochen hatten.
»Nun, Winnetou, ist's etwa die weiße Squaw?« fragte Emery.
»Noch nicht,« antwortete der Gefragte in gleichmütigem Tone.
»Es wäre auch wenigstens sonderbar, wenn sie uns ein Weib als Unterhändler senden wollten; es war das eine Unglaublickeit.«
»Mein Bruder wird wohl noch manches als Wahrheit erkennen müssen, was er vorher für unglaublich gehalten hat. Hören wir, was der Mann uns zu sagen hat!«
Der Yuma kam langsam zu uns heran, setzte sich zu uns, als ob sich das von selbst verstehe und dabei für ihn keine Gefahr vorhanden sei, und wartete, bis wir ihn anreden würden. Winnetou war zu stolz, das zu thun; mir fiel es auch nicht ein, das erste Wort zu sagen, und Emery schien wohl Lust dazu zu haben, weil er neugierig war, ich bat ihn aber durch einen Blick, zu schweigen. So war also der Yuma doch gezwungen, das Wort zu ergreifen. Er that dies, indem er fragte:
»Meine Brüder haben wohl nicht gedacht, daß ich so schnell zurückkehren werde?«
»Wir haben gar nicht mehr an dich gedacht,« antwortete Winnetou. »Ob du wiederkommen würdest oder nicht, das war wohl für euch von großer Wichtigkeit, uns aber konnte es sehr gleichgültig sein.«
»Ich habe deine Botschaft ausgerichtet.«
Er glaubte, es werde nun eine neugierige Frage kommen, da dieselbe aber ausblieb, fügte er hinzu: »Ich habe sie den beiden Männern gesagt, welche bei der weißen Squaw wohnen.« »Und nicht den Yumakriegern?« entfuhr es dem Englishman.
»Auch ihnen; es haben sie also alle gehört. Der Vater dessen, welcher der Mann der weißen Squaw geworden ist, hat mich zu euch gesandt, um euch die Antwort zu sagen.«
»Und die lautet?« »Die weiße Squaw soll zu euch gehen, um mit euch zu sprechen.«
Ueber Winnetous Gesicht ging ein leises, aber siegbewußtes Lächeln; der Englishman aber fuhr zornig auf:
»Die weiße Squaw? Meinst du, daß wir mit Weibern zu verhandeln pflegen?«
»Der Mann, der mich geschickt hat, war der Ansicht, daß ihr gern mit ihr sprechen würdet.«
»Warum ist er nicht selbst gekommen?«
»Weil er keine Zeit dazu hat.«
»So mag er seinen Sohn schicken!«
»Auch dieser wird nicht kommen. Sie denken, daß ihr sie nicht wieder fortlassen würdet.«
»Könnte möglich sein! Hätten auch alle Veranlassung dazu!«
Dies hatte Emery in seinem grimmigsten Tone gesagt; da aber meinte Winnetou:
»Wenn ein Unterhändler zu uns kommt, so halten wir ihn nicht zurück, wenn er wieder gehen will, er mag sein, wer er will. Der Häuptling der Apatschen ist nicht gewohnt, mit einem Weibe zu verhandeln; damit aber die Krieger der Yumas erfahren mögen, daß wir so freundlich wie möglich mit ihnen sein wollen, gebe ich die Erlaubnis, daß die Frau kommen darf. Geh also nach dem Pueblo und sage es ihr!«