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Er nickte. »Falls Professor Wilmot mich überhaupt gehen lässt.«

»Wieso, um alles in der Welt, sollte jemand die Oberfläche von Titan betreten wollen?«, fragte Cardenas.

Gaeta grinste sie an. »Weil sie nun einmal da ist. Und weil noch niemand es getan hat.«

Sprach's, nahm die beiden Frauen am Arm — je eine an einer Seite — und brach zum Bistro auf, das mitten im Dorf gelegen war.

Professor Wilmots Labor

James Coleraine Wilmot folgte fast jeden Abend einer lieb gewonnenen Routine. Der eingefleischte Junggeselle aß normalerweise früh mit Freunden und Kollegen zu Abend und zog sich dann in sein Quartier zurück, wo er sich für ein paar Stunden bei einem guten Glas Whisky Geschichts-Videos anschaute.

Er hatte gewusst, dass Eberly an diesem Abend irgendeine Rede halten wollte, aber er hatte sich durch dieses Wissen nicht von seiner allabendlichen Routine abbringen lassen. Eberly führte die Human-Resources-Abteilung ordentlich, sagte Wilmot sich — das folgerte er zumindest daraus, dass niemand ihm Beschwerden über die Abteilung zur Kenntnis brachte. Er hatte zwar seine Befugnisse überschritten, indem er es dieser Nanotech-Frau erlaubte, sich ohne Wilmots Genehmigung der Gemeinschaft anzuschließen, aber das war kein besonderes Problem. Wenn der Mann eine Rede halten will, was soll's?

Deshalb war er leicht vergrätzt, als mitten in einem seiner Lieblings-Videos, Geheimnisse der Sternenkammer, das Telefon klingelte. Beim Blick aufs Display des Telefons sah er, dass ein kleiner Assistent anrief. Mit einem echauffierten Schnaufen blendete Wilmot die holografische Abbildung aus und öffnete den Telefon-Kanal.

Bernard Isaacs' Gesicht erschien in der Luft: Das runde, pausbäckige und von dichtem Lockenhaar gekrönte Gesicht schien gerötet — entweder vor Aufregung oder vielleicht auch vor Sorge.

»Haben Sie seine Rede gehört?«, fragte Isaacs dringlich.

»Wessen Rede? Meinen Sie Eberly und seine blöden Wettbewerbe?«

»Es geht um mehr als nur um Wettbewerbe. Er will die Protokolle zerreißen und eine neue Verfassung aufsetzen, eine neue Regierung bilden!«

Wilmot nickte und fragte sich, wo das Problem lag. »Ja, ich weiß, wenn wir den Saturn erreichen. So sieht unser Plan das…«

»Nein!«, unterbrach Isaacs ihn. »Jetzt schon! Er sagt ihnen, dass sie es jetzt schon tun sollten.«

»Wem sagt er das?«

»Jedem, der ihm zuhört!«

»Das geht nicht«, sagte Wilmot seelenruhig. »Alle haben die Vereinbarung unterzeichnet, sich an unsere Protokolle zu halten, bis wir mit dem Habitat in einen sicheren Orbit um den Saturn gegangen sind.«

»Aber er will es jetzt schon tun!«, wiederholte Isaacs, wobei seine Stimme sich um eine halbe Oktave hob.

Wilmot hob die Hand. »Das ist nicht möglich, und er weiß das auch.«

»Aber…«

»Ich werde mich einmal mit ihm unterhalten müssen und sehen, was er eigentlich vorhat. Möglicherweise haben Sie seine Absicht missverstanden.«

Isaacs schob stur das runde Kinn vor. »Ich werde Ihnen eine Videoaufnahme seiner Rede schickten. Dann sehen Sie selbst, was er vorhat.«

»Tun Sie das«, sagte Wilmot. »Vielen Dank, dass Sie mich informiert haben.«

Er unterbrach die Telefonverbindung und sah, wie die rote Aufnahme-Lampe aufleuchtete. Isaacs sendete Eberlys Ansprache. Wilmot runzelte die Stirn. Isaacs ist eigentlich nicht der Typ, der sich grundlos aufregt; zumindest ist er es bisher nicht gewesen. Was ihn wohl so beunruhigt hat?

Wilmot beschloss, sich Eberlys Ansprache anzuschauen. Aber nicht, bevor er das Video zu Ende gesehen hatte, das zeigte, mit welchen Mitteln Heinrich VIII. Geständnisse von seinen Untertanen erzwang.

Zwei Stunden später — nachdem er sich Eberlys Rede ein paarmal angeschaut und sich noch einen ordentlichen Whisky eingeschenkt hatte — lehnte Wilmot sich in seinem Lieblingssessel zurück. Ein eigentümliches Lächeln spielte um die Mundwinkel.

Nun geht es endlich los, sagte er sich. Das Experiment wird interessant. Anfangs befürchtete ich, dass sie alle Anarchisten und Unruhestifter wären, doch bisher haben sie sich ganz manierlich benommen und keinerlei Anzeichen von Rebellion oder Unbotmäßigkeit an den Tag gelegt. Wahrscheinlich gewöhnen sich schon alle an ihre neue Welt und passen sich ans Leben im Habitat an. Ich vermute, dass die meisten es noch nie so gut gehabt haben. Aber dieser Eberly will sie ein wenig aufstacheln. Sehr gut.

Faszinierend. Eberly erlässt diese doofe Kleiderordnung, und niemand beschwert sich darüber. Die Leute ignorieren sie entweder oder verzieren ihre Kleidung mit Schals und Schärpen. Sie werden sich nicht an der Nase herumführen lassen, das steht schon mal fest.

Aber Eberly will sie anscheinend kontrollieren. Ich frage mich, was ihn dazu bewogen hat. Höchstwahrscheinlich war es die kleine Rüge, die ich ihm wegen dieser Cardenas erteilt habe. Anstatt sich der Autorität zu beugen oder zu schmollen, wird er nun zum Agitator. Faszinierend. Stellt sich weiter die Frage, was die Bevölkerung tun wird? Er hat zwar nur eine kleine Zuhörerschaft gehabt, doch morgen früh bei Arbeitsbeginn wird das ganze Habitat über seine Rede Bescheid wissen. Wie werden die Leute wohl reagieren?

Und noch wichtiger, wie soll ich darauf reagieren, fragte er sich. Seinem Treiben ein Ende bereiten? Oder mich auf sein Spiel einlassen?

Wilmot schüttelte den Kopf. Weder noch, beschloss er. Ich darf dieses Experiment nicht durch Vorurteile beeinflussen. Aber es ist auch nicht leicht, sich herauszuhalten. Ich kann nicht einfach verschwinden; ich muss eine Rolle spielen. Aber ich darf auch nicht zulassen, dass der Alltagsbetrieb dadurch beeinträchtigt wird.

Natürlich kennt keiner von ihnen den wirklichen Zweck dieser Mission, sagte er sich. Sie ahnen nicht einmal, worum es sich handelt. Und ich muss dafür sorgen, dass es so bleibt. Wenn jemand auch nur den geringsten Verdacht schöpft, würde es das Experiment stark verfälschen. Ich muss bei den Formulierungen im Bericht für Atlanta sehr vorsichtig sein. Es hätte gerade noch gefehlt, dass ein Schnüffler in der Kommunikations-Abteilung herausfindet, was hier wirklich vorgeht.

Er erhob sich aus dem Sessel, wobei er sich darüber wunderte, wie steif er war, und ging ins Schlafzimmer. Ich werde mich streng ans Drehbuch halten, beschloss er. Die vereinbarten Protokolle werden konsequent befolgt. Dies dürfte Eberly einen so großen Widerstand entgegensetzen, dass er zum nächsten Zug gezwungen wird. Ich frage mich, wie er wohl aussehen wird.

Eberly schüttelte seine Bewunderer schließlich ab und ging in Begleitung von Morgenthau, Vyborg und Kananga zu seinem Quartier.

»Sie haben mich geliebt!«, rief er, als sie sich in seinem spartanischen Apartment befanden. »Habt ihr gesehen, wie sie auf mich reagiert haben? Sie haben mir geradezu aus der Hand gefressen!«

»Es war brillant«, sagte Vyborg beflissen.

Morgenthau war weniger begeistert. »Es war ein guter Anfang, aber eben erst ein Anfang.«

»Wie meinen?«, fragte Eberly mit einem deutlichen Ausdruck der Enttäuschung im Gesicht.

Morgenthau setzte sich schwer auf die einzige Sitzgelegenheit im Raum. »Es waren nicht viele Leute da. Keine dreihundert.«

Vyborg pflichtete ihr sofort bei. »Weniger als drei Prozent der gesamten Population.«

»Aber sie waren bei mir«, sagte Eberly. »Ich habe es gespürt.«

»Drei Prozent sind immerhin schon ein Anfang«, sagte Morgenthau und schaute zu ihm auf.

»Was ist aber mit den anderen siebenundneunzig Prozent«, fragte Kananga.

Sie zuckte die Achseln. »Es ist schon so, wie Malcolm in seiner Rede sagte. Sie sind zu bequem und zu gleichgültig, als dass man sie motivieren könnte. Falls es uns gelingt, eine aktive Minderheit zu gewinnen und zu halten, können wir die Mehrheit am kollektiven Nasenring herumführen.«