Ben Bova
Saturn
Es gibt ein paar Fragen in der Astronomie, die uns… [eher] wegen ihrer Eigenart beschäftigen… als wegen des unmittelbaren Vorteils, den ihre Beantwortung für die Menschheit hätte… Ich bin mir keines praktischen Nutzens bewusst, den die Saturn-Ringe je gehabt hätten… Wenn wir die Ringe jedoch vom rein wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachten, verwandeln sie sich in die erstaunlichsten aller Himmelskörper… Wenn wir jedoch mit eigenen Augen sehen, wie dieser große Bogen scheinbar völlig losgelöst vom Planeten um dessen Äquator sich dreht, lässt dieser Anblick uns so schnell nicht wieder los.
Am Beginn des neuen Jahrhunderts… kommen wir vielleicht zur Besinnung, bevor wir den Planeten ruinieren. Es wird Zeit, eine Bestandsaufnahme der Erde zu machen und zu ermitteln, wessen es bedarf, um allen Menschen bis in die entfernte Zukunft ein würdiges und nachhaltiges Leben zu ermöglichen… Um jedem Menschen auf der Welt den heutigen Lebensstandard der USA zu ermöglichen, wären indes [die Ressourcen von] vier weitere[n] Planeten Erde erforderlich.
Wieder einmal für Barbara — und für Dr. Jerry Pournelle, einen Kollegen und Freund, der den Begriff ›Hirten-Monde‹ geprägt hat; die verdiente Würdigung ist ihm leider versagt geblieben.
Danksagung
Mein Dank gilt all den Freunden und Kollegen, die Informationen und Ideen zu diesem Roman beigesteuert haben: vor allem aber Jeff Mitchell und Ernest Hogan sowie Gilbert LaRoque und John S. Engen von der Biosphäre 2 der Columbia University.
ERSTES BUCH
Aus dem gleichen Grunde habe ich auch beschlossen, nichts über den Saturn zu vermelden außerdem, was ich bereits beobachtet und dargelegt habe — als da wären zwei kleine Sterne, die ihn berühren, einer im Osten und einer im Westen, bei denen bisher keine Veränderung festgestellt wurde und auch für die Zukunft keine erwartet wird, außer irgendeines höchst fremdartigen Ereignisses fernab jeder Bewegung, die uns bekannt oder auch nur vorstellbar für uns ist. Was jedoch die Beobachtung betrifft… dass der Saturn zuweilen länglich sei und manchmal von zwei Sternen an den Flanken begleitet werde, so mögen Eure Exzellenz versichert sein, dass dies entweder der Unzulänglichkeit des Fernrohrs oder dem Auge des Betrachters geschuldet ist… Ich, der ich ihn tausendmal zu verschiedenen Zeiten mit einem vortrefflichen Instrument beobachtet habe, vermag Euch zu versichern, dass keine wie auch immer geartete Veränderung festzustellen ist. Und auf der Grundlage der Kenntnisse aller anderen Sternenbewegungen vermögen wir zu sagen, dass nach menschlichem Ermessen auch niemals eine solche Veränderung auftreten wird. Wenn die Bewegung dieser Sterne nämlich derjenigen anderer Sterne gleichen würde, hätten sie sich längst vom Körper des Saturns gelöst oder mit ihm sich vereinigt — selbst wenn diese Bewegung tausendmal langsamer wäre als die aller anderen Sterne, die übers Firmament wandern.
Selene: Hauptquartier der Astro Corporation
Pancho Lane runzelte die Stirn und warf ihrer Schwester einen Blick zu. »Er heißt nicht einmal mehr Malcolm Eberly. Er hat seinen Namen geändert.«
Susan lächelte wissend. »Na und. Was macht das denn für einen Unterschied?«
»Er wurde in Omaha, Nebraska, als Max Erlenmeyer geboren«, sagte Pancho streng. »'84 ist er in Linz wegen Betrugs festgenommen worden, versuchte dann aus Österreich zu fliehen und…«
»Das ist mir schnurz! Das ist doch Schnee von gestern! Er hat sich geändert. Er ist nicht mehr derselbe, der er damals war.«
»Du wirst trotzdem nicht gehen.«
»Werde ich doch«, beharrte Susan und runzelte nun ihrerseits die Stirn. »Ich werde fliegen, und du kannst mich nicht daran hindern!«
»Ich bin dein gesetzlicher Vormund, Susie.«
»Ach was! Das interessiert mich nicht die Bohne. Ich bin doch schon fast fünfzig Jahre alt.«
Dabei sah Susan Lane nicht viel älter aus als zwanzig. Sie war gestorben, als sie noch ein Teenager war — getötet durch eine tödliche Injektion, die Pancho selbst ihr in den bis auf Haut und Knochen abgemagerten Arm gespritzt hatte. Dann war die klinisch tote Susan in flüssigem Stickstoff eingefroren worden, um auf den Tag zu warten, da die medizinische Wissenschaft den Krebs zu heilen vermochte, der den jungen Körper verwüstete. Pancho hatte ihren Tiefkühl-Sarg zum Mond gebracht, als sie die Stelle als Astronautin für die Astro Manufacturing Corporation antrat. Irgendwann war Pancho in den Vorstand von Astro aufgestiegen und schließlich zur Vorstandsvorsitzenden avanciert. Und derweil wartete Susan in ihrem Bad aus flüssigem Stickstoff — wartete darauf, bis Pancho sicher war, dass man sie wieder zum Leben zu erwecken vermochte.
Es dauerte über zwanzig Jahre. Und nachdem Susan wieder belebt und vom Krebs geheilt worden war, der ihren jungen Körper zerfressen hatte, glich ihr Bewusstsein einem unbeschriebenen Blatt. Pancho hatte damit gerechnet; aus dem Kälteschlaf erweckte Menschen hatten normalerweise fast alle neuronalen Verbindungen im zerebralen Kortex verloren. Sogar Saito Yamagata, der mächtige Gründer der Yamagata Corporation, war fast mit dem Bewusstsein eines Neugeborenen aus dem Kälteschlaf erwacht.
Also hatte Pancho ihre Schwester — ein Kleinkind im Körper eines Teenagers — gefüttert, gebadet und ihr wieder beigebracht, die Toilette zu benutzen. Und sie hatte die besten Neurophysiologen nach Selene geholt, damit sie dem Gehirn ihrer Schwester mit Injektionen, Gedächtnisenzymen und RNA wieder auf die Sprünge halfen. Sie zog sogar eine Nanotherapie in Erwägung, verwarf diese Idee dann aber wieder; Nanotechnik war in Selene zwar zugelassen, aber nur unter strengen Auflagen. Zumal die Experten es selbst für unwahrscheinlich hielten, dass Susan mit Hilfe von Nanomaschinen die verlorene Erinnerung zurückerhalten würde. Das waren schwierige Jahre, doch allmählich entwickelte sich eine junge Erwachsene, eine Frau, die wie die Susie aussah, an die Pancho sich erinnerte — nur dass ihre Persönlichkeit, ihre Einstellung und ihr Bewusstsein sich grundlegend verändert hatten. Susan erinnerte sich nicht mehr an ihr früheres Leben, doch dank der ihr verabreichten Neuro- Booster hatte sie nun ein annähernd fotografisches Gedächtnis: Wenn sie einmal etwas sah oder hörte, vergaß sie es nicht mehr. Sie vermochte sich mit einer solchen Präzision an Einzelheiten zu erinnern, dass Pancho schier schwindlig wurde.
Nun saßen die Schwestern sich gegenüber und funkelten sich an. Pancho auf der dick gepolsterten, burgunderroten Kunstledercouch in der Ecke ihres großzügigen Büros, und Susan saß angespannt auf der Kante des niedrigen Stuhls auf der anderen Seite des geschwungenen Kaffeetischs aus Mondglas. Die Ellbogen hatte sie auf die Knie gestützt.
Sie sahen sich so ähnlich, dass man sie sofort als Schwestern identifizierte. Beide waren groß und schlank, hatten lange Beine und Arme und schlanke, athletische Körper. Panchos Haut war etwas dunkler, als habe sie sich in einem Sonnenstudio gebräunt, Susans eine Nuance heller. Pancho hatte ihr Kraushaar raspelkurz geschnitten und mit modischen grauen Klecksen gefärbt. Susans braunes Haar war durch eine Spezialbehandlung lang und füllig geworden; sie trug es nach der neuesten Mode schulterlang. Bei der Kleidung ging sie auch mit der Mode: Sie trug ein bodenlanges Seidenkleid mit kleinen Gewichten in den Säumen, damit der Rock in der geringen Mondschwerkraft auch richtig durchhing. Pancho hingegen war mit einem nüchternen anthrazitfarbenen Geschäftsanzug bekleidet, bestehend aus einer maßgeschneiderten Strickjacke und Schlaghosen über bequemen Mond-Softboots. Dazu trug sie dezenten Schmuck im Ohr und ums Handgelenk. Susan hingegen trug überhaupt keinen Schmuck außer einer Tätowierung auf der Stirn, bei der es sich um eine Stilisierung von Saturn, des Ringplaneten handelte.