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Sie zog immer phantastischere Möglichkeiten in Erwägung, während sie abwesend zum spektrographischen Sensor des Minisatelliten schaltete, der den gerade erst angekommenen Mond auf der anderen Seite des Rings beobachtete. Wunderly schaute mit einem Stirnrunzeln auf die Anzeige. Da stimmt etwas nicht. Sie rief die früheren Daten des Spektrographen auf. Der kleine Mond bestand definitiv aus Eis, war aber von einer dunklen kohlenstoffartigen Substanz durchzogen. Dennoch zeigte das Echtzeit-Spektrogramm viel weniger Kohlenstoff an: Ihm zufolge bestand der Mond praktisch nur aus Eis. Was geschieht mit dem Kohlenstoff?

Neugierig geworden schaltete sie zur optischen Anzeige des Minisat zurück. Und ließ sich atemlos auf den Stuhl zurücksinken.

Der Mond befand sich in der Mitte dessen, was wie ein Mahlstrom aussah. Ein Whirlpool aus Eisflocken stob um den Mond wie eine große Familie, die ein lang vermisstes Familienmitglied umschwärmte.

»Allmächtiger Gott, sie sind lebendig!«, rief Wunderly und sprang vom Stuhl auf. »Sie sind lebendig!« Gaeta wusste aus langer Erfahrung, dass Panik der schlimmste Feind war. Obwohl das Helmvisier nun mit einer so dicken Eisschicht überzogen war, dass er nichts mehr zu sehen vermochte, bewahrte er die Ruhe und kontrollierte die Anzugssysteme. Lebenserhaltung in Ordnung, Energie in Ordnung, Kommunikation im grünen Bereich, Antrieb funktionsfähig. Es besteht noch kein Anlass, auf den roten Knopf zu drücken.

»Versuch, das Eis vom Visier abzuwischen«, ertönte Fritz' Stimme genauso ruhig und methodisch.

»Das habe ich schon versucht«, sagte er und hob den linken Arm, um noch einmal übers Helmvisier zu wischen. Der Arm fühlte sich steifer an als noch vor ein paar Augenblicken. »Sie setzen sich sofort wieder fest.«

Während er sprach, fuhr Gaeta mit der Zange des linken Arms übers Helmvisier. Sie kratzte immerhin so viel Eis ab, dass er sah, wie weitere Partikel auf ihn zuflogen. Innerhalb von Sekunden war das Helmvisier wieder zugefroren.

»Das ist nicht lustig«, sagte er. »Sie fallen wie ein Heuschreckenschwarm ein. Es ist, als ob sie lebendig wären. Ich sehe sie übers Helmvisier kriechen.«

»Sie sind lebendig!«, rief Wunderly mit vor Aufregung schriller Stimme. »Steck ein paar in die Probenbox!«

»Vielleicht wollen sie mich in ihre Probenbox stecken«, erwiderte Gaeta trocken.

Er fragte sich, wie dick die Eisschicht noch werden musste, bis die Antennen blockierten und die Kommunikation unterbrochen wurde. Ich werde hier tiefgekühlt wie eine Weihnachtsgans, und ihr geht es nur darum, Proben zu Studienzwecken zu bekommen. Er überprüfte die Temperatur im Anzug. Der Wert war normal, obwohl Gaeta das Gefühl hatte, dass es etwas kühler war als vorher. Alles nur Einbildung, sagte er sich. Klarer Fall.

»Ich glaube, ich sollte vielleicht die Düsen zünden und von hier verschwinden«, sagte er zu Fritz.

»Noch nicht!«, rief Wunderly. »Versuch erst noch ein paar Proben zu nehmen!«

»Die Anzugsfunktionen sind nicht beeinträchtigt«, sagte Fritz mit eisiger Ruhe.

»Noch nicht«, pflichtete Gaeta ihm bei. »Aber was für einen chingado Zweck hätte es, blind wie eine Fledermaus und mit einem Eisüberzug hier draußen rumzuhängen?«

»Könntest du nicht wenigstens warten, bis der Minisat auf deine Seite des Planeten kommt, damit ich spektrographische Messungen des Eises durchführen kann, von dem du überzogen bist?«, fragte Wunderly.

»Wie lang wird das dauern?«, fragte Fritz.

Es trat eine Pause ein. »Elf Stunden siebenundzwanzig Minuten«, antwortete Wunderly dann mit viel leiserer Stimme.

»Der Anzug ist für eine achtundvierzigstündige Exkursion ausgelegt«, sagte Fritz. »Wenn die Eisschicht aber dicker wird, werden vielleicht die Kommunikations- und Antriebsfunktion beeinträchtigt.«

»Bei mir ist im Moment noch alles klar, Fritz«, sagte Gaeta, bevor Wunderly etwas erwidern konnte. »Lassen wir uns überraschen.«

Berkowitz meldete sich. »Das ist der Wahnsinn, Leute, aber deine Anzugskameras sind vereist. Wir bekommen nur noch eine Tonübertragung von dir, Manny. Wenn wir Bilder vom Minisat bekämen, wäre das der Hammer.«

Gaeta nickte im Helm. Und wenn ich getötet werde, werden die Einschaltquoten sogar noch mehr steigen, sagte er sich sardonisch.

Holly war reichlich mitgenommen, nachdem sie beinahe ertrunken wäre, und das Bewusstsein, dass Kanangas Leute sie irgendwie verfolgten, verbesserte ihre Befindlichkeit nicht gerade. Sie ging so schnell sie konnte zum Tunnel-Ende, erklomm die zur Oberfläche hinaufführende Metallleiter und stieß die Luke auf, die als ein kleiner Felsbrocken getarnt war. Sie befand sich am Habitat-Ende; sie hielt für einen Moment inne und sog tief die Luft ein. Sie roch frisch und würzig. Das ganze Habitat breitete sich vor ihr aus — grün, weit und offen.

Sie schloss die Luke, klappte den Plastikfelsen wieder herunter und ging durchs federnde grüne Gras auf das Wäldchen aus Ulmen und Ahornbäumen zu, die weiter oben in Richtung der Mittellinie wuchsen.

Es war schon jemand da, wie sie bei der Annäherung an den Wald erkannte. Er lag ausgestreckt auf dem mit Moos bewachsenen Boden zwischen den Bäumen.

Holly erstarrte und fühlte sich wie ein Reh, das einen Wolf erspähte. Aber der Mann — sie hatte jedenfalls den Eindruck, dass es ein Mann war — schien zu schlafen, bewusstlos zu sein oder sogar tot. Er trug auch nicht die schwarze Montur der Sicherheitsabteilung, sondern einen beigefarbenen Overall.

Vorsichtig näherte Holly sich dem Mann so weit, dass sie sein Gesicht erkannte. Das ist doch Raoul, sagte sie sich. Was tut er hier draußen? Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Arbeitet er etwa für Kananga? Gehört er womöglich zum Suchtrupp?

Dann wurde sie sich bewusst, dass sie im Freien stand und eine perfekte Zielscheibe für jeden im Umkreis von einem Kilometer oder mehr abgab. Raoul würde doch nicht zu Kananga überlaufen, sagte sich. Er ist ein Freund.

Sie ging zu ihm hin und fühlte sich etwas sicherer, als sie im Schatten der Bäume war.

Tavalera regte sich, als sie sich ihm näherte, blinzelte und setzte sich so abrupt auf, dass Holly erschrak.

Er blinzelte wieder und rieb sich die Augen. »Holly? Bist du das, oder träume ich?«

Sie lächelte warmherzig. »Ich bin's, Raoul. Was machst du denn so weit hier draußen?«

»Ich habe dich gesucht«, sagte er und stand auf. »Ich muss wohl eingenickt sein. Ein schöner Späher, was?« Er grinste verlegen.

»Du bringst dich nur in Schwierigkeiten, Raoul. Kanangas Leute verfolgen mich. Ich versuche, ihnen immer eine Nasenlänge voraus zu sein.«

Tavalera holte tief Luft. »Ich weiß. Ich bin hier, um dir zu helfen.«

Holly sagte sich, wenn Raoul sie gut genug kannte, um hier am Habitat-Ende auf sie zu warten, dann mussten Kanangas Leute ihre Gewohnheiten auch ermittelt haben.

»Wir müssen uns ein Versteck suchen«, sagte sie. »Einen sicheren Ort.«

»Dafür ist es zu spät«, sagte eine Stimme.

Sie drehten sich um und sahen einen großen, schlanken Mann mit schokoladenbrauner Haut. In der Hand hatte er das kleine elektronische Spürgerät.

»Oberst Kananga möchte Sie sprechen, Miss Lane«, sagte er mit leiser Stimme, die überhaupt nicht bedrohlich wirkte.

»Ich möchte aber nicht Oberst Kananga sprechen«, sagte Holly.

»Das ist schlecht. Ich muss leider darauf bestehen, dass Sie mit mir kommen.«

Tavalera stellte sich vor Holly. »Lauf, Holly«, sagte er. »Ich werde ihn aufhalten.«

Der schwarze Mann lächelte. Er wies auf ein Trio schwarz gekleideter Leute, die hinter den Bäumen auf sie zukamen und sagte: »Es muss keine Gewalt ausgeübt werden. Und es gibt auch keine Fluchtmöglichkeit.«