»Das ist doch jedem selbst überlassen«, sagte Andrea Maronella. Sie selbst trug eine kastanienfarbene Bluse und einen dunkelgrünen Rock, wie Eberly feststellte, dazu Schmuck in Form von ein paar Armbändern, Ohrringen und einer Perlenhalskette.
»Es führt sehr wohl zu Reibungen«, wiederholte Eberly. »Zum Beispiel bei diesen Sport-Fans. Sie tragen die Farben ihrer Lieblingsmannschaft, nicht wahr?«
Oberst Kananga nickte.
Und nun meldete ausgerechnet Berkowitz sich zu Wort: »Wissen Sie, manche Leute im Büro sind angezogen wie Top-Manager, während die Techniker zum Teil aussehen, als ob sie aus der Gosse kämen.«
Alle lachten.
»Aber haben sie nicht das Recht, sich so zu kleiden, wie sie wollen?«, erwiderte Maronella. »Solange die Arbeit nicht darunter leidet.«
»Ihre Arbeit leidet darunter«, sagte Eberly dezidiert, »wenn es zu Neid und Missgunst führt.«
»Diese Hooligans tragen die Farben ihres Teams doch nur, um die Fans anderer Mannschaften zu provozieren«, sagte Kananga.
»Wenn wir Vorgaben für eine Kleiderordnung machten«, sagte Eberly sachlich und ruhig, »wäre das in meinen Augen eine große Hilfe. Keine verbindlichen Vorschriften, nur Richtlinien dafür, was als angemessen gilt.«
»Wir könnten Beratungsstellen einrichten«, sagte der Leiter des medizinischen Dienstes, ein Psychologe.
»Und eine Typberatung anbieten.«
Sie befassten sich noch für über eine halbe Stunde mit dem Thema. Dann brachte Wilmot es zur Abstimmung, und das Gremium beschloss, Richtlinien für eine freiwillige Kleiderordnung am Arbeitsplatz zu erlassen. Eberly dankte ihnen höflich für diese Entscheidung.
Das war der erste Schritt, sagte er sich.
Memorandum
An: das gesamte Personal
Von: Malcolm Eberly Abteilungsleiter Human Resources
Betreff: Kleiderordnung
Im Bemühen, die Spannungen zu verringern, die auf Grund unterschiedlicher Bekleidung entstehen, wird die folgende Kleiderordnung vorgeschlagen. Diese Kleiderordnung ist nicht verbindlich, jedoch wird die freiwillige Befolgung helfen, Reibungen zu verhindern, die durch Unterschiede in Kleidungsstil, Preis, Accessoires etc. entstehen.
1. Das gesamte Personal ist verpflichtet, Namensschilder an der Kleidung zu befestigen. Diese Schilder tragen den Namen, die berufliche Position, ein Foto jüngeren Datums sowie elektronisch gespeicherte Hintergrunddaten aus dem Dossier, das in der Human-Resources-Abteilung gespeichert ist. Im Notfall erleichtern diese Daten dem medizinischen und/oder Rettungsdienst die Arbeit.
2. Die vorgeschlagene Kleiderordnung sieht folgenderm aus:
a. Büroarbeiter sollten ein Gewand und eine Hose in gedeckten Farben tragen, wobei persönliche Verzierungen (z. B. Schmuck, Tätowierung, Haarteile etc.) auf ein Minimum zu beschränken sind.
b. Laborarbeiter sollten sich wie in (a) kleiden, wobei sie in Abhängigkeit von ihrem Aufgabengebiet Schutzkleidung, Schutzbrillen etc. tragen müssen.
c. Fabrikarbeiter…
Selene: Hauptquartier der Astro Corporation
Pancho ging im Büro umher, während sie sprach; sie war frustriert, weil keine Rückmeldung von der Person kam, an die sie ihre Mitteilung richtete. Die Kommunikation im Raum außerhalb des Erde/Mond-Systems war fast immer eine einseitige Angelegenheit. Obwohl Nachrichten mit Lichtgeschwindigkeit durch den Weltraum flitzen, waren die Entfernungen zum Mars, zum Asteroidengürtel und darüber hinaus einfach zu groß, als dass ein Echtzeit-Gespräch von Angesicht zu Angesicht möglich gewesen wäre.
Also sprach Pancho unverdrossen weiter und hoffte, dass Kris Cardenas so schnell wie möglich antworten würde.
»Ich weiß, dass das viel verlangt ist, Dr. Cardenas«, sagte sie. »Sie haben viele Jahre auf Ceres verbracht und sich dort eine neue Existenz aufgebaut. Jedoch ist dieser Flug zum Saturn auch für Sie eine Chance, sich etwas komplett Neues aufzubauen. Man wird froh sein, über ihre Expertise zu verfügen — darauf können Sie sich verlassen. Es gibt sicher unzählige Möglichkeiten, wie Sie mit Ihren Kenntnissen der Nanotechnik den Leuten helfen werden.«
Durch die Macht der Gewohnheit schaute Pancho zu der Abbildung hinauf, die mitten in ihrem Büro schwebte. Doch anstelle von Kris Cardenas' Gesicht zeigte sie nur ihre eigenen, gestochen scharfe Worte.
»Ich werde Ihnen aus eigener Tasche sämtliche Kosten erstatten und noch einen großen Bonus drauflegen«, fuhr Pancho fort. »Ich werde den großzügigen Ausbau Ihres Habitats auf Ceres finanzieren. Sie ist meine kleine Schwester, Kris, und sie braucht jemanden, der auf sie aufpasst. Ich kann es selbst nicht tun; deshalb hoffe ich, dass Sie dazu bereit sind. Werden Sie das für mich tun? Nur für ein Jahr oder so, nur so lang, bis meine Schwester auf eigenen Füßen stehen kann, ohne Dummheiten zu machen. Werden Sie mir dabei helfen, Kris? Es soll Ihr Schaden nicht sein, und ich würde das außerordentlich zu schätzen wissen.«
Pancho wurde sich bewusst, dass sie praktisch bettelte. Geradezu winselte. Was soll's?, fragte sie sich. Hier geht es schließlich um Susie.
Doch dann atmete sie durch und sagte mit fester Stimme: »Bitte melden Sie sich in dieser Angelegenheit, sobald es Ihnen möglich ist, Kris. Es ist wirklich wichtig für mich.«
In ihrem behaglichen Quartier im Habitat Chrysallis, das sich im Orbit um den Asteroiden Ceres befand, betrachtete Kris Cardenas aufmerksam Panchos besorgtes Gesicht, während die Vorstandsvorsitzende der Astro Corporation im luxuriös möblierten Büro auf und ab ging. Cardenas bemerkte die Anspannung in Panchos schlankem Körper, in jeder Geste und in jedem Wort, das sie sprach.
Ich schulde ihr überhaupt nichts, sagte Cardenas sich. Wieso sollte ich hier meine Zelte abbrechen und auf dieser verrückten Expedition zum Saturn mitfliegen?
Dennoch verspürte sie wider Willen Neugierde. Vielleicht wird es wieder einmal Zeit für eine Veränderung in meinem Leben. Vielleicht habe ich lang genug Buße getan.
Trotz ihres kalendarischen Alters schien Dr. Kristin Cardenas von ihrem Äußeren her irgendwo in den Dreißigern zu sein. Sie war eine hübsche, strohblonde Frau mit den Schultern einer Schwimmerin, einem starken, athletischen Körper und klaren kornblumenblauen Augen. Das lag daran, dass es in ihrem Körper von Nanomaschinen nur so wimmelte — virengroße Geräte, die wie ein variables zielgerichtetes Immunsystem wirkten, das eindringende Viren zerstörte und Ablagerungen, die in den Blutgefäßen sich bildeten, Atom für Atom abbauten und das Gewebe regenerierten, das durch Traumata und Alterung beschädigt war.
Cardenas hatte für ihre Forschung in der Nanotechnik den Nobelpreis erhalten, bevor es den fundamentalistischen Regimes der Erde gelungen war, alle Arten der Nanotech-Anwendung auf dem Planeten zu verbieten. Sie hatte ihre Arbeit jahrelang in Selene fortgeführt und der Mond-Nation geholfen, ihren kurzen, praktisch unblutigen Krieg gegen die frühere Weltregierung zu gewinnen. Weil sie sich aber selbst Nanomaschinen injiziert hatte, war ihr die Rückkehr zur Erde verwehrt — selbst für einen kurzen Besuch. Sie hatte ihren Ehemann und die Kinder verloren, weil sie es nicht wagten, nach Selene zu reisen und damit das Risiko einzugehen, mit ihr von der Erde verbannt zu werden. Cardenas grämte sich bitterlich wegen der kurzsichtigen Einstellung der ›Flachländer‹, die sie ihre Kinder und Enkelkinder gekostet hatte. Aufgrund dieser Verbitterung hatte sie sogar einen Mord begangen. Sie hatte es zugelassen, dass ihre Kenntnisse der Nanotechnik für die Sabotage eines Raumschiffs missbraucht wurden, was den Tod des Industriellen Dan Randolph zur Folge gehabt hatte.