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Die holografische Abbildung von Goddard verblasste und wich einem lebensgroßen Bild von Professor Wilmot. Pancho, die vom Bett aus zuschaute, hatte den Eindruck, als ob der Kopf und die Schultern des Mannes mitten im Schlafzimmer schwebten.

»Heute begeben wir uns auf eine einmalige Entdeckungs- und Forschungsreise«, hob Wilmot langsam mit sonorer Stimme an.

»Bla, bla, bla«, murmelte Pancho. Sie stellte den Ton mit einem Sprachbefehl ab und befahl dem Telefon, sie mit ihrem Sicherheitschef zu verbinden. Ich hoffe nur, dass Wendell eine kompetente Person abgestellt hat, ein Auge auf mein Schwesterherz zu halten. Wenn nicht, werde ich ihm einen kräftigen Tritt in den Arsch geben, egal wie gut er im Bett ist.

»Vyborg ist eine Bereicherung für unseren Kader«, sagte Morgenthau, während sie neben Eberly zum Dorf am See zurückwatschelte.

Eberly berührte einen leuchtenden Königsschmetterling, der ihm vorwitzig vorm Gesicht herumflatterte. »Er ist ehrgeizig, das steht schon mal fest.«

»Ehrgeiz ist doch nichts Schlimmes«, sagte Morgenthau. »Solang er Befehle ausführt.«

»Das wird er, da bin ich mir sicher.«

Innerlich hatte Eberly seine Zweifel. Aber ich muss eben mit dem verfügbaren Material arbeiten, sagte er sich. Morgenthau hat praktisch keine Ambitionen und kein Bedürfnis, im Rampenlicht zu stehen. Das macht sie zum perfekten Handlanger. Mit Vyborg ist das etwas anderes. Ich werde gut auf ihn aufpassen müssen. Und auf meinen Rücken.

»Information ist der Schlüssel zur Macht«, sagte er zu Morgenthau. »Mit Vyborg in der Kommunikation werden wir Zugang zu allen Überwachungskameras im Habitat haben.«

»Und er könnte uns auch dabei helfen, die Telefone anzuzapfen«, ergänzte Morgenthau.

»Ich will mehr. Ich will, dass in jedem Apartment Überwachungskameras installiert werden. Natürlich geheim.«

»In jedem Apartment? Das ist… eine gewaltige Aufgabe.«

»Dann finden Sie einen Weg, sie zu lösen«, sagte Eberly schroff.

Holly versuchte nicht zu rennen, denn so aufgeregt wollte sie nun auch wieder nicht erscheinen; doch je näher sie Eberly und Morgenthau kam, desto schneller ging sie.

Sie fragte sich, wieso Malcolm überhaupt die Gesellschaft von Morgenthau gesucht hatte. Sie macht doch wirklich nicht viel her. Holly kicherte innerlich. Nein, eigentlich macht sie zu viel her. Sie ist ausstaffiert, als ob sie auf eine Punker-Party gehen wollte. Sie wäre auch ganz hübsch, wenn sie mal so zwanzig bis dreißig Kilo abnehmen würde.

Eberly schaute auf und erkannte sie.

»Malcolm!«, rief Holly und verlangsamte den Schritt. »Kommen Sie! Die Zeremonie hat schon angefangen. Sie werden noch alles verpassen!«

»Dann werde ich es eben verpassen«, sagte Eberly kurz angebunden. »Ich habe zu tun. Ich kann meine Zeit nicht mit irgendwelchen Zeremonien verschwenden.«

Sprach's und ging an ihr vorbei, die Morgenthau im Schlepptau. Holly stand mit offenem Mund da und kämpfte verzweifelt gegen die Tränen an.

Start

Kaum jemand an Bord der Goddard wusste von der ›Brücke‹. Das Navigations- und Kontrollzentrum des riesigen Habitats war nämlich in einer kompakten Kapsel untergebracht, die an der Außenseite des mächtigen Zylinders angeflanscht war — wie ein Pilz auf einem langsam rotierenden Baumstamm.

Captain Nicholson trug den Titel ehrenhalber. Sie hatte schon Raumschiffe zum Asteroiden-Gürtel geflogen und einmal sogar einen Verband von drei Schiffen auf einer Versorgungsmission für die wissenschaftlichen Stützpunkte auf dem Mars befehligt.

Von der vierköpfigen Besatzung, die im Navigations- und Kontrollzentrum arbeitete, wollten Nicholson, ihr erster Offizier und der Navigator zur Erde zurückkehren, sobald sie die Goddard in einen Orbit um den Saturn gebracht hatten. Nur der System-Ingenieur, Ilja Timoschenko, hatte sich für die volle Dauer der Mission verpflichtet. Timoschenko rechnete auch nicht damit, die Erde jemals wiederzusehen.

Samantha Nicholson sah nicht aus wie ein typischer Raumschiffkapitän. Sie war eine kleine Frau, die ihr Haar hatte silbergrau werden lassen. Sie stammte von einer langen Linie von Großreedern ab und war die Erste ihrer Familie, die dem Lockruf des Weltraums und nicht des Meeres folgte. Ihr Vater enterbte sie wegen ihrer Eigenwilligkeit und Unabhängigkeit, und ihre Mutter weinte bitterlich, als sie die Erde verließ. Nicholson tröstete ihre Mutter und sagte ihrem Vater, dass sie das Familienvermögen weder brauchte noch wollte. Sie kehrte nie mehr zur Erde zurück, und Selene wurde ihre zweite Heimat.

Timoschenko bewunderte die Kapitänin. Nicholson war fähig, intelligent und schaltete sich bei Auseinandersetzungen als ›ehrlicher Makler‹ ein. Und wenn es darauf ankam, vermochte sie die Besatzung mit einer Sprache zur Raison zu bringen, bei der ihre Mutter wohl in Ohnmacht gefallen wäre.

»X minus dreißig Sekunden«, sagte die synthetische Stimme des Computers.

Timoschenko warf einen Blick auf seine Konsole. Alle Lampen und Symbole leuchteten grün.

»Zündung der Triebwerke auf mein Kommando«, sagte Captain Nicholson gelassen.

»Roger«, erwiderte der erste Offizier.

Normalerweise hätte Timoschenko sich darüber mokiert, dass sie auf menschlicher Kontrolle bestand. Die vier Besatzungsmitglieder wussten nämlich ganz genau, dass die Computer das Antriebssystem überwachten. Dieses träge, überdimensionale Abflussrohr würde exakt im richtigen Moment aus dem Mondorbit ausscheren, auch wenn keiner von ihnen auf der Brücke wäre. Der Käpt'n pflegte jedoch die alten Traditionen, und sogar Timoschenko — der sonst immer so verdrießlich und spöttisch war wie ein hochmütiger Universitätsprofessor —, respektierte die Entscheidung der alten Dame.

Der Computer sagte: »Zündung in fünf Sekunden, vier… drei… zwei…«

»Triebwerke zünden«, sagte der Käpt'n.

Timoschenko grinste, als seine Konsole zeigte, dass der Computerbefehl und die menschliche Handlung gleichzeitig stattfanden.

Die Triebwerke feuerten. Die Goddard scherte aus dem Mondorbit aus und schwenkte auf die lange Flugbahn zum Planeten Saturn ein.

Selbst mit Duncan-Drive-Fusionstriebwerken flitzt ein so massives Objekt wie das Habitat Goddard nicht durchs Sonnensystem, wie Passagierfähren und sogar automatisierte Erzfrachter es zu tun pflegen.

Das liegt zum Teil an der schieren Masse. Mit über hunderttausend Tonnen entspricht das Habitat einer ganzen Flotte interplanetarer Raumschiffe. Um dem Habitat auch nur eine Beschleunigung von einem Zehntel Ge zu verleihen, wäre ein enormer Schub erforderlich, was wiederum einen exzessiven Brennstoffverbrauch zur Folge hätte.

Das größte Problem ist jedoch die rotationsinduzierte Schwerkraft im Innern des Habitats. Eine Beschleunigung durch Raketenschub würde die Welt im Innern des Zylinders durcheinander wirbeln. Anstatt nur einen sanften, erdähnlichen Zug nach ›unten‹ zu verspüren, würden die Bewohner auch in Richtung des Raketenschubs beschleunigt werden. Dadurch würde das Leben im Habitat erschwert, wenn nicht unmöglich werden.

Die Bewohner hätten das Gefühl, ständig bergauf oder bergab zu gehen, obwohl sie auf einem normal wirkenden flachen Boden gingen.

Also entfernte die Goddard sich mit einer gemächlichen Beschleunigung vom Mond, mit einem winzigen Bruchteil eines Ge. Die zehntausend Bewohner spürten die Kraft der Beschleunigung überhaupt nicht, doch von den Antriebs-Ingenieuren des Habitats wurde sie sorgfältig überwacht.

Es würde vierzehn Monate dauern, um in die Nähe des Jupiter zu kommen. Dort würde die Goddard Fusionsbrennstoffe nachtanken: Mit automatisierten Schöpfbaggern, die von der Raumstation im Orbit um den riesigen Planeten betrieben wurden, würden Wasserstoff- und Heliumisotope aus Jupiters tiefer, turbulenter Atmosphäre geschöpft werden. Außerdem würde Jupiters starke Gravitation dem Habitat beim Vorbeiflug eine zusätzliche Beschleunigung verleihen.