»Oder wir setzen Sie ab, wenn wir am Jupiter auftanken, und Sie fliegen zur Erde zurück.«
Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Wir können uns die Transportkosten nicht leisten. Alles was wir hatten, haben wir in dieses Habitat investiert.«
»Haben sie religiöse Bedenken wegen der Abtreibung?«, fragte Eberly.
»Nein«, antwortete der Mann so schnell, dass Holly sich darüber wunderte.
»Gäbe es noch eine andere Möglichkeit?«, fragte — bettelte — die Frau.
Eberly legte wieder die Fingerspitzen aneinander und tippte sich ans Kinn. Das junge Paar beugte sich unbewusst nach vorn und wartete auf ein Wort der Hoffnung.
»Vielleicht…«
»Ja?«, sagten sie unisono.
»Vielleicht wäre es möglich, die befruchtete Zygote zu entnehmen und einzufrieren — und sie zu lagern, bis darüber entschieden ist, ob wir unsere Population vergrößern können.«
Einfrieren! Holly schauderte bei dieser Vorstellung. Und doch war so ihr Leben gerettet worden. Nein, sagte sie sich. Dadurch war es ihr ermöglicht worden, ein neues Leben zu beginnen, nachdem ihr altes mit dem Tod geendet hatte.
»Dann kann die Zygote wieder in die Gebärmutter eingepflanzt werden«, sagte Eberly. »Sie werden ein ganz normales Baby bekommen; Sie müssten nur ein paar Jahre warten.«
Er lächelte sie fröhlich an. Sie schauten sich an und dann wieder ihn.
»Wäre das wirklich zu machen?«, fragte der junge Mann.
»Es würde zwar eine Sondergenehmigung erfordern«, sagte Eberly, »aber ich kann das für Sie arrangieren.«
»Würden Sie das für uns tun?«
Er zögerte nur für einen Sekundenbruchteil. Dann lächelte er wieder und sagte: »Ja. Natürlich. Ich werde mich für Sie darum kümmern.«
Sie waren ihm unendlich dankbar. Es dauerte einige Minuten des Händeschüttelns und der Verbeugungen, bevor es Eberly gelang, sie aus dem Büro hinauszukomplimentieren. Sie nahmen nicht einmal Notiz von Holly, die noch immer an der Tür stand, während sie sich mit dankbaren Verbeugungen verabschiedeten.
»Das war sehr nobel von Ihnen, Malcolm«, sagte Holly, als sie zum Stuhl ging, auf dem die Frau gesessen hatte.
»Geburtenkontrolle«, murmelte er, als er um den Tisch ging und sich setzte. »Ich habe es arrangiert, dass dies in die Zuständigkeit der Human-Resources-Abteilung fällt. Die Ökologen wollten es zwar an sich ziehen, aber ich habe das so gedeichselt.«
Holly nickte.
»Diese beiden werden mir gegenüber nun für immer loyal sein«, sagte Eberly und wies grinsend auf die noch immer offene Tür. »Oder zumindest so lang, bis ihr Kind ein Teenager ist.«
Holly fand das nicht lustig. »Sie wollten mich sprechen?«, sagte sie.
»Ja«, sagte er und schnippte mit den Fingern — das Signal für den Computer, hochzufahren.
Holly wartete stumm, während die Abbildung über Eberlys Schreibtisch Gestalt annahm. Es war eine Art Liste. Weil das Hologramm ihm zugewandt war, sah sie es nur von hinten. Sie saß da und wartete, während er die Liste studierte. Das Büro wirkte klein und kahl und irgendwie auch kalt.
Dann schaute er von der Abbildung auf und richtete den Blick direkt auf sie. Holly hatte das Gefühl, dass diese laserblauen Augen sich bis in ihre Seele bohrten.
»In diesem Büro stehen ein paar Veränderungen an«, sagte er ohne eine Einleitung und ohne sie zu fragen, wie es ihr denn ginge. Genauso wenig, wie ihm auffiel, dass sie ein schlichtes himmelblaues Gewand über der Hose trug und kein einziges Accessoire außer dem Namensschild — genauso wie die Kleiderordnung es vorschrieb.
»Veränderungen? «
»Ja«, sagte Eberly. »Ich bin nicht mehr in der Lage, den Routinebetrieb dieses Büros zu leiten. Ich werde vollauf damit beschäftigt sein, die Regierung des Habitats zu organisieren.«
»Regierung? Aber ich dachte…«
»Holly«, sagte er und beugte sich auf dem Bürostuhl leicht nach vorn, auf sie zu. Sie neigte sich auch gleich ihm entgegen. »Holly, wir haben hier zehntausend Männer und Frauen. Sie müssen eine Stimme bei der Wahl der Regierung ihres Vertrauens haben. Und ihrer Führer.«
»Sie meinen die Regierung, die wir bilden werden, sobald wir den Saturn erreicht haben«, sagte Holly.
Eberly schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass wir warten sollten, bis wir den Saturnorbit erreichen. Die Leute sollen sich jetzt schon für eine Regierung entscheiden dürfen. Wozu noch warten?«
»Aber ich dachte, solange wir im Transit zum Saturn wären, müssten wir…«
»Die vom Konsortium erlassenen Bestimmungen befolgen«, vollendete Eberly den Satz für sie.
»Ja«, sagte Holly.
»Aber wieso?«, fragte er nachdrücklich. »Wieso sollten wir uns denn Bestimmungen unterwerfen, die von einer Gruppe alter Universitätsprofessoren erlassen wurden, die noch dazu auf der Erde zurückgeblieben sind? Mit welchem Recht wollen sie uns zur Befolgung ihrer Regeln zwingen?«
Holly dachte einen Moment lang darüber nach. »Wir haben es so vereinbart.«
»Dann wird es eben Zeit, diese Vereinbarung zu kündigen. Was für einen Unterschied macht es, ob wir es nun tun oder warten, bis wir den Saturn erreichen?«
Sie sagte sich, dass es durchaus einen Unterschied machte. Wieso die Sache überstürzen?
»Wir sollten nicht zulassen, dass arrogante alte Männer uns sagen, was wir zu tun und zu lassen haben«, sagte Eberly mit Verve. Holly sah, dass er dunkelrot anlief.
»Vielleicht nicht«, pflichtete sie ihm halbherzig bei.
»Natürlich nicht«, sagte er. »Die Leute müssen das für sich selbst entscheiden.«
»Wahrscheinlich.«
»Diese Wettbewerbe, die Sie zu dem Zweck organisieren, Namen für die Ortschaften und für alles andere zu finden, sind Teil meines Plans«, vertraute er ihr an.
Das überraschte sie. »Ihr Plan?«
»Ja. Im Grunde sind diese Wettbewerbe kaum mehr als triviale Unterhaltung für die Massen. Aber sie dienen einem größeren Zweck.«
»Ich verstehe«, sagte Holly. »Die Menschen bei den Wettbewerben abstimmen zu lassen, soll eine Art Übung sein, nicht wahr? Damit werden die Leute darauf vorbereitet, für die Regierung zu stimmen, wenn die Zeit kommt.«
Eberly schaute sie mit einem strahlenden Lächeln an. »Sie sind wirklich intelligent, Holly. Blitz gescheit.«
Sie spürte, dass sie heiße Wangen bekam.
»Während Sie die Wettbewerbe organisieren«, sagte er mit neuerlichem Ernst, »muss ich meine ganze Energie darauf verwenden, eine Verfassung für die Leute auszuarbeiten.«
»Wenn Sie vollauf damit beschäftigt sind, diese neue Verfassung und all das auszuarbeiten, wer soll dann dieses Büro hier leiten?«
»Sie werden das tun.«
Holly schluckte. »Ich?«
Er lächelte angesichts ihrer Überraschung. »Natürlich Sie. Wer denn sonst?«
»Aber ich kann doch nicht die Leitung übernehmen«, quiekte sie. »Ich bin doch nur eine Assistentin, eine graue Büro-Maus…«
Eberlys Lächeln wurde noch breiter. »Holly, sind Sie nicht meine Assistentin? Sie könnten für diese Aufgabe doch gar nicht besser qualifiziert sein.«
Vor Freude wäre sie am liebsten Rad schlagend durchs Büro getobt. »Aber… glauben Sie denn, dass Herr Professor Wilmot meiner Ernennung zum Direktor zustimmen wird?«
Das Lächeln verschwand. »Wilmot«, murmelte er. »Nein, er wäre definitiv nicht damit einverstanden, dass eine so junge Mitarbeiterin wie Sie zum Direktor ernannt wird. Er ist ein richtiger Paragraphenreiter.«
Holly betrachtete sein Gesicht und wartete auf einen Hoffnungsschimmer.
»Ich möchte aber, dass Sie dieses Büro leiten, Holly«, sagte er. »Ich weiß, dass Sie dieser Aufgabe gewachsen sind.«
»Ich werde mein Bestes geben.«
»Natürlich werden Sie das. Weil ich Sie offiziell aber nicht zum Direktor ernennen kann, muss ich jemand anderes einsetzen, der die Rolle des Direktors spielt. Einen so genannten Frühstücksdirektor. Um Wilmot keinen Grund zur Beanstandung zu geben.«